Ein Bekannter in meinem Bett

Die Morgensonne küsste das Gesicht und schien auf die athletisch definierte, weibliche, aber dafür breite Schulter, gerahmt von blonden Strähnen und weißen Laken. Ein Loch in der Winterwolkendecke, das die Lebensgeister in einem kleinen Zeitfenster zu wecken vermochte. Die Kehle rau vom Löwenblut und Apfelschnaps, seufzte die Verschlafene wohlig und anregend für Ohren, die eine erwachsene Frauenstimme zu schätzen wissen. Es war schon hell geworden? Vermaledeit. Die Anführerin der Rosengarde blinzelte gegen das Licht an und rieb sich den Schlafsand aus den Augenwinkeln. Das kleine Kratzen war nicht so schlimm wie der eigene vom Alkohol geschwängerte Atem. Sie glaubte, die Vorhänge zur Nacht geschlossen zu haben und wollte doch eigentlich zeitig geweckt werden. Eigentlich. Auf dem Nachttisch reflektierte eine leere Weinflasche die Helle in braungrünen Fehlfarben. Beim Spaziergang mit Miu hatten die beiden Damen und Angestellten des Fürstenhauses beschlossen gehabt, nicht austrocknen zu wollen und gaben dem teuren Gut den Rest. Der letzte Abend mit Vivienne war wundervoll. Hin und wieder ein wenig anstrengend und auch unangenehm beschämend, aber im großen Ganzen eine Bereicherung des insgeheim so einsamen Lebens, von dem Gale selbst noch nicht wusste, wie es denn besser laufen könnte. Die Fremde, die sich einfach an den Tisch setzte war ihr bis zuletzt ein wenig suspekt, obwohl sie freundlich und umgänglich gewesen ist. Irgendwie trennten sie doch kleine Welten vom einfachen Volk. Und auch von wahren Helden, wie sie sich abermals eingestehen musste. Jaroy... irgendwas. Der Name war ein Zungenbrecher nach dem vierten Becherchen Schnaps und allem Beiwerk. Letztlich lag Gale am Ende jeder Feierlichkeit im großen oder kleinen Rahmen wieder alleine in ihrem Bett oder wie heute in der Schlafstätte eines ebenerdigen Gästezimmers. Sie hatte nicht mehr den Elan gehabt die Stufen zu erklimmen, legte bis auf die Wäsche alles ab, warf die ungewohnt hübsche Bluse und die Hose über die Kleidertruhe und kroch unter eine immer hübsch drapierte Decke für spontane Übernachtungsgäste. Die Hand fiel vom Bettrand auf einen Stiefel und befühlte den Gegenstand. Es war ihrer. In der Magengrube rumorte das gute Essen der Moa Tränke, der Alkohol und das Gefühl, dass ihr etwas fehlte. Jemand. Das Bescheidenste daran war, dass sie sich nicht richtig entscheiden konnte wer und ungreifbar waren beide auf ihre Art. Eine Person so nah, die andere fern. Sie ferner, er näher. Umgekehrt? Warum nur? Und dabei spielte es seltsamerweise keine Rolle mehr, wer wie und wo zur Welt kam. Das muss diese Romantik sein, die in Romanen aufregend und im echten Leben grenzwertig beschwerlich war und einem die Verdammnis einbrachte. Gale wollte sich umdrehen, lag schon fast auf dem Rücken, da traf sie der Schlag wie ein Gewitter am bewölkten, kalten Morgen.


