Anheuern

[font='Verdana, Geneva, sans-serif'] „Käpt‘n…? Sie is‘ wieder da.“ Die Tür schob sich nach einem vorsichtigen Klopfen langsam auf und der Kopf einer hellgrauen Asura schob sich hindurch. Große, strahlend weiße Irden suchten nach der Gestalt des Kapitäns. Dieser stand über den Tisch gebeugt und brütete über einer Ansammlung an Karten, Schriftrollen und Logbüchern. Er strich sich über den dunklen Bart, dessen Schwarz hier und da bereits von grauen Haaren unterbrochen wurde. „Wir können se‘ auch wieder vom Pier spülen!“ Man hörte das hämische Grinsen deutlich in der piepsigen Stimme. Der breite, von Furchen und Narben übersähte Norn sah nun doch auf. Oder eher hinab. Er brummte tief. „Hartnäckig‘s Ding…,“ Einige Augenblicke vergingen, in denen die Asura die Hoffnung wägte, abermals ein lästiges Blag von den Docks spülen zu dürfen. Oder mindestens den Anblick zu genießen. Der Kapitän aber griff nach seinem Hut und schob sich mit schweren Schritten durch den Raum. Als er an der Asura vorbei durch die Türe schritt, seufzte sie enttäuscht auf und heftete sich an seine Fersen. Sie reichte ihm gerade so bis ans Knie, weshalb sie schon joggen musste um überhaupt Schritt zu halten. Nur kurz darauf traten sie an Deck, wo sich weniger als eine handvoll der Mannschaft befand. Der Rest nutzte die Zeit, um die ergatterten Münzen wieder loszuwerden.
Der Kapitän ging an die Reling und stellte sich neben den dort wartenden Charr. Die schweren Pranken legten sich auf das Holz. „Wie lang‘?“, brummte der Norn in tiefem Bass, während sein Blick sich auf die halbstarke Nervensäge am Pier legte. Ihre Blicke trafen sich und in einer trotzigen Geste schob die Jungnorn ihre Arme in eine Verschränkung. „Über ne Stund‘ schon.“ Sie nickten beide gewichtig langsam und ignorierten die Einwürfe der ungeduldigen Asura, die zwischen ihnen herum sprang. „Und‘s waren wie viel Tage?“ Der Charr stockte auf diese Frage und rieb sich mit den Krallen durch das dichte Fell am Bauch. „Abzüglich der im Durchschnitt zweihundertdreiundfünfzig Komma zwei Tage, die wir auf See verbracht haben steht sie da seit eintausendfünfhunderteinundsiebzig Komma acht Tagen.“, es klang so schrill und hell, als die Asura ihre Zahlen hinausschrie, dass der Charr seine Ohren anlegte und der Norn ein Auge zukniff. „...Käpt‘n!“, fügte sie noch an und atmete erleichtert aus. Einige Augenblicke herrschte Stille.
„Ich will anheuern!“ Die Aufmerksamkeit galt nun wieder der jungen Norn, die noch immer unten stand und zu ihnen hinauf schaute. Abermals sah der Charr zu seinem Kapitän, der sich durch den Bart strich. „Gut. Dann komm ma‘ rauf.“ Mit einem Brummen drehte der Norn ab und stapfte mit schweren Schritten fort von der Reling, wo er drei reichlich verdutzte Gesichter zurück ließ. Ehe er unter Deck verschwand, bellte er noch einen Befehl an Charr und Asura. „Ihr wisst, was zu mach‘n is‘.“



Ruckartig richtete sie sich auf und sofort ergriff der Schwindel von ihrem Körper Besitz. Sie taumelte im Sitzen, alles drehte sich und ihr Magen verkrampfte sich, als die Übelkeit und viel mehr noch die Galle ihre Speiseröhre hinauf quollen. Das Würgen ließ sich nicht vermeiden und bittere Flüssigkeit floss aus ihrem Mund. Knapp schaffte sie es, sich nach vorn zu neigen und neben anstatt auf ihre Füße zu kotzen. Es bereitete keine Besserung und die zitternden Finger tasteten umher, auf der Suche nach etwas das sie nicht mehr hatte. Panik kroch in ihre Glieder, die sich heiß und kalt zugleich anfühlten. Ihre Hände bebten und ihr Brustkorb fühlte sich an, als würde ihr Herz gleich aus diesem herausspringen. Sie konnte hier nicht mehr sitzen, sie musste etwas zu trinken finden. Wankend krabbelte sie auf allen Vieren los, stieß mit dem Kopf gegen etwas, purzelte über etwas Anderes und fiel, als sie sich aufrappeln wollte einfach auf den Bauch. So blieb sie liegen.



