Hoffentlich nur ein Albtraum

So fest zog er mir an den Haaren, dass meine Augen aus ihren Höhlen hervorquellten. Jedoch wurde ich davon erlöst, als ich mit einer unglaublichen Wucht die langen, kalten, steinernden Treppen zum Keller runtergeschubst wurde, und mein Kopf gefühlt auf jeder einzelnen Stufe so hart aufschlug, dass mein Schädel hätte zertrümmern müssen.
Markerschütternd laut knallte die eiserne, schwere Tür zu, als ich unten aufkam, und sperrte somit das restliche, spärliche Licht aus. In dieser kompletten Dunkelheit, zerrte ich mich auf allen Vieren über den eiskalten, rauen Boden in eine Ecke, nur um dort mein Bewusstsein zu verlieren. Stunden, vielleicht einen Tag? Dort unten konnte ein Tag eine halbe Stunde sein, und eine halbe Stunde ein Tag. Als ich meine Augen wieder öffnete, wieder zu mir zurückkehrte, und mein Körper unter schrecklichen Schmerzen stand, befand ich mich noch immer im Keller, der so eisig war, dass sich eine schon schmerzhafte Gänsehaut am ganzen Körper gebildet hatte. Mit unerträglichen Kopfschmerzen hatte ich nun Zeit nachzudenken. Nur über was? Der einzige Gedanke, der in meinem schmerzenden Kopf umherkreiste war: Warum bist du hier?


Warum bin ich hier? Vermutlich aus Bestrafung. Ich war nämlich schon immer ein freches, unerzogenes Kind, das viel zu viele Freiheiten genoss. Das jedenfalls sagte mein Vater.
Aber deswegen so eine Brutalität an mir auszuüben, und mich tagelang einzusperren? So hat es sich angefühlt. Rausgestellt hat sich, dass ich nur einen halben Tag dort war.
Vielleicht hatte ich diesmal was sehr falsch gemacht, oder etwas besonders Schlimmes angestellt. Aber niemals würde ich so schlimm sein, dass man mich im Keller einsperrt!
Nun ja, anscheinend schon. Ruhe bewahren musste ich, denn ich war mir sicher, dass ich dort nicht für immer sein würde. Mein leises Weinen hörte niemand, und wenn ich geschrien hätte, will ich mir gar nicht ausmalen, was noch hätte passieren können. Doch zurück zum Nachdenken. Bin ich alleine hier im Keller? Plötzlich hörte ich es aus allen Ecken knistern und rütteln. Ich bekam das Gefühl auf meiner Gänsehaut, dass tausende Spinnen über mein Leib krabbeln würden. Meine nackten, durchgefrorenen Füße wurden von Ratten gebissen. So hat es sich angefühlt. Wie ein Irrer schlug ich um mich, hab mich zusammengekugelt und meinen Kopf zwischen die Knie geschoben, um somit diese schaurigen Gedanken aus meinem Hirn zu bekommen. Es mussten Gedanken gewesen sein! Denn als ich die Ratten totschlagen wollte, haute ich nur auf leeren Boden. Und als ich die Spinnen in meinem Gesicht zerquetschen wollte, gab ich mir nur grundlos selber Ohrfeigen. Keine Spinne, keine Ratten.


Wieder verging eine gefühlte Ewigkeit, in der ich durch den dunklen Keller krabbelte, weinend. Meine rauen, zittrigen Hände erkundigten den dreckigen Boden und die brüchigen Wände. Meine Füße spürte ich schon lange nicht mehr. Im Minutentakt griff ich nach ihnen, um zu spüren, ob sie noch dran sind. Ich konnte ja nicht einfach nachsehen. Das war das Schlimmste. Die Dunkelheit. Die Schmerzen und die Kälte waren unerträglich, doch die Dunkelheit hat mich fast aufgefressen. Dazu kam die Stille, die nur von meinem Weinen und Atem unterbrochen wurde. Wenn ich gar nichts tat, hörte ich die Stille. Sie war unglaublich laut, ohrenbetäubend und trieb mich in den Wahnsinn.
Ich habe dort unten alles viel intensiver gespürt. Mein Herzschlag, der mal raste und sich mal beruhigte. Ich hatte Angst, dass mein Herz jeden Moment aussetzen würde. Atmen wurde zum aktiven Prozess, der mir nach einer Weile so schwer fiel, dass ich dachte ich habe im nächsten Moment nicht mehr genug Kraft und ich ersticke.


Es war egal wo ich hinstarrte, denn es war alles dunkel. Vielleicht starrte ich auf den Boden, an die Wand, zur Treppe oder auf irgendein altes, morsches Regal, welche zur Genüge im Keller standen. Doch stellte sich endlich heraus, dass ich wieder vor der Treppe saß und ich die Tür anstarrte, denn diese öffnete sich quälend langsam. Eiskalter Schweiß lief über meinen Rücken, das Blut gefror in meinen Adern. Ich kniff meine tränenden Augen für eine Weile zu, um mich dann blinzelnd an das verschwommene Licht zu gewöhnen. Eine Hand über meinen Augen diente als Schutz. Jemand stand in der Tür, doch ich konnte nicht erkennen wer. Bis diese Person mit eiligen Schritten die Treppe zu mir runter rannte, und mich an ihre Körperwärme drückte, indem sie die Arme mit viel zu viel Druck um mich schlang. Es war meine Mutter, die plötzlich als Ofen fungierte und mich die Treppen nach oben trug. Erst später begann ich bitterlich zu heulen und zu schreien, da ich die ganze Zeit hoffte, dass dieser Tag nur ein Albtraum war, und ich nicht wirklich mit diesem Gedanken leben muss.

Kommentare 5

  • Oh man ist sofort mit im Keller! Albtraum war es wohl auch nicht.

  • Eine sehr mitreißende, gruselige Geschichte. Ich mag das du aus der Ich-Perspektive schreibst, es haucht den Zeilen viel Leben ein und man fühlt die Panik, Verzweiflung und Angst intensiver.


    Und jetzt entschuldige mich bitte, ich muss in der Zeit zurückreißen und Finns Vater in eine kleine Kiste voller Spinnen sperren.

  • Schaurig gut geschrieben. Ich hab so eine Kellerphobie ich konnte mich verdammt gut in die Hauptfigur rein fühlen. Das sie aus der Ich Perspektive geschrieben ist gefällt mir auch mega gut. Ich hatte Gänsehaut beim lesen.

    • Freut mich sehr, dass es dir gefällt.
      Ich habe auch eine schlimme Kellerphobie!