Cantanische Seide

Das Kleid lag auf ihrem Bett und Anya-Selenia starrte es an. Die Seide war aus einer Schattierung zwischen Jadegrün und pastellfarbenem Türkis, denn die Farbe stand ihr gut. Die Muster auf der Seide waren mit feiner Farbe und noch feinerem Pinsel gemalt worden, die zarten Goldverzierungen am Bustier, am Rest des Kleides funkelten im Schein der Kerzen die ihr Zimmer erhellten. Sie konnte sein Brummen noch hören. "Zieh es aus." Ein leises Schnauben kam ihr über die Lippen und sie erhob sich vom kleinen, gepolsterten Hocker vor ihrem Schminktisch. Mit den Fingern strich sie sanft über das schmucklose Höschen aus schwarzer Seide welches sie darunter getragen hatte und das nun seinen Weg zurück zu ihr gefunden hatte. Auf das Bett. In ihrem Zimmer. Sie hatte es zurückgelassen, es ganz vergessen, weil sie so furchtbar aufgewühlt gewesen war danach.


Das Kleid konnte sie nicht mehr tragen. Nie wieder. Es lachte sie aus. Es brachte das Gefühl seiner Hände auf ihrer Haut zurück, die Liebkosungen und wissenden Berührungen, seinen kalten, emotionslosen Blick dabei und die Hitze die sich trotzdem in ihrem Leib ausbreitete. Sie schauderte noch immer wenn sie daran dachte. "Verliebe dich nicht in mich." hatte er ihr befohlen und wie ein dummes, kleines Mädchen hatte sie "Ich tue was ich will." darauf erwidert. Mit einem Seufzen packte sie das Kleid und ballte es zu einem Klumpen aus Stoff und Gold zusammen um es in die hinterste Ecke ihres großen Kleiderschrankes zu stopfen, wie ein ungewolltes Geheimnis. Das war es auch. Ein Geheimnis.


"Nein." sprach sie wieder und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. Ihre Finger zitterten. Vor Wut? Der Tumult in ihrem Leib, in ihrer Seele, lies sich nicht bändigen. Nicht nachdem er ihrem Körper das entlockt hatte, was sie sonst keinem Kunden gab. Sie täuschte es vor, sie spielte es wie sonst Melodien auf ihrem Klavier. Oh wie sie ihr Klavier vermisste. Das kühle, glatte Gefühl der Tasten unter ihren Fingern, die sanften Klänge wenn sie zart wie Katzenpfötchen darüber tänzelten... Oder die tiefen, wuchtigen Töne die sie dem Instrument entlocken konnte wie der Schlag von galoppierenden Hufen die über das Schlachtfeld donnerten.


"Ich hasse dieses Wort." Er hatte es von ihren Lippen geholt, wie die Lust aus ihrem Leib, spielend leicht und mit einer egozentrischen Selbstsicherheit. "Nein." hatte sie aufbegehrt und zitternd in seinen Händen gesessen wie eine Jungfrau die ihren ersten Mann hatte. Und er hatte Gelächelt. Dieses süffisante, charmante, charismatische, furchtbare, wundervolle Lächeln. "Oh doch~." hatten seine Augen gesagt, sein Lächeln.


Anya-Selenia Vasiliev war keine Frau die sich verliebte. Und vor allem, auf gar keinen Fall nicht in diesen Mann. Sie war keine Frau die in einem Mann mehr sah als mehr einen Geldbeutel. Doch seit ihm, seit diesem Erlebnis. Doch nein, sie würde ihn nicht lieben. Nicht diesen egozentrischen, süffisanten, arroganten, miesen, selbstverliebten Mann. Und was für ein Mann er war. Ein richtiger Mann. "Verdammt! NEIN." Sie hasste dieses Wort. Doch wenigstens hatte sie es dieses Mal nicht mit einem atemlosen Zittern in der Stimme ausgesprochen. Wenigstens war es diesmal ein entschiedenes Wort. Eines mit Kraft. Sie hasste es trotzdem, denn es schickte die Erinnerung durch ihren Leib. Diese Hitze, das Kribbeln. Sie hatte es so lange nicht gefühlt. Ewig nicht. Und es nun ausgerechnet mit ihm zu spüren. Es trieb sie in den Wahnsinn.


Mit zitternden Fingern fuhr sie sich durch die weichen, goldblonden Locken die ihr bis auf die Hüften fielen. Die schwarze Farbe hatte sie schon lange wieder ausgewaschen. Nicht weil es ihm nicht gefallen hatte. Es hatte ihr selbst ja nicht gefallen. Nicht wirklich. Doch es hatte gut zu dem Kleid gepasst.