„AAH NEIN!“ Mit einem lauten Platschen landete die junge Norn im Hafenbecken. Die Asura stand oben auf dem Deck und lachte so laut, dass die spitzen Zähne gut zu sehen waren. Der Charr, der die Norn gerade mit einer ordentlichen Flutwelle erwischt und vom Pier gespült hatte schnaubte ein heiseres, tiefes Lachen und sah ins Meer, wo der Sturkopf trieb. Sie zeigte ihm den Mittelfinger und holte dann Luft, womit sie abtauchte und sich erst einmal zurück zog ...
Über eine Stunde lang hatte sie sich an Land rumgedrückt und fieberhaft überlegt, wie sie auf das Schiff kommen konnte. Nun hing sie an den Kettengliedern des Ankers und klammerte sich daran fest, wie ein Welpe an seine Mutter. Stück um Stück zog sie sich weiter hinauf, was mit der klatschnassen Kleidung und teils aufgerissenen Fingern nicht wirklich einfach war. Noch ein bisschen. „Eh… siehst du se‘?“ Die Stimme des Charr ertönte oberhalb ihres Kopfes und sie sah hinauf. Viel sehen konnte sie nicht, aber sie hörte den schnaubenden Laut, den er machte. Regungslos blieb sie hängen, krallte die Finger an den Kettengliedern des Ankers fest und spannte ihre Beine an so gut es ging. Wenn sie jetzt fiel, würde ihr Plan in Luft … oder in Wasser aufgehen. „Negativ! Hat bestimmt wieder aufgegeben wie der Letzte!“ Ein schrilles Lachen ertönte, das in den Ohren schmerzte. Es war die Asura. Diese Ratte. Die Jungnorn beschloss ihr eine zu verpassen. Irgendwann. Jetzt aber brannten ihre Arme wie Feuer. Sie presste ihre Lippen zusammen und festigte die Armklammer nochmals. Nicht loslassen. Einfach nicht loslassen.



„Lass los, Schnapsdrossel!“ Stechender Schmerz zuckte durch ihr Gesicht und sie öffnete die Augen. Sofort drehte sich die Welt um sie herum, wo sie doch einfach liegen blieb. Direkt kam es ihr wieder rauf und sie würgte lautstark. Es war keine Kette, die ihr entrissen wurde. Sie war auch nicht am Pier in Löwenstein. Hier war der schlimmste Alptraum. Hitze überflutete sie. Hitze die überall war und der sie nicht entkommen konnte. Taumelnd – das Weib wusste nicht wie – kam sie auf ihrem Hintern zum Sitzen und sah sich aus roten Augen um. Ein Eimer landete vor ihr und irgendjemand sprach Worte, die sie nicht hörte. Mit einem Ruck ging ihr Oberkörper nach vorne und sie tauchte ihren Kopf in den Eimer. Der Schock über das kühle Wasser war nicht sonderlich groß. Sie spürte es kaum. Ihre Finger griffen krampfartig um den Rand des Eimers, wurden von schwappendem Wasser übergossen. Noch ein wenig, dann würde sie den Kopf wieder heben und Luft schnappen. Noch einen kleinen Moment länger. Nur ein bisschen.
Dann lockerten sich ihre Finger aus dem schraubstockartigen Griff.



