Ungeschickt

Die Feder kratzte über das Pergament mäßiger Güte und unterschrieb von schlanken Fingern geführt den Brief mit dunkler Tinte und dem Herzblut einer jungen Frau, die Worte liebt. Es ist schön zu sprechen, schön zu erzählen und schön sich über Silben zu freuen, wenn sie die Gelegenheit dazu geben. Es ist schön gemeinsam zu lachen und zu träumen, zu albern und zu flüstern. Auch so manches heiseres Raunen war ihr nun nicht mehr fremd von einer Männerstimme her rührend, die dabei ihren Namen sagte. Eine lange Zeit war dort nur eine, der sie alles anvertraute, seit sie zur Anwärterin geweiht worden war. Dann kam eine andere, als die Schreiberin dieser Zeilen sich anschickte eine erwachsene Frau zu werden und log, ließ sie alleine. Dann, auf ein mal waren da so viele, als die erste und wichtigste Freundin bis dahin gehen musste und Götterfels die Mandelaugen mit Neuigkeiten zuhauf empfing. Die wahre Freundin, zweite Mutter und ihr Vorbild ging für immer. Die wahre neue Freundin kam, vermutlich auch für immer. Hoffentlich doch. Sayo lag bäuchlings auf dem Bett. Vor ihr das Schreibbrett mit dem breiten Tintenfass, das nicht zum ersten mal ausgelaufen wäre, wenn es nun kippen würde. Hinter ihr die Wand, gegen die der große Zeh tippte, weil sie die Beine angewinkelt aufgestellt hatte.


„Weißt du, ich traue mich nicht Ian zu fragen, ob er mich dort hin ausführen möchte. Ich meine, ja.... ich habe das Kostüm nur für ihn genäht, aber erstens nähe ich furchtbar und zweitens würde ich liebend gerne ein mal in seiner Heimat mit ihm ausgehen und ich weiß ja nicht mal ob es dort solche Feste überhaupt gibt. Seine Mutter findet ja sowieso alles wundervoll, was er macht und mag, aber sein Vater ist so... gar nicht er.“ Sayo hob ratlos die Hände über stützenden Ellbogen und schüttelte mit zum Zuhörer gewandtem Blick ratlos den dunklen Schopf. „Andererseits, als sie am Tisch saßen und ihr Figurenspiel weiter spielten, waren sie sich plötzlich ähnlich. Na ja, jedenfalls...“ Sayo legte die Feder nach einem Wischen der geschnitzten Spitze über einen kleinen Stofffetzen, der ein mal zu einem ganzen Tuch gehörte zur Seite. „Er würde es mögen. Aber ich will mich nicht lächerlich machen oder mich vor seinen Eltern kindisch benehmen.“ Die junge Frau schielt zum Adressaten ihrer Worte. Da sprach die streng canthanisch auf der Welt Begrüßte mit Kindheitserinnerungen. „Ja, schau mich nicht so an, ich weiß, die hohen Herrschaften treffen sich auch bald zum gruseligen Tanz. Aber die dürfen das. Eine Novizin eigentlich nicht. Glaube ich. Ich wäre trotzdem gerne dort.“ Ein unwahrer Wunsch entsprang so der trotzig gefärbten Stimme ohne hörbaren Akzent. Sie ist nun ein mal eine geborene Krytanerin, wie alle Canthaner hier. Eigentlich war ihr ein lauschiger Abend der Zweisamkeit oder unter einfachen Freunden lieber als offizielle Feste mit Rängen und Namen, zu denen sie nicht im Ansatz passte. Aber welche junge Frau faszinierte so etwas denn überhaupt nicht? Carey vielleicht, dachte sie bei sich, aber auch die schwärmte hin und wieder vom Silbertanz, damals ausgerichtet vom Grafen von Ährenstolz. Sayo würde ihn immer falsch schreiben. Die Mandelaugen fixierten die Tinte, diesen sternenlosen Himmel im Lichterspiel der flackernden Öllampen und spitze Lippen pusteten ein Loch in die unbewegte Luft der Kammer. „Vielleicht versteht er die Andeutungen ja. Ian ist viel aufmerksamer als man vermuten mag. Noch ein wenig aufmerksamer als ich in solchen Dingen.“ Die Novizin krauste verzückt und beschämt zugleich den Nasenrücken. „Iverem hat mir das ja auch nicht geglaubt. Am Anfang, meine ich. Noch habe ich nicht aufgegeben, dass die beiden sich eines Tages bestens verstehen. Es wäre furchtbar, wenn nicht. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg dahin. Nicht wahr?“ Sayo hielt inne und seufzte. „Ich bin manchmal ganz schön egoistisch, tut mir leid. Am Anfang war ich vollkommen überfordert mit allem hier, aber jetzt ist es besser geworden. Zwei Jahre bin ich bald schon in Götterfels. Oder ist es etwa schon so weit?“