„Guten Morgen, Gale,“ sagte jemand auf der anderen Seite des Bettes. Ein erster erschrockener Laut sprang von ihren Lippen. Gale zog sich die Decke bis zum Hals hinauf und starrte fassungslos zum Mitschläfer. Das konnte nicht wahr sein. So viel hatte sie nie und nimmer getrunken und gerade dieser Mann hatte hier nichts verloren. Das Herz blieb stehen und rutschte in die leichte, unsinnigerweise am Vortag so aufregend gewählte Unterwäsche. Alejandro. Der Fürst. Bei allen Göttern. Grenth, dachte sie sich, hol mich jetzt, sonst übernehme ich das ohne dich. Und warum trug er einen albernen Hut und nichts am Oberleib? Es war nicht nur furchtbar, sondern auch noch skurril. Was war nur geschehen? Noch ein Blinzeln, dann zersprang der Mann in tausende kleine, violette Schmetterlinge. Das sollte die Hauptfrau eigentlich erleichtern, verwirrte sie aber in Anbetracht der Umstände noch viel mehr. Alejandro musste lachen. Er stand neben dem Fenster, war wohl schuld daran, dass die Vorhänge offen standen und hielt die kleine Prinzessin Celestina Leilani Asilah de Cerro auf dem Arm. „Dein...“ er konnte sich kaum halten, während große Augen vom kleinen Köpfchen zum Vater auf sahen und das winzige Fäustchen am ratlosen kleinen Mund rieb. Der Witz war für die noch nicht ein mal ein Jahr alte Dame unbegreiflich. „Dein Gesicht, entschuldige, aber... grandios. Grandios, Gale!“ Der Fürst rieb sich leichtlebig erheitert mit der freien Hand eine Träne fort und seufzte wohlig. Ein fantastischer Tagesauftakt. Die andere hielt sein Mädchen im kleinen weißen Kleid mit goldenen Schwälbchen sicher und hütend vor der Brust. Der Mann war gestern noch nicht wieder zurück gewesen und trug auch jetzt noch seine lederne, weiß gebleichte Reitkleidung mit schwarzen Ornamenten und goldenen Knöpfen. Vermutlich kamen sie erst vor kurzem hier an. Niemand nahm ihm so irgend eine Strapaze ab. Das Haar saß im Gegensatz zu Gales Frisur. Dieser perfekte Mistkerl, als hätte er keine Reise an der Doric-See hinter sich, sondern eine Kleidervorführung in der Greifennadel. Hauptmann von Bredow fiel nach erstem Aufsetzen wieder ins Kissen und hielt sich beide Hände vor die Augen. Sein Humor brachte ihr irgendwann noch ein mal einen Herzinfarkt bei. Und seine gute Laune am für ihn viel zu frühen Morgen machte sie sogar zornig. Hätte er nicht den kleinen, süßen Schild bei sich, könnte sie sich vielleicht zum ersten Male dazu durchringen dem Fürsten eine Ohrfeige zu verpassen. Das geschah schon ein mal mit zehn Jahren. Damals bekam sie Ärger, der sie sehr traf. Heute sähe das vielleicht anders aus. Nur ob sie es gleichgültiger oder schwerer aufnehmen würde, das war ungewiss.


„Ich habe verschlafen...“ gab sie das Offensichtliche zu. „Tut mir leid,“ nuschelte Gale noch in die Handflächen. Der angekündigte Morgenappell. Sie verfluchte sich. Die Männer und Frauen der Rosengarde standen sicher noch ratlos vor dem städtischen Anwesen stramm. Alejandro hatte nichts besseres zu tun als das kleine Fäustchen aus Celestinas Mund zu ziehen und Gale mit einem Sabberfaden daran, geführt von sorgsamen Fingern zu zu winken. „Schau meine Sternschnuppe, Tante Gale hat zu viel getrunken und ist jetzt nicht früh genug auf den Beinen. Das ist nicht gut. Sag guten Morgen, Tante Gale.“ Celestina war ratlos, was der warme, geliebte Papá von ihr wollte, freute sich aber zahnlos mit weitem Lächeln und einem Brabbeln über... irgendwas. Seine Niedlich-Tonlage war trotzdem ein weiterer Grund für eine Ohrfeige. Gerade er, dessen früher Morgen ab und an am Nachmittag begann musste jetzt ein Weinfass auf machen. „Ich muss los Alejandro, bitte geh' jetzt.“ Gale tat sich selbst einen Gefallen und wollte ihn mit missmutigem Tonfall davon scheuchen, bevor ihr etwas Unbedachtes entkam. Vor ihm in so leichter Kleidung aus dem Bett zu steigen, fiel ihr obendrein nicht ein. „Keine Sorge, die Garde ist beschäftigt. Sie laden das Boot ab. Ich dachte, ich halte dir den Rücken frei,“ entgegnete er und lehnte sich an das Fensterbrett. Jetzt war sie ihm sogar ein wenig dankbar, aber halt! Die Frau in den Laken blinzelte erneut. Das was? Auf der oberen Mauer von Götterfels? „Was für ein Boot, was willst du mit einem Boot?“ Ihr Kopfschütteln stach über dem Auge. Sie war es nicht mehr gewohnt zu trinken, was die zu sich genommene Menge gefühlt vervielfachte. „Na, mit dem Boot fahren natürlich. Celestina liebt Boote. Sie fand das Ruderboot auf dem Einband von See und Regen so großartig.“ Sein Augenverdrehen zur Antwort nannte sie ohne einen Ton zu sagen ein kleines Dummerchen. Darauf hätte Gale selbst kommen müssen. „Ein Bootsbauer hatte es gerade fertig gestellt. Ich bezahlte ihn ausreichend um ihn zu überreden, dass es mir gehört und er hat uns mit seiner Kutsche und dem Dolyak begleitet. Meine Güte, das Tier hatte den Odem der Verdammnis an sich.“ Gewiss. Gale erinnerte sich an den Mann, der hin und wieder erklärte, Celestina solle auch lernen wie man zurecht kommt, wenn man nicht alles haben kann. Nun hatte sie ein Boot, aber noch nicht ein mal im Ansatz alle Milchzähne. Sie konnte ja noch nicht ein mal begreifen, was ihre kleine Patschehand auf dem Buch da berührt hatte. Es war außen bunt bemalt, innen langweilig und immer wenn es offen stand, plapperte Papá ununterbrochen etwas vor sich her. „Wir lassen es dann am niederen Liliensee auf den Weinbergen zu Wasser. Sehr romantisch. Eine perfekte Ergänzung zur Szenerie. Wie war der Abend? Abgesehen vom feuchtfröhlichen Vergnügen.“ Alejandros Formulierung verunsicherte Gale ein wenig, weil sie nicht deuten konnte, ob das eine dämliche Anspielung oder einfach seine Art der Umschreibung war. Trotz all der Jahre. Manchmal war er zu undurchsichtig und glatt.


