Gestatten, Ernst. Ernst des Lebens.

Der stolze Charr-Krieger blickte sich um und fletschte die Zähne. Seine Gegnerin war schmächtig, zerbrechlich und weichhäutig, aber verdammt flink. Das, was sein Krummsäbel eben zerschmettert hatte, war nur eine ihrer Illusionen gewesen. Ungeduldig trommelte er mit dem Säbel gegen sein Eisenschild, sich immer wieder umwendend und nach seiner Beute suchend.


Dann stand sie auf einmal vor ihm. Eine junge Menschenfrau mit langen, hellblonden Haaren die wie Gold in der Sonne leuchteten und diesem herablassenden Blick in ihren blauen Augen. Sie hob ihren Rapier, um dem Charr einen Stich zu versetzen. Der Krieger hob seinen Schild und blockte den Stich ab. Doch schon kurz darauf bohrte sich etwas in seine Flanke. Dann in seine andere Seite und in seinen Rücken, zu schnell, als dass er reagieren konnte. Fauchend sah er sich um. Da war diese Menschenfrau, und zwar überall. Vor ihm, hinter ihm, neben ihm, gleich vier Mal. Er schlug nach einer, doch schon löste sich diese auf und tauchte ganz woanders wieder auf. Er wirbelte mit letzter Kraft herum, doch die Nadelstiche trafen nun von allen vier Seiten ins Ziel.
Verdammte Mesmer.


Der Charr-Krieger brach blutend zusammen...


... und löste sich auf in Spiegelscherben und Schmetterlinge.


Meister Revayne applaudierte leicht, als seine Schülerin seine Illusion besiegt hatte. Drei der vier Emilies lösten sich ebenso auf wie der Charr-Krieger. Stolz lächelte die verbliebene zu ihrem Lehrer herüber, einem Mann mittleren Alters, versiertem Mesmer, mit kurzen, dunklen Haaren, einem fein getrimmten Bart und Augen die einem scheinbar tief bis in die Seele blicken konnten.


"Sehr gut. 3 Spiegelbilder, Euer Training beginnt sich auszuzahlen, Mylady. Allerdings werdet Ihr bald nicht mehr umhin kommen, gegen echte Gegner anzutreten."


Emilie verzog leicht die Mundwinkel. "Ich verstehe schon. Lebendige Gegner sind nochmal ein ganz anderes Kaliber als Trainingspuppen und Illusionen. Ich hoffe, Euer Unterricht hat mich ausreichend vorbereitet, Meister Revayne."


"Meine Erfahrung sagt mir, dass man niemals ausreichend vorbereitet ist. Daher sollte man immer..."
"...einen Ausweichplan haben, oder besser gleich zwei." ergänzte Emilie ihren Meister, die diese Worte schon mehr als einmal gehört hatte.


"Also ich würde mich nicht mit Euch anlegen wollen, Mylady" erklang eine Stimme aus dem Hintergrund. Emilie erkannte sie sofort und lächelte, als sie sich umwandte.
"Sebastian!" begrüßte sie erfreut ihren jahrelangen Diener und Hausangestellten. "Wie lange siehst du schon zu?"


"Noch nicht lang, lang genug um mitzuerleben wie Ihr den Charr mit Eurem Rapier erstochen habt. Alle Achtung... Ihr seid zu einer beeindruckenden jungen Frau herangewachsen."


"Eigentlich ist das gar kein Rapier. Sondern nur das Konzept eines Rapiers. Aber das führt zu weit... und dass ich so geworden bin ist zu großen Teilen dein Verdienst. Schön dass du nochmal vorbeikommst..."


Sie trat an ihn heran und legte ihm freundschaftlich die Hände an die Schultern. Meister Revayne erklärte die Übungsstunde damit für beendet und zog sich zurück, um den beiden ihren Raum zu geben.


"Ich würde niemals fortgehen ohne mich zu verabschieden, Mylady. Nicht nach all den Jahren."
Emilie presste die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Nun war es also soweit. Sebastian war schon für die Familie LaBlanche tätig, als sie noch ein kleines Mädchen war und schon damals war er nicht mehr der jüngste. So schwer ihr der Abschied auch fiehl, so war ihr bewusst, dass er mittlerweile zu alt geworden war, um arbeiten zu können. Schweren Herzens hatte sie ihm eine großzügige Abfindung überstellt und ihn aus seinen Diensten entlassen.


"Was werde ich nur ohne dich machen Sebastian..."
"Vermutlich nach einem neuen Diener suchen, Mylady."
"... als ob dich irgendjemand ersetzen könnte..."
"Nun, ich fürchte in dem Fall müsst Ihr wohl lernen Eure Angelegenheiten alleine zu regeln..."
Emilie schmunzelte leicht über diese dezente Spitze. Wie würde sie die vermissen. Sie zog den alten Mann in eine herzliche Umarmung.
"Du wirst mir fehlen, Sebastian."
"Nun, noch bin ich ja nicht aus der Welt, Mylady. Nur im Ruhestand. Falls Ihr ein Problem habt, könnt Ihr mich jederzeit besuchen und um Rat fragen."
"Das werde ich. Und du meldest dich, sollte es dir an irgendetwas fehlen."
"Ich bin rundum zufrieden Mylady, wissend dass ich dem Hause einen guten Dienst erwiesen hab. Und Ihr seid schon viel selbständiger geworden, Ihr werdet sicher alles im Griff haben."
" ... ... .. Miss Rosa wird mir dennoch weiterhin das Frühstück machen und meine Kleider waschen."
" ... ... natürlich."


Mit einem leichten Lachen löste sich die Umarmung. Abschied war in beider Augen zu lesen.
"Auf Wiedersehen, Sebastian. Genieß deinen wohlverdienten Ruhestand."
"Passt auf Euch auf, Mylady. Ach und - ein letzter Dienst - Euer Vater wollte mit Euch sprechen. Ich schätze Euer Landurlaub ist hiermit vorbei, die Geschäfte benötigen Eure Aufmerksamkeit."


Emilie seufzte.
".. tja. Sieht so aus als beginnt der Ernst des Lebens wieder..."

Kommentare 7

  • Ja, da bleibt einem mehr Zeit für die Mesmerei wenn einem die Wäsche und das Frühstück gemacht wird. :3

  • Schön geschrieben. Interessante Einleitung, flüssige Unterhaltungen, die einen Einblick liefern, der dafür sorgt, dass man mehr wissen möchte, ohne dass man das Gefühl bekommt, künstlich bei der Stange gehalten zu werden. Gefiel mir gut.

  • Waaaartemal. Die keeeeenn ich doch?