Trauerweide



Die Trauerweide tanzte mit dem Herbstwind, ihre Äste warfen verspielte Schatten an das Flussufer an dem gestern noch geschrien und getobt wurde. Die spärlichen Sonnenstrahlen der Jahreszeit wärmten nicht, gaben aber zumindest Licht – erhellten die Szenerie an den Wurzeln des Baumes. Es war die Blonde, die zuerst zu sich kam. Träge versuchte sie zu erahnen wo und warum sie dort war. Sie schnaufte als ihr der körperliche Schmerz bewusst wurde. Der Kopf pochte, die Wunde am linken Arm brannte und unweigerlich zog sie sich enger zusammen. Warum war es nur so schwer aufzustehen? Was hinderte sie daran sich zu erheben und warum war sie hier? Langsam drängten sich die Erinnerungen an den vergangenen Abend wieder in ihr Unterbewusstsein und sie musste beinahe würgen als ihr bewusst wurde was geschehen ist, was sie dazu veranlasst hatte die Nacht im Freien zu verbringen. Es brauchte eine Weile bis sie begriff, dass es die Last eines Körpers auf ihr war die sie neben dem Schmerz daran hinderte aufzustehen. Panik ergriff sie. Die Wimpern der geröteten Augen flatterten. "Nicht..." kam es bettelnd und sie krümmte sich unter der aufgezwungenen Umarmung zusammen. Es vergingen viele Augenblicke des leisen Wimmerns, bis ihr endlich bewusst wurde, dass der Körper neben ihr keine Regung zeigte - sondern einfach nur da war. Wer war da? Ihre rechte Hand verfing sich in etwas als sie jene ausstreckte um sich aufzurichten, panisch zerrte sie daran - hob den Kopf von der kalten Erde nur um festzustellen, dass es dreckiges verklebtes rotes Haar war, in dem ihre Finger hangen. Sie starrte auf ihre Hand, löste die verklebten Strähnen mit den Fingern und öffnete den Mund um kaum merklich den Namen der Person zu flüstern die sie mit dieser Haarfarbe verband. Doch nichts kam ihr über die Lippen, der Name nicht - kein Krächzen, sie blieb stumm während das blasse Violett noch immer die Haarsträhnen beobachtete. Erinnerungen trafen ihr Herz, den Kopf, ihr wurde schwindelig als sie die Scherben des vergangenen Abends zusammensetzte. "Wach auf! - Geh weg! - Bleib bei … - Verschwinde!" perlte es von ihren Lippen. Ihre Emotionen standen im Zwiespalt und so auch die Worte. Zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart gefangen. Taten und Erinnerungen brachen ineinander und erschwerten die Sicht auf damals oder heute. Es gelang der Blonden ihre Finger aus dem fremden Haar zu lösen. Aus dem Spinnennetz ihres Traumas allerdings löste sie das nicht, abermals kauerte sie sich zusammen, drückte unterbewusst die Stirn an den Körper der Freundin, die zugleich der Feind war und kniff die Augen zusammen. "So will ich nicht sein... Verstehst du? So kann ich nicht sein. Ich habe versucht damit abzuschließen. Du gibst mir Halt, sei nicht der Mensch der zeitgleich mein Verderben ist. Ich will das nicht." flüstert sie leise. So verging noch eine ganze Weile bis die bleiche Sommersprossennase sich nach oben reckte. Die rechte Hand der Küchenmagd hatte begonnen, den Dreck und die Strähnen aus dem Gesicht ihres Gegenübers zu streichen. Waren sie vielleicht verdammt unter dieser Trauerweide zu sterben? Wie lange war es her, dass ich dich so friedlich neben mir hatte? Wann war ich zuletzt an deiner Seite aufgewacht und warum schmerzte es noch immer obwohl das Schluchzen verstummt und die Tränen versiegt waren. Bin ich denn nichts wert in deinen Augen? Willst du gar nicht, dass wir miteinander auskommen? So klagte ihre innere Stimme, während die Finger der rechten Hand auch die letzte Strähne aus dem Gesicht der Kriegerin gewischt hatten. Sie atmete leise aus und schlug den Blick nach oben in das glanzlose Gold.


Sie war zugegen, zunächst stumpf, dann immer mehr. Doch je mehr sie zu sich kam, die Hand auf der kalten, brennenden Haut spürte, desto mehr verkrampfte sich ihr Magen. Wegrennen, sie wollte es, nachdem ihr bewusst wurde wer da war, mehr als am Abend zuvor. Doch sie konnte nicht rennen. Ihr Körper ließ es nicht zu. Wer weiß wie lange sie da noch lagen, bis sie sich krampfhaft an der alten Borke nach oben zerrte und Minna endlich freigab. Die Augen hatten derweil die ganze Zeit in das Flieder gestarrt. Angst, Schuldgefühle, Reue, Schmerz. - Sie wollte bleiben, doch sie traute sich nicht. Sie wollte es erklären, sie hatte es sich vorgenommen, sie wollte es ändern für die Zukunft. Damit es eine Zukunft gab. Und doch war sie feige. Die gesammelte Kraft reichte kaum, sie selbst hoch zu bringen, geschweige denn die Böschung nach oben. Minna freigegeben, sie erkannt und sich erinnert, würde sie gerne, doch sie kann nicht. Die Hände zucken in ihre Richtung, sehen den geschundenen Leib der Blonden, den man greifen und halten will, zurück nach Fels auf den Armen tragen auch wenn man selbst kaum stehen kann. Sie schafft es kaum den Weg entlang, doch die Kraft reicht um von der Blonden weg zu kommen so schnell es geht...nicht aber um bei ihr zu bleiben. Angst.


Die Trauerweide tanzte nicht mehr mit dem Herbstwind, ihre langen Äste warfen verzerrte Schatten in das ausdrucksloses Gesicht. Sie war wieder allein.

Kommentare 6

  • Ok ich hab es zwei Mal gelesen um es richtig zu kapieren, das macht es aber nicht weniger traurig. :O

  • Wow, sehr stark, aber wirklich auch sehr traurig.
    Man möchte nicht Zeuge dieser Szene sein und kann doch nicht weg gucken.
    Schwere Kost, aber großartig geschrieben.

    • Ja, sehr. Es transportiert die Trauer sehr gut. Da wird einem schwer ums Herz

  • Es jagte eine Gänsehaut über meinen Rücken als ich die letzten Worte gelesen hatte. Verdammt gut geschrieben. Verdammt traurig wie dieser Tag endete.

  • WOW! Das ist... wunderschön! QQ <3

    • In erster Linie war es ein sehr trauriges RP. Aber dankeschön! <3