„Wir waren in der Moatränke essen und... etwas trinken,“ teilte sie ihm der Höflichkeit halber mit. „Moa Tränke,“ betonte Alejandro mit einer Mischung aus Skepsis und Verwunderung. „Das klingt sehr rustikal und irgendwie... wild. Wo ist das? Ach warte, du warst schon ein mal dort. Mit Hauptmann von Preuth? In Löwenstein, nicht wahr? Oder war es...“ Alejandro betrachtete Celestina, als wüsste sie die Antwort. Dem war aber nicht so. Gale unterbrach seine Mutmaßungen mit Zustimmung. „Ja, genau.“ Bevor er noch weiter spekulierte, war es manchmal besser ihm zuzustimmen. Ob es nun so war oder nicht, war hierbei völlig egal. Alejandro kümmerte sich in Gales Augen sowieso nicht mehr um ausgesprochene und unwichtige Details. Aber er hatte sich scheinbar das andere, längst vergangene Gespräch gemerkt. Seltsam. „Ach, wo wir bei Hauptmann von Preuth wären,“ begann er nun im Plauderton zu berichten. Gale hob sich auf die Ellbogen und war plötzlich hellwach. Zum Glück bedeckte das Stöffchen ihre Brust, als die Decke rutschte. Vor Kameraden konnte sie sich rüsten, alles wieder abrödeln und umziehen, wenn es nicht anders ging, aber vor allen anderen war Nacktheit ein Thema, das zu intimen Momenten gehörte. Alejandro gehörte noch nie ein intimer Moment ihrer. „Was ist mit ihm?“ Gale schüttelte den Kopf um Befürchtungen abzuweisen, die schon am Vorabend zum Gesprächsgrund wurden. Zumindest fast, ehe Roy dazu kam. Alejandro hob die freie Hand und sprach gerade jetzt zuerst noch ein mal mit der Tochter. „Tante Gale ist nicht nur verschlafen, sondern auch ständig besorgt um alle. Um manche mehr. Um dich aber natürlich ganz besonders, mein Träubchen. Nicht wahr, Gale?“ Da stupste er Celestina das Näschen. Einerseits machte es Gale in all den morgendlichen Wirrungen Wahnsinnig, dass er nicht zu Potte kam, andererseits war es furchtbar peinlich für sie, wenn er manche Personen betonte und dazu gehörte nicht nur Veit. „Ja... ja natürlich.“ Er hatte sie mit seiner Unart Celestina ständig zum Zentrum aller Gespräche zu machen, sobald sie anwesend war angesteckt. Nun antwortete sie tatsächlich vor dem Kind, das keine Ahnung hatte, was ein Träubchen ist. „Alejandro, bitte,“ forderte sie ihn mit Nachdruck auf.


