Frühstück mit Roy

Frühstück mit Roy




Orr, 1331, Zaubersängerlände

Roy war froh wieder auf Algen zu laufen, so sehr sie auch stanken. Sie würde den feinen Strandsand aus den Eisenstiefeln klopfen müssen. Die waren in den letzten fünf, sechs Jahren nicht dichter geworden...
Inzwischen spürte sie es schon von weitem, wenn da ein Untoter unter dem schwarzen Algenteppich lag. Die kamen da eh nicht wieder raus. Mit einem Eisenstiefel im Genick war das schnell erledigt. Die anbrandenden Wellen der orrianischen See waren ruhig, kein Untoter war in den letzten Tagen herausgekrochen. Vielleicht sahen sie langsam ein, dass ihre Zeit dem Ende zu ging. Sie waren Relikte, aus der Zeit gefallen. Wie sie selbst. Sie lachte keuchend auf. Wie sie da rummarschierte, in voller Montur. Als würde sie gleich in Arah einfallen. Sie nahm den Helm ab, hängte ihn an den Rucksack und rieb sich über den kahl geschorenen Schädel. Wie man es halt so trug in Orr. Einige Meter weiter ragte ein grauer Kopf aus den Algen, dessen Kiefer sich bewegte.
„Dhaas....wiiir...“, sagte das Ding. Roy hatte genug Zeit verschwendet mit ihnen zu reden. In ihrem vergammelten Inneren wünschten sie sich ohnehin nur, dass man ihnen den Schädel eintrat. Knack, und es war vorbei. Vielleicht hatte er da Jahrhunderte festgesteckt, aber das war ihr inzwischen egal.
Als sie aufblickte, war sie ihrem Ziel deutlich näher gekommen. In einer schlecht erreichbaren Bucht, hinter schwarzen Felsen, ragten Reste eine Metallgerüstes empor. Wieder ein Relikt, aus der Zeit gefallen. Oder vom Himmel. Haha. Als der Sandstrand endete, presste sie sich an die schief aus dem Wasser ragende Felswand und schob sich voran Richtung Bucht. Sie trug zwar Rüstung, würde aber wohl nur in die Algen fallen und nicht mal ins Meer. Da waren Hoelbraker Treppen schwieriger zu erklimmen.
Sie zückte ihr Kampfmesser, als sie sich daran machte die Ecke zur Bucht zu umrunden. Aber da war kein einziger Untoter.
Vor ihr breitete sich die Absturzstelle eines alten Paktluftschiffes aus.
Das Luftschiff musste eine Notlandung versucht haben und war wohl mit dem Sporn am Felsen hängengeblieben, was das Schiff auseinandergerissen hatte. Die Netze und Reste des zerfetzten, teils versengten Ballons hingen am rostigen Gerüst und an den Klippen, Propellerblätter lagen über den grauen Sand verstreut, der vordere Teil der Kanzel thronte wie ein aufgelaufenes Schiff auf einem Felsen. Die runden Buggeschütze waren heruntergerollt und türmten sich wie Kokosnüsse an der zersprungenen Scheibe der Steuerkanzel. Scharfkantige Stücke des Hecks ragten aus dem niedrigen Wasser. Sicher war der Kanonenraum in einer Kettenreaktion hochgegangen, vom Bug abgesprengt und in tausende Stücke zerfetzt. Wie viel Glück sie damals auf der Stahlwespe gehabt hatten, dass ihnen das nicht passiert war.
Flache, sechseckige Basaltsäulen erhoben sich unter ihr aus dem Wasser. Sie hangelte sich herunter und kletterte an ihnen entlang Richtung Strand. Das Meer und das Wetter hatten dem Wrack zugesetzt. Alles war verrostet, verwittert, zerfressen, Algen und Strand hatten begonnen es zu verschlucken. Sie setzte ihren Rucksack ab, haute die lange Axt in den Sand und zog ihre Panzerhandschuhe aus, ehe sie sich daran machte das Wrack zu erkunden. Von der Besatzung war nicht viel übrig. Vielleicht ins Meer geschleudert und irgendwo untergekommen. Oder von Koptern ausgeflogen. Vielleicht waren sie auch hier gestorben und sind dann irgendwo hingewandelt. Oder es hatte sie bei der Explosion so sehr zerfetzt, dass sie liegen bleiben durften. Die Brise pfiff sanft über diesen Friedhof, der Sand kitzelte das Skelett der Kriegsmaschine und hatte wohl längst alle Spuren der Toten verwischt.