Geschickte Hände fassten nach den Kanten des Briefes und begannen ihn zu falten. Ein mal mittig in der Höhe und ein mal in der Breite. So passte er gleich in den offenen Umschlag, der parat lag. Bis auf die reibenden Finger auf trockenem Papier war es still in der kleinen Kammer für Zwei, in der momentan nur eine wohnte. Iverem war weit weg, ihr Bett gemacht und niemand wärmte es zur Nacht. Weiter weg als sie es sich selbst je erträumt hatte und Sayo hätte es ihr niemals ausgeredet, wollte es aber insgeheim. Allein für diesen Willen fühlte sie sich schlecht. Es war eine ganz eigene Folter, diese Angst davor, eine Befürchtung werde vielleicht wahr. Wie ein steter Tropfen, der jeden Tag mehr Zeit bekam den Stein zu höhlen. Und der Fels des Daseins war in diesen Zeiten rissig und durchdrungen von den Wurzeln des Bösen. Überall auf Tyria. Und dabei war ihre beste, äußerlich so andersartige Freundin erst zwanzig Tage fort. „Ob es ihr gut geht?“ Sayo sieht ihrem Zuhörer in die leblosen Augen. „Aber, das... weißt du nicht,“ begann sie zu flüstern und sprach doch nicht aus, was folgen sollte, da ihr leider eigentlich vollkommen klar war, dass das geliebte kleine Mäuschen aus Porzellan kein Wort verstand. Ian schenkte es ihr, weil er Sayo gerne sein Mäuschen nannte und sie sah sie sich jeden Tag mit einem Lächeln an. Es war wie mit Masao, den man ihr im Kindesalter schenkte und der nun mit Iverem auf Reisen gegangen ist. Masao war ein verzauberter Jadeaffe, der auf alles eine Antwort kannte. So leise, dass niemand anderes sie hören konnte. Aber mit den Jahren büßte er von seiner Magie ein. Sayo schluckte. Das Monster des Verstandes wuchs mit dem Menschen. Die Gefahr wurde von einer Angst vor Schatten zur Furcht vor fleischlichen Tyrannen, ob lebendig oder untot. „Priesterin Csar, Chalid und Masao passen schon auf sie auf,“ ermutigte sie sich selbst, verschluckte dabei so manchen Ton im Wispern und schloss kurz die Augen. Draußen war es dunkel geworden. Innerlich auch, als flöge ein Schatten über die Seele. Lag die Ernüchterung aller Vorstellung an ihrem Weg zur Priesterin? War sie überhaupt bereit dafür? Nebensächlich war es in diesem Augenblick, was mit ihr selbst geschah, auch wenn sich Sayo eben noch für eine Selbstsucht rügte, die lange nicht an die der meisten Menschen heran reichte.