Der Fürst hob die Hand an. Gemach. „Es geht allen gut. Bowen hat sich ein Bein gebrochen.“ Genau so formulierte er es. Es war ja nur Bowen. „Sie haben dieses... Vieh erlegt und die Überreste werden aufgehoben, bis wir jemanden gefunden haben, der es untersuchen oder irgend etwas damit anfangen kann. Ich habe da bereits einen Einfall.“ Alejandro nickt überzeugt. „Die Weinberge sind wieder sicher. Das ist es, was zählt und die Feuer am Kliff sind erloschen. Die Nacht hat ihre Sterne zurück und niemand muss zu Grabe getragen werden. Das ist ein großer Erfolg.“ Da muss er unbedingt mit höherer Stimme und weit lächelnd Celestina etwas sagen. „Und mein kleines Funkeln am Firmament kann wieder ganz, ganz sicher schlafen, wenn wir zurück sind, ja? Ja, das kann sie.“ Wenn man das kleine Bäuchlein kitzelt freute sie sich stets noch ein wenig mehr über Fakten, die keine Bedeutung für ein so kleines Kind hatten. Gales Erleichterung und ein geraunter Dankesspruch an die Götter machten selbst dieses ständige Einbinden Celestinas erträglicher. Das Mädchen konnte ja nichts für den Vater. Welches Vieh? Warum brach sich Bowen ein Bein und verheimlichte Veit wieder etwas, das ihn selbst betraf um Gale keinen Trübsal zu bereiten? „Der Bericht für dich liegt unten,“ kam ihm da eben noch in den Sinn. „Der Bericht,“ stellte Gale fest. Nebst der Tatsache, dass sie Naoko zu beichten hatte, was Bowen zugestoßen war, schwand gerade jeder Schmerz und jedes Unwohlsein. Auch jede Rücksicht auf den Anwesenden. Sie schälte den Leib einer Kriegerin aus dem bestimmt nur im Schlaf zerwühlten Bett und der Fürst konnte sich eine Bewertung nicht verkneifen, ehe er sich anstandshalber dem Fenster zuwendete. „Hellblau, so eine bist du also.“ Er befand es dem Auflachen nach wohl als zu niedlich für direktere Bewertungen. Natürlich konnte er Frauen anhand ihrer Unterwäsche bewerten. In seinen Augen. Gale war wie eine weitere Schwester für ihn. Wenn man sich seit dem Kindesalter kannte, kam man nur schwerlich fort von platonischer Zuneigung. Zum Glück für alle Beteiligten in diesem Falle. Die kleine Patschehand dotzte mehrmalig mit gestreckten Fingern gegen die Scheibe, vor der Schneeflocken tanzten und in der sich ihr Vater mit ihr spiegelte. Der Hauch des Mädchens beschlug und die Fingerchen malten Kringel. Kühl und neu für sie. Sie begann erst damit alles zu begreifen. „Eine Künstlerin bist du also,“ erkannte Alejandro darin. „Ach und Gale?“ Die zog bereits den Gürtel um die Hüften stramm. Kein Gramm zu viel unter der Haut darunter, nur der gestählte Körper. Sie sah fragend und stumm zu ihm auf. Jetzt klang der Fürst auf ein mal wirklich ernst und bestimmend. „Der Schatten um deine Augen ist verwischt, bitte achte darauf, ehe du hinaus gehst.“ Sie hob ungesehen die Hände an und umfasste einen imaginären Laternenpfahl. Manchmal könnte sie ihn würgen.

Kommentare 8

  • Ja schon goldig, alle 3+Klon!


    Wird Zeit Celestine einen neuen Turm zu kaufen, damit alles für ihr Atelier und die Ausstellung bereit ist, Frühförderung ist wichtig!
    Wenn sie ihr erstes Luftschiff Buch gelesen hat, bekommt der Felsen vielleicht doch noch einen Luftschiffhafen.

    • Der Luftschiffsteg könnte am Turm... Nein, damit warten wir, bis sie fünf ist!

  • Alejandros Vernarrtheit in die Kleine ist so einmalig, dann die Freundschaft mit Gale, die auch hier durch scheint und sein Witz. Die Geschichte hat sich rasch gelesen und ich habe immer wieder Lachen müssen. <3

  • Einfach herrlich, in jeder Facette. Ich hab Tränen gelacht.

  • <3