Mit einem enttäuschten Schnaufen lies sie sich auf dem Hocker wieder nieder, enttäuscht vor allem über sich selbst. Sie hob den Blick und starrte sich im Spiegel an. "Wir wissen wie das endet Anyeschka..." flüsterte sie sich selbst leise zu. Sie brauchte nicht in die Schublade sehen und die kleine Schachtel herausholen. Sie wusste was darin war. Trotzdem holte sie die Holzschachtel hervor. Vielleicht war es Zeit geworden. Es klapperte leise als sie sie auf die Tischplatte stellte und den Verschluss öffnete. Sie wusste was darin war, doch vielleicht war es Zeit, dass sie es sich wieder ins Gedächtnis brannte.


Mit einem leisen Atemzug öffnete sie den Deckel und sah hinein. In der hölzernen Schachtel lagen Ringe. Drei Ringe. Den ersten hatte sie erhalten als sie gerade fünfzehn Jahre alt war. Er hatte vor ihr nieder gekniet im Salon, ihre zarte Hand ergriffen unter dem wachsamen Blick ihrer Eltern um ihre Hand angehalten. Natürlich erst nachdem er ihren Vater gefragt hatte. Ihre Eltern waren damals altmodisch gewesen. Als sie noch lebten. Das zarte Silberband war schlicht und der eingefasste Stein nicht besonders groß. Er war nicht klassisch geschliffen worden, sondern sah aus wie eine Rosenblüte. Damals hatte sie den Ring geliebt. Sie hatte sich so besonders gefühlt, so erwachsen und erhaben. Er hatte sie gefragt ob sie ihn heiraten würde und sie hatte ja gesagt. Wie das dumme Mädchen das sie damals war. Ihre Eltern waren so stolz gewesen, so glücklich. Bis herauskam, dass er über ein Dutzend Mädchen hatte, genauso wie sie die ebenfalls einen Ring trugen mit einer Rose aus Glas, nicht Kristall. Dumme, kleine Mädchen. Sie hatte den Ring behalten, um sich daran zu erinnern sich nicht in schöne Worte und Lügen zu verlieben.


Danach war sie vorsichtiger gewesen. Doch nicht vorsichtig genug.


Der zweite Ring war prunkvoller, kostspieliger. Das Band was aus Weißgold und der Stein größer, klassisch geschliffen und eingefasst, auf jeder Seite waren zwei kleinere Steine eingelassen. Der Herr der ihr diesen angesteckt hatte war ein Gentleman, ein Offizier in der Armee. Ein ehrlicher, aufrechter Mann. Der keinerlei Interesse an Frauen hatte. Er liebte einen Feldarzt und er wollte sie nur heiraten damit er sein schmutziges, kleines Geheimnis bewahren konnte. Ihr Leben wäre bequem gewesen. Sie hätte ihm ein, zwei Kinder schenken müssen, hätte es tolerieren müssen, dass seine wahre Liebe jede Nacht neben ihm schlief und sie in einem zu großen Bett vereinsamte, oder sich selbst einen Liebhaber nehmen müssen. Doch es wäre ein bequemes Leben gewesen. Eines in dem sie wohlhabend, angesehen, wichtig gewesen wäre. Es wäre ein sehr einsames Leben gewesen wenn sie ihn geheiratet hätte. Also hatte sie es nicht getan. Den Ring hatte sie behalten, um sich daran zu erinnern sich nicht in ein schönes Gesicht zu verlieben.


Der dritte Ring war aus Silber und trotzdem war er der teuerste unter den dreien. Ein Band aus Silber hielt in regelmäßigen Abständen eingefasst die feinen Kristalle, Diamanten waren es. Einmal rundherum. Sicherlich waren es über zwei Dutzend Steine, so protzig und überladen wie der Mann selbst es gewesen war der ihn ihr angesteckt hatte. Inneren war er graviert. 'Für meine Sonne'. Das brachte sie immer wieder zum Lachen. Auch wenn es kein schönes Lachen war, denn es klang bitter und brüchig. Sie hatte den Ring nicht lange getragen. Der Grund war schlicht und doch wichtig. Er hatte nicht nur eine Sonne, er hatte einen Mond, er hatte viele, viele kleine Sterne. Wieder war sie eine von vielen. Sie hatte den Ring behalten, um sich daran zu erinnern sich nicht in eine schöne Geschichte zu verlieben.


Doch er hatte keine schönen Worte und Lügen. Er war schonungslos ehrlich. Er war kein schöner Mann. Er hatte Falten, Narben auf Leib und Seele. Er erzählte ihr keine schönen Geschichten, er tag wonach ihm der Sinn stand. Trotzdem starrte Anya die drei Ringe an. Drei Ringe für drei Männer. Sie wollte keinen vierten sammeln.


