Noblesse Obligé - Alternative für Löwenstein

Miss Rosa zog ihre Strickjacke enger um sich als sie die Post hereinholte und der frische Herbstwind tanzende Blätter über die Straße schickte.
Ein paar Werbezettel fanden bereits an der Tür den Weg in den Papierkorb, ehe sie die wichtige Post zu ihrer Herrin hinauftrug.


Sie trat ins Zimmer, die Absender der Briefe durchgehend, während Emilie vor dem Ankleidespiegel stand und ihr Werk betrachtete.
"Ein Schreiben von der ministerialen Hausverwaltung, ein Brief von der Löwensteiner Bank und... oh, ein Schreiben von Lady Averon Ducard." las Rosa die Absender vor, während sie durchs Zimmer schritt.


"Sehr gut, leg sie auf meinen Schreibtisch." kommentierte Emilie, nicht vom Spiegel wegsehend.


"Befasst Ihr Euch nun doch mit dem Rurik-Palas, Milady?" fragte Rosa, als sie den Brief von Lady Averon Ducard auf dem Schreibtisch ablegte und einige Papiere, die der Herbstwind wohl durch die Gegend getragen hatte, zu ordnen begann.


"Ach, Sheryna's Worte haben mir gezeigt dass der Palas ohne mich völlig aufgeschmissen ist. Wegen ein bisschen Bürokratie lass ich mich nicht davon abhalten ihn zu retten..." gab Emilie als Antwort. Rosa runzelte die Stirn. "Launisch wie das Herbstwetter..." murmelte sie bei sich.


"Wie bitte?" Emilie sah durch die Reflexion im Spiegel zu Rosa hinüber.


Erschrocken fuhr Rosa hoch. Hatte sie es doch etwas zu laut gesagt? "Äh... ich sagte das Herbstwetter ist sehr launisch! Gestern neblig, heute windig.. " sie lächelte verschüchtert. Erst dann drehte sie sich zu ihrer Herrin um. Mittlerweile war Rosa sehr geübt darin, durch dasselbe Zimmer zu huschen in dem sich Emilie befand, ohne sie anzusehen. Bei einer Mesmerin wie ihr wusste man nie, was man sehen würde. Zu oft hatten die Illusionen der jungen Herrin Rosa völlig aus dem Tagesablauf gerissen. Und auch diesmal sah sie verdutzt zu ihr, jedoch nicht wegen einer Illusion.


"...was..." war alles, was Rosa hervorbrachte als sie den Aufzug ihrer Herrin betrachtete. Ein langer, teils zerfetzter, speckiger Ledermantel, eine zerwaschene, rissige Hose und ein Pullover der sich in seine Fäden aufzulösen begann. Dazu ein abgewetzter Schal. Und Emilie war gerade dabei sich dunkle Augenringe zu schminken, wie es schien.
Emilie bemerkte den Blick und lächelte.
"Wie findest du mein Halloweenkostüm? Nichts besonderes, ich weiß, aber auf die Schnelle... ich dachte mir halt, ich stell selber was zusammen, statt immer nur Magie zu benutzen...gerade für das Fest in Löwenstein. Da geben sich alle solche Mühe..."


".... was.. soll das darstellen?" fragte Rosa vorsichtig. Emilie blinzelte und sah kurz an sich herab.
"Na, einen Vagabunden."
"Einen Vagabunden..." wiederholte Rosa.


"Ja. Ich dachte mir, ich bin sonst ja immer darauf bedacht möglichst hübsch auszusehen, da verkehre ich das mal ins Gegenteil. Bei Halloween geht es ja um Grusel und Horror. Und ein dreckiger, schmieriger, saufender Vagabund mit keinem Kupfer in der Tasche und verfilzten Haaren ist so ziemlich mein Alptraum. Ahja, die filzige Perücke und die Schnapsflasche liegen da drüben. Ist mal was andres als Zombies und Geister."
Sie deutete dabei auf eine filzige Matte und eine (hoffentlich) mit Wasser gefüllte, halbleere Rumflasche.


