Das Kästchen

Als der Abend sich neigte um schon zur Nacht zu werden, verließ ich meine Arbeitsstelle am Ministerium. Ich musste noch einmal zurückgehen, weil mir auf halbem Weg einfiel, dass ich ein Geschenk des Tages doch wahrhaftig dort vergessen hatte und dabei schlich ich doch gedanklich immer wieder darum. Wie seltsam, nicht? Man denkt den ganzen Tag über etwas nach, beobachtete es, streicht mit den Fingern darüber und dann kommt die freie Stunde und es bleibt genau dort, wo man es abgestellt hatte. Maura war bereits fort, hatte sorgsam die Türe verschlossen und die Lichter gelöscht, sodass ich mich im Halbdunkel erst vortastete und dann einen kleinen Zauber schillern ließ als Wegbereiter. Sicherlich ich hätte eine der Kerzen entzünden können, aber das wäre der Aufwand zu viel gewesen um nur ein Stück aus meinem Büro mit mir zu nehmen.


Das Kästchen ist gar nicht so schwer, es liegt einfach in der Hand ist nicht groß um mich beim Abschließen der Türe zu behindern. Dennoch ist die Aufgabe und das Versprechen ein schwerwiegenderes und ich binde mich an Versprechen und Aufgaben mehr, als man es wohl von mir glauben will. Ich bin für viele das verwöhnte Prinzesschen, die ungeachtet Anderer aufgestiegene Adlige, jene die nicht verdient, was sie erreicht hat und der nur ihr Name und vielleicht ihr hübsches Gesicht geholfen hat. Götterfels hat mir viel gezeigt, ich habe viel gelernt. Nicht jede Hand, die dir gereicht wird ist eine freundschaftliche und nicht jedes Lächeln ein echtes. Freundschaft bedeutet hier einen Windzug, Loyalität und Vertrauen wird zwar ausgesprochen und doch nicht zugesprochen. Eine harte Schule und manchmal, manchmal bekommt man von jemandem, den man nicht so gut kennt und dem man aber selbst Vertrauen schenkte, ein Kästchen. Mein Blick fällt auf dieses als ich schon die Palastgärten hinter mir gelassen habe und ich höre sie kaum mehr die Wachen der Rosengarde, die mein Leib und Leben schützen auf Straßen, auf denen mancher Schuhe gestohlen bekommt, anderer die Börse. Sie gehören zu mir, zu meinem Auftreten, kündigen mich an und sind meine stummen Begleiter auf jedem Weg. Mal sind es zwei Männer, mal zwei Frauen, mal ein gemischtes Paar und doch ist jeder von ihnen Willens sein eigenes Leben für mich aufzugeben. Es ist ihre Aufgabe und ich bin dankbar dafür.


Aufgabe. Dieses Kästchen ist eine Aufgabe, ein Versprechen kommt es mir wieder in den Sinn und ich nicke einmal, ich werde mich dessen annehmen. Am Anwesen angekommen, gebe ich das Kästchen aus der Hand und gehe direkt zu meinem Bruder, einige wenige Worte, noch ein Küsschen für meine Nichte. Hernach ziehe ich mich in mein Arbeitszimmer zurück. Da steht es wieder, dieses vermaledeite Kästchen! Mitten auf meinem Schreibtisch und ich trete auf ihn zu, festen Willens es zu öffnen und zu verwenden. Die Fingerspitzen schon daran gelegt, zögere ich. Nein, es wartet noch Arbeit. So gehe ich um den Schreibtisch herum, schiebe das Holzgefäß zur Seite und nehme Papier und Feder zur Hand. Die ersten Worte kratzt die Feder über das Geschöpfte und ich bemerke, wie ich wieder zum Kästchen sehe. -Nur kurz, jetzt bist du allein, es stört niemanden.- drängt die innere Stimme mich und ich nehme das Kästchen wieder vor, ziehe es leicht schabend über das Holz meines Schreibtischs. Meine Finger lösen den Haken, der die haltende Hand ist um Deckel und Körper zusammen zu halten. Ich klappe es auf, dann schließe ich es wieder. -Ich habe noch Aufgaben.- Wie eine Katze um das Milchschälchen schleiche ich gedanklich um das Kästchen und seinen Inhalt und überwinde mich doch die letzten Briefe des Tages aufzusetzen.