Anya-Selenia war eine unter vielen gewesen für diese Männer, auf die eine oder andere Weise. Ein nettes Schmuckstück das man sich an den Arm stecken konnte um die Wahrheit zu verbergen. Ein schmutziges kleines Geheimnis. Also hatte sie es nach dem Tod ihrer Eltern zu ihrem Beruf gemacht. Ein hübsches, geheimnisvolles Schmuckstück. Ohne Gefühle. Nun spielte sie mit den Gefühlen dieser Männer, gaukelte ihnen Wärme und Zärtlichkeit, Zuneigung vor. Sie wurde Erwartungen gerecht ohne das diese ausgesprochen werden mussten, sie gab die edle Dame, die verruchte Verführerin, das zarte Wesen, die unschuldige Blüte. Sie spielte eine Rolle, sie war die Frau nach denen diese Männern sich heimlich sehnten. Und sie erfüllte Wünsche, tat verruchte Dinge hinter verschlossenen Türen mit einigen wenigen Auserwählten. Denn gute Geschichten machten den anderen Kunden den Mund wässrig, auch wenn sie nicht mit ihnen ins Bett stieg sondern sie nur begleitete auf einen Ball, ein Abendessen, eine Feier, wohin auch immer diese Männer gingen. Wenn sie zahlten, dann war es ihr egal.


Anya betrachtete die Ringe lange, bis die Kälte durch den dünnen Seidenbademantel kroch den sie trug hatte. Erst als sie zu zittern begann legte sie die Ringe zurück in die Schachtel und schloss sie wieder. Ganz unten in ihrem Schminktisch, in der untersten Schublade, in die hinterste Ecke. Dort war es gut verborgen und doch blieb es ihr im Kopf.


"Verliebe dich nicht in mich." hallte ihr dennoch durch den Kopf als sie die Schublade mit mehr Wucht als nötig schloss. "Nein. Als könnte ich jemals wieder jemanden lieben. Und vor allem nicht ihn. Ich hasse ihn. Jawohl." Doch als sie aufsah saß ein Lächeln auf ihren Lippen und sie starrte sich selbst im Spiegel an. Ungläubig. Dann lachte sie. "Vielleicht liebe ich es auch ihn zu hassen." gab sie dann für sich selbst zu, ganz leise. Ihre Finger zitterten nicht mehr als sie nun nach dem feinen Silberkamm griff um die hüftlangen Locken zu entwirren.


Ihr Blick fiel auf das kleine Seidenhöschen das noch auf dem Bett lag. Der Stoff war weich, sauber gewaschen und ordentlich gefaltet. So hatte sie es gefunden. Ihre Finger standen still und sie betrachtete das kleine Kleidungsstück, ein schmales Lächeln auf den Lippen. Anya-Selenia wurde nicht wütend. Sie würde es ihm lediglich heimzahlen. Er würde sich noch wundern. Sie konnte es lieben ihn zu hassen, dann war ihr zumindest nicht langweilig.


Nachdem sie ihre Haare entwirrt und zu einem ordentlichen Dutt gesteckt hatte erhob sie sich und nahm den feinen Seidenstoff auf. Sanft legte sie es in die oberste Schublade ihres Schminktisches. Ganz vorne, so dass ihr Blick sofort darauf fallen würde wenn sie es sah. Als Erinnerung. Wie sie es hasste ihn zu lieben.

Kommentare 11

  • Ja schon goldig. Hat so ein bisschen 19. Jh. Zarenreich-Stimmung.^^

  • Schöne Geschichte, mit genau der richtigen Mischung aus Einblick und Andeutungen.
    Beziehungen zu diesem Mann beginnen meistens mit Hass. Allerdings keinem, der den Hassenden sehr willkommen wäre. Starke, interessante Persönlichkeit. Mehr davon.

    • Vielen Dank. Ich habe beim Schreiben ehrlich gesagt mehrmals laut lachen müssen weil ich dachte "Ach arme Anya, wenn du wüsstest was DIR noch alles so blüht!" Doch ich muss ehrlich sagen die Geschichte floss mir nur so aus den Fingern und ich hatte großen Spaß sie in die Tasten zu hämmern :)
      Anya ist ja noch ganz neu für mich, darum werde ich noch ein wenig mehr schreiben um mich besser in den Char hinein zu finden.

  • Beeindruckend, wirklich gut gemacht. :)

    • Vielen Dank, es hat mir auch wirklich großen Spaß gemacht sie zu schreiben :)

  • Mir gefällt sie auch sehr. Wobei sie zwei völlig unterschiedliche Emotionen in mir auslöst. EInerseits hab ich Mitleid mit ihr und auf der anderen Seite Bewunderung.
    Und der letzte Satz hallt extrem nach. Das mag ich an Geschichten, wenn da Worte und Sätze sind sie einen verfolgen.

  • Ich mag sie auch. Schön geschrieben:)

    • Dankeschön <3 Deine Geschichten machen mir immer Mut es doch endlich auch mal zu versuchen.

  • Ein schöner, tiefgründiger Einblick :)

    • Vielen lieben Dank! Ich hoffe du hattest Spaß beim Lesen und es hat dir die Langeweile auf der Arbeit ein wenig vertrieben ;)