Mitternachtswalzer
Celia Caldwell schwitzte. Entgegen landläufiger Meinungen ging es in Ballsälen weniger romantisch zauberhaft zu, als vielmehr laut und stickig. Der ausgelassenen Freude auf der Tanzfläche tat das keinen Abbruch, doch hier am Rand der Mauerblümchen, zu denen auch Celia sich zählen lassen musste, wollte sie nicht recht ankommen. Die Tanzkarte, die an ihrem Handgelenk baumelte, war leer, dabei hatte ihre Mutter ihr glaubhaft versichert, dass sie heute besonders adrett gekleidet war. Celia glaubte ihr. Heather hatte ein Händchen für Mode, aber an einem Körper wie dem ihren, der überall mit einem gewissen 'Zuviel' aufwartete, wirkte auch die kostbarste Seide unvorteilhaft und plump. Cressida Stones hatte noch ganz andere, viel hässlichere Umschreibungen dafür gefunden und Celia hätte schwören können, dass sie gerade ganz besonders oft an ihrer Nase vorbei tanzte.
Celia reichte es. Am Rande der Tanzfläche zu versauern frustrierte sie so sehr, dass sie Hunger bekam. Die leckeren Häppchen am Buffet waren genau das richtige, um sie jetzt zu trösten und dieses Eclair, in das sie gerade herzhaft biss, war einfach zum Niederknien.
"Haben Sie die Erlaubnis zum Walzertanzen?"
Celia hörte die Worte in ihrer Nähe, doch da sie ihr nicht gelten konnten und das Eclair gerade seine Form verlor und sie sich gezwungen sah, den ganzen Rest auf einmal zu vertilgen, kümmerte sie sich nicht darum. Ein leises Lachen erklang, männlich tief und selbstbewusst.
"Ich gebe zu, bisher hat mein Charme noch nicht gegen ein Gebäckstück verloren."
Celia erstarrte und sah langsam auf. Dort stand -er-. Groß, dunkelbraune Locken, stattlich und mit einem Lächeln gesegnet, das ihr galt. Ihr. ...und den Schokoladenfleck in ihrem Mundwinkel, auf den er diskret mit einem amüsierten Fingerzeig am eigenen Mund hinwies.
Celia errötete heftig und drehte sich rasch um, um hektisch nach einer Serviette zu suchen. Seine schlanken Finger reichten sie ihr, zogen sie aber gleich wieder fort, als sie danach greifen wollte.
"Ich tausche sie gegen eine Antwort auf meine Frage."
"Die noch einmal wie lautete?" In Celias Vorstellung hatte sie selbstbewusster geklungen. Was aber aus ihrem Mund kam, klang zu hoch und dünn. Sie konnte sehen, dass es um seinen Mund herum zuckte.
"Haben Sie die Erlaubnis Walzer zu tanzen, Miss.", wiederholte der Unbekannte seine Frage und reichte Celia dabei die Serviette zurück.
"Ja, gewiss, aber...." Weiter kam sie nicht. Sie hatte gerade noch die Zeit, sich die Schokolade aus dem Mundwinkel zu tupfen, da hatte er auch schon ihre freie Hand ergriffen und marschierte mit ihr entschlossen zwischen überraschten und ungläubigen Blicken hindurch auf die Tanzfläche.
Viele Jahre später schloss Celia das Buch auf ihrem Schoß und strich mit einem Finger über das, was sie schon lange als Lesezeichen benutzte. Es war eine leere Tanzkarte.
Kommentare 24
Ovy
Supergoldig. Habe ganz kurz gedacht sie zieht eiskalt das Eclair vor, wie bei so einer...Eclair-Werbung!
Alessa Di Saverio Autor
Sie hatte ja keine Wahl! Danke dir.
Minna
Ich bin mir nicht sicher ob ich nun Lust auf einen Eclair oder einen Walzer habe... Schöne Geschichte - mit Atmosphäre.
Alessa Di Saverio Autor
Ich nehme beides. Und den Mann xD danke dir
Minna
Ich kann leider nur mit schwarzen Locken und weiblichen Geschlecht dienen. Aber dafür auch mit gutem Cognac und ein paar Eclairs kann uns sicher auch jemand spendieren!
Alessa Di Saverio Autor
Ich bin mir nicht sicher, ob Cognackonsum Celias Bruder so recht wäre
Minna
Er wird nichts erfahren. *lässt die Vorhänge runter*
Saso
Ahw, ich kann das mitfühlen. Ich würde mich wie Celia fühlen. Schön geschrieben!
Alessa Di Saverio Autor
Danke dir
Levi Iorga
Ich habe die Buffetszene nachgespielt, hatte aber leider kein Eclair da.
Schöner Einblick, aber das schrieb ich dir ja schon. Ich mags.
Alessa Di Saverio Autor
Danke dir
... Und ich möchte die Buffetperformance einmal live sehen xD
Levi Iorga
Wenn du mir ein paar richtig, richtig gute Eclairs besorgst
Alessa Di Saverio Autor
Aber natürlich. Für Levi dann extra mit Vanillefüllung
Travon
So ein Biest, oder?
Toll geschrieben. Und wie neugierig man als großer Bruder da gleich wird, wer der Kerl war.
Alessa Di Saverio Autor
Tjahaaa, was der große Bruder nicht weiß....
Danke dir