Wieder wandert das Kästchen in meiner Hand, ich trete hinaus und nehme es mit in meinen Schlafbereich. Dort gebe ich es der Dienerin, die mir mein Bad vor der Nacht gerichtet hat und ein Glas Weißwein bereitstellte, weil sie die Müdigkeit in meinen Augen sah. Das Kästchen stellt sie an mein Bett, auf meinen Wunsch hin und aus dem hübschen Kupfergefäß in dem ich meinen nackten Leib bette kann ich es sehen. Minuten vergehen, ich höre die Standuhr jede Sekunde mit einem leisen Klacken bemessen. Meine Finger trippeln auf dem Wannenrand, eine Gänsehaut streckt sich über meinen Nacken bis zum Rücken herab, ich bin unruhig obwohl ich müde bin. Ein Schluck Wein. Wein hilft immer und bei fast allem, das Glas in der Hand, den zarten Rand an den Lippen halten meine Augen das Kästchen im Blick als wolle es gleich auf die Füße kommen und davon eilen: „Verflucht!“ Mit leisem Klirren stelle ich das Glas zur Seite und das Wasser schwappt ein wenig nach dem Soggefühl des unvermittelten Aufstehens aus der Wanne. Ich nehme eins der Tücher, schlinge es um meinen Leib und trete auf mein Bett zu, dabei lassen mich meine feuchten Füße auf dem Parkett beinahe lang hinschlagen. Gerade noch kann ich mich mit der Hand an einem Pfosten des Himmelbettes einhalten, sonst hätte ich wohl wieder einen blauen Fleck und Schlimmeres erklären müssen vor den Augen der Stadt. Wer ist schuld? Das Kästchen. Ich schnaube und lasse es wieder stehen, gehe zum Frisiertisch und nehme die Bürste zur Hand. Jede Strähne hundert Bürstenstriche sagte meine Mutter damals. Sonst kämmt mich meine Zofe, jetzt kämme ich mich und durch den Spiegel beobachtet es mich, das Kästchen und sein Inhalt. Mein Fuß wippt nicht, aber mein ganzer Leib ist angespannt. „Ich kann sowas gar nicht“, spreche ich mir zu, streiche aber sehr langsam mit der Bürste vom Scheitel bis zur Spitze. Noch ein Strich der Bürste, bilde ich es mir ein, oder kam das Kästchen näher? Wie will denn ein Kästchen näher kommen? Es steht immer noch auf dem Nachttisch und starrt mich an! Sehr wohl, es starrt und mir kribbelt es im Nacken. Ich bemerke erst jetzt, dass ich die ganze Zeit durch den Spiegel nur auf das Holz schaue und bisher nicht einmal mein Gesicht angesehen habe. Aus einer Regung in mir, strecke ich der Spiegel-Leandra die Zunge entgegen und erhebe mich, die Bürste darf da bleiben.


Kästchen und ich sind wieder gewandert, bald kann man uns als dicke Freunde bezeichnen. Wir verweilen zwar immer noch im Schlafbereich, aber nun dort, wo ich noch einen dicken Sessel vor einer Bücherwand stehen habe. Alles Gedichtbände, neben meinen Puppen mein ganzer Schatz und egal wohin ich ziehe, diese Bücher ziehen mit mir um. Eines darunter ist sogar ein Einzelstück, denn darin sind meine Gedicht gebunden und bisher gab es nur einen Menschen, der einen Teil davon vor Augen bekam. Aber jetzt geht es nicht um die Bücher. Ich habe es gewagt und das Kästchen geöffnet, meine orange-braunen Turmalin-Augen sehen auf die kleinen Pfeile nieder. Hübsch sind sie, muss man ihnen lassen. Dunkle Federn am Ende, Stahlspitzen auf der anderen Seite und der Verbund sind Griffe aus Halbedelsteinen, marmoriert. Ich erkenne Jade, Amethyst und Lapislazuli, ein schönes Geschenk, wenn man sie so betrachtet. Der erste wandert in meine Hand, ich bewege meine Finger um das Gewicht abzuschätzen: „Soll ich?“. Wieder ein Abwägen: „Nein.“ der Pfeil geht wieder ins Bett im Holz. Es ist nicht richtig so etwas zutun, es ist falsch einen Menschen mit Pfeilen zu bewerfen, selbst wenn es nur ein Abbild ist und der Person selbst nichts geschieht.