"Ihr wollt... Euch als versoffener Vagabund verkleiden?" hakte Rosa nochmal nach.
"Ja."
"Einen armen Schlucker ohne Geld aber mit Vorliebe für Schnaps?"
"Genau."
"Das soll Euer Halloween-Kostüm sein, Euer Gruselbild."
"Richtig."
"In Löwenstein."
"Mh-hm!"


Emilie blickte von ihrem eigenen Spiegelbild wieder zu Rosas Reflexion. Diese verzog die Lippen nur zu schmalen Strichen.
Dann weiteten sich Emilies Augen langsam, als sie begriff worauf ihre Dienerin hinauswollte. Sie blickte erneut in den Spiegel... trat ein paar Schritte zurück... griff sich ins Haar und legte den Scheitel auf die Seite. Stellte sich für einen Moment vor, die linke Seite wäre ausrasiert. Dann ließ sie den Kopf hängen. "Scheiße... ich seh aus wie Nats... oder Su..."


"Ihr habt wohl einen Moment vergessen, wo die Leute aus Löwenstein großteils herkommen..." fügte Rosa sanft hinzu.
Emilie ließ die Stirn gegen den Spiegel sinken und seufzte langgezogen aus.
"Da hätte ich mich auch als Scarlet Briar verkleiden können..." murrte sie gegen den Spiegel.
"Ich bin sicher, das fänden dort sehr viel weniger Leute anstößig." witzelte Rosa.


Einen Moment blieb Emilie so gegen den Spiegel gelehnt. Rosa war sich nicht sicher, ob ihre Witzelei zu viel des Guten gewesen sein könnte, doch dann hob die Blonde wieder den Kopf, griff zu einem Wattepad und begann sich abzuschminken. "Bring mir die Alternative." Dabei deutete sie zum Sessel hinüber, wo scheinbar noch ein zweites Kostüm lag. Rosa trat zum Sessel hinüber und hob an, was darauf lag... ein Hauch von Nichts mit Plüsch und Glöckchen. Sie blickte sich suchend um.
"Uhm... wo ist der Rest des Kostüms?" fragte Rosa nach.
"Welcher Rest?" fragte Emilie zurück, sich den Lippenstift erneut nachziehend.
"... das... ist alles?" Rosa trug für ihren Geschmack viel zu wenig Stoff zu ihrer Herrin. "Ihr holt Euch noch eine Blasenentzündung."
"Es ist immernoch recht warm in Löwenstein." Emilie nahm den Stoff entgegen und begann sich umzuziehen.
"Ja, aber der Weg zum Portal... und... wie wir ja gerade festgestellt haben, ist Löwenstein voller Halunken... wenn Ihr da in dem Aufzug..."
"Deine Besorgnis in allen Ehren..." entgegnete Emilie lächelnd, während sie in das viel zu kurze Top schlüpfte. "... aber wer von uns beiden hat jetzt die Vorurteile? Außerdem habe ich für den Weg ja einen Mantel..."


Wieder presste Rosa die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Doch ihr fiel dazu nichts mehr ein.
"Wenn ich schon nicht mit meiner Magie glänzen kann, oder meinem Einfallsreichtum weil die Vorbereitungszeit nicht reicht, dann bleiben mir nur meine übrigen Vorzüge, um zu punkten."
"Ja, dieses Oberteil bringt Eure Intelligenz wunderbar zur Geltung." kommentierte Rosa, ohne groß darüber nachzudenken. Schnell hob sie die Hand an den Mund. Das wollte sie gar nicht laut sagen! Doch Emilie schmunzelte nur verschmitzt.
"Danke für das Kompliment. Aber Intelligenz gewinnt keine Kostümwettbewerbe."


Sie betrachtete sich noch einmal als sie mit umziehen fertig war. Das Umziehen bestand dabei eigentlich großteils aus Ausziehen. Sie nickte nochmal.
"Immernoch besser als meinen Freunden auf die Füße zu treten..." bestätigte sie für sich selbst.


Rosa war sich da nicht so sicher.



The one who puts the "laughter" in "slaughter"
And the "fun" in "funeral"!


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Nationalismus keine Alternative, sondern eine Katastrophe ist.

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  • Warum nicht einfach kombinieren? Als Sexy versoffener Vagabund gehen.