Der Brief rutschte in den Umschlag und Sayo gab sich alle Mühe ihn ordentlich zu schließen. Die Lasche klemmte lediglich unter der gegenüberliegenden Falz und es brauchte kein Siegelwachs, denn niemand wäre in der Lage ihn abzufangen. Sie hatte vor ihn selbst abzugeben. Die Novzin erhob sich mit Bedacht, damit das Schreibbrett nicht kippen konnte und nahm es auf, um es bei Seite zu legen, wo ihre Stiefel schon auf alten Dielen standen. Danach langte sie nach dem Brief, wendete ihn noch sitzend über aneinander gestellten Knien mehrmals und seufzte leise. Ihr langes, weißes Nachtgewand hatte einen Flicken über der Hüfte, weil sie vor Tagen an einem Nagel hängen geblieben war, den sie zuvor selbst einschlug um eine Notiz fest zu machen. Statt eines zauberhaften Geistes im weißen Kleid, war Sayo nur ein hübscher Tollpatsch mit der zauberhaften Gabe das Chaos auf ihrer Seite des Zimmers zu durchschreiten ohne zu stolpern, bis sie in Iverems Seite, dem Land voller unangetasteter Ordnung angekommen war. Die baren Füße freuten sich auf den kleinen Teppich in der Kammermitte, denn sie fror noch immer von Herbst bis Frühjahr und bei jedem Regen. Und Nachts. Manchmal auch bei Wind. Als der Bodenwärmer, alt und plattgelatscht hinter ihr lag, setzte sie sich an den Rand des leeren Bettes. „Für meine beste Freundin,“ stand auf der Rückseite des Umschlages geschrieben. „Bitte komm heile zurück, ja?“ sprach sie dem Schreiben zu. So sicher, Iverem würde es hören, dass sogar Masao neidisch auf das geschöpfte Schreibmittel werden konnte. Über den Wangen zog es ihr, die Lippen gekräuselt musste sie Schlucken, weil ein Kloß im Hals größer wurde, als sie den Brief auf das Kopfkissen legte. Alles was sie Iverem heute erzählt hätte, stand auf den Seiten darin. Sayo wanderte zurück, pustete das Öllicht auf dem Nachtschrank aus und kroch unter ihre Decke. Dabei fiel vom Knöchel berührt der linke Stiefel um. Fast auf das Tintenfass. Ian, der größere Zauberaffe war oft für sie da, doch die Novizenausbildung nahm nicht immer Rücksicht auf Befindlichkeiten, gleich was er wirklich wollte. Vermutlich vermisste er Chalid auch, dachte sich Sayo hin und wieder, doch Männer würden das doch nie zugeben. Nur noch der Zopf lugte über dem Kissen unter der Decke hervor. Ein kleines, leises Schniefen, dann wurde es still, auch wenn die Wände in den Unterkünften Ohren hatten. Am Morgen würde sie sicher von der neuen Anwärterin geweckt werden. Katelyn. Sayo mochte sie, auch wenn man sich noch nicht so gut kannte und bat sie im Vorübergehen beim Abendessen darum zum Morgen wach zu klopfen, bis sie zurückklopfte, weil die canthanischstämmige Novizin dazu neigte zu verschlafen. Ironischerweise erinnerte sie Katelyn immer ein wenig an Iverem in ihrer ersten Zeit im Orden, als sie ein Zimmerpärchen wurden. Auf Reisen mit Priesterin Aima wurde Sayo wach, wann sie beide eben wach wurden. Das Leben war ein anderes.


Auf Sayos Kissen ruhte eine müde, besorgte junge Frau, die Ians Mütze in klammernden Finger hielt und eine versickernde Träne der Sorge in der Wolle. Auf Iverems Kissen schon der zwölfte, ungelesene Brief. Ein Tagebuch, das Sayo nicht für sich schrieb, sondern damit Iverem ja nichts verpasste, bis sie zurück kehren wird. Ganz sicher. Bitte, Grenth.

Kommentare 4

  • Ich finde ja den 'Bruch' zwischen dem letzten Absatz und allem davor schön kontrastierend. Es wirkt fast so als würde sie ewig im Zimmer warten.


    Und Ians Mutti ist sicher goldig!

    • Dankesehr, dann hat es ja mit dem was ich vermitteln wollte geklappt. Und ja, ist sie. Ian hat da wirklich Glück. :D

  • Ich kenne die genannten Charaktere nicht, aber die Sorge die Du beschreibst ist für mich sehr greifbar. Zuerst dachte ich, sie unterhält sich mit einem Haustier oder Stofftier o.Ä. Doch die Briefwahl gefällt mir sehr gut und sie ist doch dem Anlass entsprechend sehr persönlich.
    Sayo bekommt von mir die Daumen gedrückt, dass die Sorge unbegründet ist. :)

    • Vielen Dank und ja, die Sorge war unbegründet, auch wenn beim wunderbaren Wiedersehen noch ein wenig Salzwasser verschüttet ging. ;)