Erst als sie die Bugspitze hinaufklettern wollte, entdeckte sie die Reste eines Besatzungsmitgliedes im Sand. Etwas, dass sie erst für Treibholz oder einen Stein voller Flechten gehalten hatte, entpuppte sich als der vertrocknete Körper eines Slyvari, der mit dem Gesicht im Sand lag. Schwer zu sagen, welches Geschlecht oder wie er gestorben war. Der Körper trug einen vom Wetter gequälten Lederrucksack. Roy packte eine Schlaufe und drehte den Sylvari herum. Wie eine vertrocknete Holzskulptur sah er aus. Sie griff nach seiner Kette, riss sie ab und besah sich die Hundemarke. Ein Wachsamer, Rekrut Gannon, 1319 geboren.
Sie sackte die Marke ein. Vielleicht konnte sie Ayu und den anderen Bescheid geben, dass sie den Rekruten beerdigten, oder zu Mulch verarbeiteten oder was immer sie so mit ihren Toten machten.
Sie nahm ihm den Rucksack ab. Auf einem Luftschiff, während eines Luftkampfes, trug man als Rekrut eigentlich keinen Rucksack, vielleicht hatte er den Absturz überlebt, versucht loszuziehen um dann von seinen untoten Kameraden abgeschlachtet zu werden. Vielleicht war er auch im Ballon hängen geblieben und war runtergesprungen, hatte sich die Beine gebrochen?
Aber Roy war kein Detektiv oder Archäologe, sie war hungrig. Sie öffnete seinen Rucksack und leerte den Inhalt im Sand aus. In den letzten Jahren war der Kram offenbar mehrmals völlig durchnässt worden und war wieder getrocknet. Sein Tagebuch, in das er sicher viel Zeit und Liebe gesteckt hatte, war nur noch ein zusammengewachsener Papierklumpen. Ein zugegurtetes Stoffbündel war abwechselnd vergammelt und wieder vertrocknet. Als sie es öffnete fielen Socken, Hemd und Unterwäsche heraus, das Bündel selbst war eine Hose. Zumindest Wechselkleidung hatte er mit. Die Mullbinden seines Medipaks waren nur noch als Toilettenpapier zu verwenden, Schere und Messer waren rostig. Und dann war da noch das Obst. Gannon aß offenbar gerne Orangen und Bananen, aber nach fünf bis sechs Jahren waren die nicht mehr genießbar. Von den Walnüssen knackte sie eine, aber da waren wohl schon in Caledon oder wo immer die her waren Würmer eingezogen und hatten darin ihr Leben verlebt. Aber sein Wetzstein war noch in ganz gutem Zustand, wäre da nicht der ganze Obstdreck. Und dann war da noch eine rostige, zylinderförmige Dose.
Roys Augen begannen zu leuchten. Das perfekte Frühstück.
Gannons Ersatzkleidung wurde bis auf die Socken kurzerhand angezündet, dann goss sie Quellwasser in ihre Feldtasse und hängte sie über die Flamme. Noch einmal schaute sie durch das Rucksackinventar, aber nur die Dose interessierte sie. Als das Wasser heiß war, quetschte sie sich an den runden Buggeschützen vorbei und kletterte die Bugspitze hinauf bis zu dem Felsen, auf dem sie lag. Hier hatte sie einen schönen Blick in die Bucht, die Strände und das Meer. Sie setzte sich, stellte ihre dampfende Tasse ab und drehte die rostige Dose in ihren Händen. Von der Unterseite rupfte sie einen Schlüssel mit einer Öffnung darin, klappte eine metallische Lasche zurecht und steckte sie durch den Schlüssel. Es knarzte und Rost splitterte, als sie den oberen Teil der Dose mit dem Schlüssel abdrehte. Tief atmete sie den Duft der sechs Jahre alten Pakt-Feldration ein. Sie hob ein kleines, rundes, zugekrümeltes Blechdöschen heraus, auf dem drei Papierbälle lagen, die sich braun und orange gefärbt hatten. Die Bonbons darin waren mehrmals geschmolzen und wieder erstarrt. Sie rupfte das Papier so gut es ging von einem und schob ihn sich in den Mund. Mhh, Limette. Knack, da biss sie hinein. Ma fand das immer störend, weshalb Roy immer nur Kaubonbons bekommen hatte. Roy trieb ihr Kampfmesser in den Spalt zwischen Deckel und Dosenrand, er war etwas verklebt durch die geschmolzenen Bonbons. Sie hielt sich das offene Döschen an die Nase und atmete tief den nussigen Duft des alten Kaffeepulvers ein, ehe sie ihn in die heiße Tasse schüttete und mit dem Messer verrührte. Sie widmete sich wieder der rostigen Dose. Drei in Papier gewickelte Zuckerstückchen voller Kekskrümel. Die wurden befreit und ebenfalls in die Tasse geworfen.
Dann der Ursprung der Kekskrümel: Fünf dicke Vollkornkekse füllten die untere Hälfte der Dose. Der oberste war zerbrochen, der Rest waren aber noch in einem Stück. Sie legte sie kreisförmig um die Tasse und sah dem Kaffee eine Weile beim Dampfen zu. Sie löste schließlich die Gurte ihrer Eisenstiefel, zog die Beinschienen und Schuhe aus, leerte den Sand zurück ins Meer.
Die ausgezogenen Stiefel, die Aussicht, die Bugspitze des Luftschiffes...das alles erinnerte sie daran, wie sie damals mit Tzup ein Bierchen auf der Stahlwespe getrunken hatte, kurz vor der Luftschlacht um Arah. Ihre Füße hatten damals ausgesehen wie weiße Korallen, nach all Wochen im nassen Matsch...
Roy nahm sich den ersten Keks, tunkte ihn in die Tasse und schlenderte barfuß und kaffeeschlürfend an der Klippe entlang, der Blick mal auf dem Boden, mal beim Sonnenaufgang. Sie wollte gar nicht mehr herunter. Und da sie hier ganz für sich war, konnte sie auch wieder den Tränen ihren Lauf lassen.
So ein wunderschöner Start in den Morgen.

Kommentare 4

  • Ich liebe deine Roy Orr- Geschichten.
    Schon nach den ersten paar Sätzen hast du mich ins wunderbarste Postapokalypse-Feeling entführt... Damit ich diesmal mit wechselndem Amüsement, Abscheu und Spannung miterleben kann, wie sich Roy nach einer langen Reise schließelich einen verdienten Kaffee macht und Kekse isst.
    Haha. Und die Geschichte ist zu Ende und ich denke mir: "Wtf?! WO sind die Monster? Wo ist die Action? WIESO habe ich das so sehr genossen und bei jedem Satz 'ohoh, gleich...' gedacht?!"

    • Ja freut mich., dass du da eine Art Postapokalypse spürtest. Und ja Roy kann auch friedlich! Gezwungenermaßen......

  • Wow, es wechselt bei mir zwischen guten Gefühlen, Gänsehaut und Schauder beim lesen. Wirklich gut geschrieben!