Bleischwer waren ihre Arme und die Hände taten weh. Mittlerweile biss sie sich auf die Zunge, um den Schmerz an eine andere Stelle zu lenken. Da der Charr da oben nicht weggehen wollte, würde sie ihn wohl oder übel ausschalten müssen. So atmete sie tief ein und löste dann eine Hand vorsichtig, schob sie ein Stück weiter hinauf.
Einige Augenblicke vergingen, dann sah sie durch die Öffnung auf die Füße des Charr. Gewaltige Krallen zeigten in ihre Richtung und wippten langsam wie eine Welle von den Planken in die Luft und zurück. Langsam schmeckte sie Blut in ihrem Mund, so sehr biss sie sich auf die Zunge. Der Verstand raste, aber Lösungsfindung war nie ihr Ding gewesen. Die junge Norn war eine Prüglerin. Eine, die die Dinge eigentlich frontal anging. Plötzlich schoss ihr doch ein Gedanke in den Kopf und sie umklammerte mit dem Arm die schweren Kettenglieder, während ihre andere Hand sich davon löste. Sie kramte in ihren Hosentaschen, bis sie das Haus ihrer Purpurschnecke herauszog. Eigentlich war das eine Trophäe, die sie ihrem Bruder hatte mitbringen wollen … jetzt warf sie die leere Muschel am Schiff entlang von sich fort. Sie war ganz hübsch gewesen. Mit einem hörbaren Blubb landete sie im Wasser und keinen Augenblick später brummte der Charr amüsiert auf. „Eh! Da hint‘n!“ Er drehte sich um und ging einen Schritt, wo er dann stehen blieb. Die Asura quietschte etwas und rasche Schritte gingen über das Deck. Die Jungnorn nutzte den Moment und zog sich nach oben auf die Reling. Mit einem „HEY!“ sprang sie auf Deck und der Charr wirbelte herum. Seine Ohren hatten sich leicht aufgestellt, legten sich jedoch direkt an, als der Schlag von oben auf seine Schnauze folgte. Tock! „RRRRAH! MISTDING!“



Die Ohrfeige riss sie aus dem Schlaf und sie kotzte Wasser. „In der Wüste wird nicht ersoffen!“ Nöhlte eine Stimme zu ihr und sie drehte sich auf die Seite. „‘n erschlag m‘ch...“, krächzte sie. Wie vom Schüttelfrost gefangen bebte ihr Körper. Sie entgiftete. Seit nun mehr zwanzig Jahren war sie das erste Mal richtig trocken. Und es brachte sie schier um. Ein Schnauben tönte an ihrer Seite. Dann packte sie jemand unsanft am Fuß und zerrte sie mit. Der Boden war ausgetrocknet, hart und staubig. Sie fraß Dreck. Sie kotzte den Dreck mit Galle wieder aus. Sie lag irgendwann halb auf ihrem Schild. Wohl hatte jemand Mitleid gehabt. Oder es war so einfacher sie zu ziehen. Der stetige, feste Zug auf ihr Bein nahm nämlich nicht ab.
Und Valka wünschte sich nichts sehnlicher als einen Schluck Alkohol.



„HA-HA! Ich hab‘s geschafft!“ Mit erhobenen Armen stand die Jungnorn am Bug des Schiffes und jubelte lautstark. Der Charr rieb sich die Schnauze, die Asura hatte eine rote Wange und ein hochgewachsener, muskelbepackter Mann hatte ein blaues Auge. Das Gör störte sich nicht an den aufgeplatzten Fingern und der blutenden Lippe. Sie hatte einiges eingesteckt, doch sie war oben. Sie war auf dem Schiff. „Käpt‘n...“ Der Charr knurrte. Blutfaust atmete langgezogen aus, konnte jedoch nicht anders, als unter dem dichten Bart zu Schmunzeln. Er stellte zwei Gläser, die wie aus dem Nichts hervorgeholt wurden, auf ein Fass und entkorkte eine angelaufene Flasche. „‘n bist würdig, Halbstarke.“ „Pah! Ich bin nich‘ halbstark!“ Die Brust stolz geschwellt sprang die junge Norn bis zu dem Älteren hin. Er drückte ihr eins der Gläser in die Hände. „Willkomm‘n an Bord. Lütte.“ Das Glas hob er zum Prost und sah über den Rand hinweg der Halbstarken zu, wie sie ihren ersten Schluck Rum nahm und sich heftig schüttelte.
Rau lachend trank er sein Glas auf einen Zug aus.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 4

  • Betrunken zum Bewerbungsgespräch? The Norn Way.

    • Norn sind immer betrunken. Sind sie das nicht, wird das Blut in ihren Adern so dickflüssig, dass sie langsam werden wie eine Schnecke.

  • Ach je, die arme.
    Durchhalten! *drückt die Daumen* ... Dann wirds bald besser. Bestimmt! *nickt*

    • Vielleicht findet sie einen Kaktus, der eine ähnliche Wirkung hat. *lach*
      Danke Dir für's Lesen! :)