Vergoldete Differenzen

Der Fürst im langen Morgenmantel schlug die Tür auf ohne sie zu berühren. Der Empfangssalon des Stadthauses wurde vom dumpfen Pochen der Magie gegen das glatte Holz erfüllt und der Mann, der schon im Raum saß, zuckte unvermittelt aus Gedanken hoch. Hinter dem Fürsten flog die Pforte zum Gästeempfang wieder in den Rahmen und Alejandro stierte Garreth, mit unverhohlenem Groll entgegen. Der Waidmann mit dem geschienten Bein, den Filzlocken und der abgetragenen, teils geflickten Lederkleidung streckte die verletzte Gliedmaße auf dem Brett lang und ließ das andere Bein baumeln. Ein dunkler Fleck im feinen Ansehen des Stadthauses, in Alejandros Augen immer schon der Stiefeldreck auf den Fließen vor dem Eingang. Unvermeidbar, aber störend. Der wohl einzige Mensch im fürstlichen Umfeld mit Klauennarben im Gesicht. Eigentlich wollte er ihn direkt auf die Umstände am vergangenen Abend ansprechen, als Prinzessin de Cerro aus der Rurikhalle geholt werden musste, um ihr Gemach zur Durchsuchung selbst von jedweder Magie zu befreien. Das Sicherheitsprotokoll der Rosengarde wies dies bei Erreichbarkeit nun ein mal an. Nun, da Garreth ihn auch noch augenblicklich mimisch überzogen imitierte, als hätte er den ganzen Tag darauf gewartet, dass Alejandro herein platzt, verlor der Fürst bereits einen guten Teil seiner Beherrschung und riss die Arme hoch. "Was treibt ihr denn da?!" herrschte er den Tierführer an. "Ich sitze!" erklärte Bowen laut und hob dabei die Arme. "Das sehe ich!" entgegnete der Fürst. Es war wie immer, wenn Alejandro de Cerro und Garreth Bowen aufeinander trafen. Jeder brachte eine Fackel für die Öllache mit, in der der jeweils andere stand. Alejandro schloss die Augen und atmet tief ein und aus. Wäre doch nur Prinzessin Celestina anwesend gewesen. Im Beisein der kleinen Tochter hatte der hohe Herr den Flüsterstreit neu erfunden. Nun war sie zwei Stockwerke entfernt und dämpfte den Zorn gegen den Abtrünnigen der Weinberge auf Stadtbesuch kein Stück weit. Der Außenseiter, der ironischerweise ja von Alejandro bezahlt wurde und am Rande zu den Sümpfen im Osten in einer abgelegenen Hütte wohnte. "Warum fragst du dann?" hakte Garreth nach und Alejandro presste die Lippen aufeinander. Dem Fürsten war vollkommen klar, dass der Mann nicht dumm war und das machte es nicht gerade leicht, ihm auf die Füße zu treten. Die Bauernschläue des Wildfangs war es, die ihn immer wieder auf die Rebenspitze brachte. "Weil man hier auf einem Stuhl, einer Chaiselongue oder einem anderen..." begann das Oberhaupt gedrungen ruhig zu erklären, als Garreth ihm ins Wort fiel und kritisch die Brauen zusammen zog. "Halt. Was war das Zweite?"