Drei Schritte weggegangen bin ich mit zweien schon wieder am Kästchen, doch ich wage es. Ein Nicken, wieder nehme ich einen der Pfeile in die Hand, aber wohin werfen? Ein Bild habe ich nicht, eine Holzplatte könnte ich mir bringen lassen. Mit dem Pfeil in der Hand denke ich nach, wiege den Kopf und schäme mich vor mir selbst ein wenig als mir einfällt, welche Profession man mir von Kindheit an beibrachte. Es braucht nur einen kleinen Zauber und schon sehe ich das Gesicht, welches mir so viel Kummer bereitet hat. Mehr noch, er senkte mein Selbstwertgefühl, ließ mich Tränen vergießen. Und mit dem aufkommenden Kummer, kommt auch die Wut. Wut, die ich immer runterschlucke, Wut, die ich mir nicht erlaube und zack da fliegt er schon der erste Pfeil wie von selbst von meiner Hand. Er trifft nicht das etwa zehn Schritt entfernte Bild, sondern landet mit der Spitze voran in aufgestellten Blumen und von diesen geleitet plumpst er in die Vase. „Bei den Göttern, wenn ich es versucht hätte genau so etwas zu vollbringen, wäre es nie geschehen“, und ich lache darüber. Ich nehme den nächsten Pfeil und werfe ihn auf das lächelnde, mesmerisch erschienene Bild und... verfehle wieder klassisch, diesmal steckt die Stahlspitze im Holz des Regals. Ein Räuspern, einen Versuch habe ich noch! Der letzte Pfeil, der mit dem Jadegriff, liegt in meiner Hand und da ich nun langsam ein Gefühl für die Pfeile bekomme treffe ich und wie ich treffe, genau zwischen den Augen.


Erst wage ich nicht zu lächeln, schäme mich auch ein wenig. Ich starre auf den aufgepieksten Gesellen und im nächsten Moment entflieht mir ein mädchenhaftes Kichern, dann ein Lachen und ein Kopfschütteln, darauf einen Schluck Wein! Das geschieht ihm Recht! Soll das Leben ihm auch eins zwischen die Augen geben, wie dieser Pfeil es vermochte! Ein Gedanke für den ich mich sonst schämen würde, der mir aber gerade wie warmes Öl über den Leib läuft. Meine Finger trippeln kurz über das Holz des Kästchens, dann mache ich mich auf die Pfeile einzusammeln. Es galt noch ein paar Löcher in ein Angesicht zu werfen, vielleicht fällt mir ja noch jemand ein, dem derartig zuzufügen wäre, wer weiß und dazu guter Wein. Welch amüsanter Ausklang des Tages, ich werde -ihr- morgen danken für dieses abgenommene Versprechen!

Kommentare 8

  • Ich sehe gerade ein ganz bestimmtes, durchlöchertes Gesicht vor meinem inneren Auge.
    Sehr interessant beschrieben, dieser innere Kampf mit dem Kästchen und seinen Verlockungen, die schon zum Anfang der Geschichte so groß sind, dass man extra noch mal zurückgeht, um es aus dem Büro zu holen, anstatt die Sache zu vertagen. Oder griff da bereits das gegebene Versprechen?
    Hat mir gefallen, kurzweilig, menschlich, lebendig.

    • Ich kann es gar nicht selbst sagen, was da gegriffen hat. Ob Versprechen oder Verlockung, die Geschichte ist einfach so aus den Fingern "gelaufen".


      Danke für deine Worte, freut mich, dass sie gefallen hat.

  • Und die Neugier schliff mich im langen Spannungsbogen hinterher. Sehr unterhaltsam geschrieben und mit einer süßen Auflösung.


    Zum Glück hat das ach so ungeschickte Kind nicht schon wieder ein Veilchen. Ne, ne...

    • Das ist fein, dass ich dich hinterher schleifen konnte, gerade dich, wo du doch meinen Schreibstil schon so viele Jahre kennst. <3

  • Ich hab es dir im Skype schon geschrieben, ich sag es dir hier auch nochmal: Ich finde die Geschichte toll. Zu lesen, wie Leandra nach und nach von einer Idee verführt wird etwas zu tun, die eigentlich nicht typisch für sie ist, dass es ihr auch ein bißchen unheimlich ist, so wirkt es zumindest, dass siesich ein bißchen sträubt und es am Ende doch wagt finde ich großartig. Deswegen ganz viel Liebe für diese Geschichte. <3


    Kommt auf die Dunkle Seite der Macht, Prinzessin Lea. Wir haben Kekse. Und Dartpfeile.

    • Schon bei Übergabe des Geschenks kam mir diese Geschichte in den Sinn und dann sagtest du ja, es wäre super schön zu lesen, wie Leandra damit umgeht. Gedacht, gesagt, getan. Ich freue mich sehr, dass dir auch die Umsetzung gefällt. <3

  • <3