Mit einem resignierenden Seufzer trat Alejandro in die Raummitte und verschränkte die Arme. Garreth beschwichtige in seiner vollkommen gefassten Art den hitzigen Wortwechsel mit einer Erklärung, die er selbst als vollkommen gerechtfertigt betrachtete. "Vivienne hat gesagt, ich soll das Bein hoch legen und wenn ich mir dabei ständig irgend eines von den Gesichtern auf den Bildern ansehen muss, drehe ich durch. Da draußen auf der Straße ist wenigstens etwas los und aus dem großen Saal hat mich Naoko bereits vertrieben." Bei diesen Worten hätte Garreth es belassen und auf die Güte und das Verständnis eines bald zweifachen Vaters hoffen sollen. Aber er kam nicht umher eine Frage anzuhängen und sprach, "soll ich mich für dich oben rum entkleiden? So macht ihr das doch, wenn ihr euch unterhaltet, oder etwa nicht?" Diese fahrlässige Provokation ließ der Fürst nicht auf sich sitzen und ging auch weiterhin, wie eh und je nicht auf das Duzen des Waidmannes ein. "Euer Gewäsch ist nichts weiter, als der beständige Neid auf das, was ihr nie haben werdet!" Garreth begann so laut zu lachen, dass selbst Alejandro ins Stocken kam. "Ja, tut mir leid," gab der Kontrahent mit dem lädierten Äußeren und dem ungewohnt kurzen Bart zu, nur um es folgend gleich wieder auf die Spitze zu treiben. "Ich hätte auch gerne so eine große Statue von mir in meinem Holzverschlag. Dann kann mir auch jeder Besucher gleich mal die Eier kraulen. Da reicht nur kein Weinblatt befürchte ich." Die vulgäre Ausdrucksweise des Angestellten brachte dem Fürsten wieder Zornesröte bei. "Ich weiß nicht, warum Hauptmann von Bredow euch hier her bestellt hat," zischte Alejandro ihm entgegen und wurde im Verlauf der folgenden Sätze wieder lauter. "Aber ich dulde nicht, dass ihr euch hier benehmt, wie dort draußen in der Wildnis. Es reicht, dass ihr mit eurer Läusefrisur auf der Fahrt hier her an den Kissen gelehnt habt, an denen meine Verlobte und ich unsere Häupter betten!" Garreth ließ es sich nicht nehmen und passte den Geräuschpegel nun an Alejandros Niveau an. "Ich habe da nicht meine Läusefrisur dran gelehnt, sondern mich mit meinem Arsch drauf gesetzt, weil ich verdammt noch mal Kutschen hasse, wie die Untotenseuche in den Lawenteichen!" Alejandro schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rieb sich durch die eben noch unverschämt gut sitzenden Goldlocken. Nicht, dass es ihm danach nicht mehr stehen würde... Der blendende Segen der Schönheit vor einem anderen Mann, der alles andere Verkörperte und das gefeudelte Fensterbrett in Beschlag nahm. "Was war das gestern Abend?" Alejandro gab sich alle Mühe den Lauten streit versiegen zu lassen und stellte die Frage herrisch und überzeugt von seiner Position über Bowen. Natürlich war ihm der Alarm nicht entgangen. “Ich habe mich im Raum vertan. Ungefähr acht mal. Oder neun,” teilte Garreth dem Fürsten mit einem Schulterzucken mit. “Ach so,” antwortete der Fürst und gab sich vollkommen überzogen erleichtert, ehe ihm wieder der Geduldsfaden riss. “Und weil es so warm war habt ihr auch noch ein Fenster auf- und den Knauf abgerissen, ja?!” “Nein,” erwiderte Garreth prompt. “Ich wollte beim Fenster raus, weil ich von draußen sah, wo Naoko herum hing und mich vergewissern wollte ob ich ungefähr richtig bin.” Der Fürst riss wieder ratlos die Hände hoch. “Ihr wart im ersten Stockwerk! Und Naoko hängt nicht herum, sie arbeitet!” “Das habe ich dann auch gemerkt. Beides.”


Garreth schüttelt den Kopf und Alejandro rieb sich das Nasenbein. Dass das zu nichts führte erkannten beide allmählich. Der Fürst drückte gestikulierend Zeigefinger und Daumen zusammen und teilte dem Mann mit, “Gut, Bowen. Ich habe mich breit schlagen lassen, bei dieser Sache zu zu sehen und ich tat es mit Geduld und aller Nachsicht. Aber ab sofort benehmt ihr euch, wie sich jemand in meinem Haus zu benehmen hat oder das zwischen uns endet mit dem nächsten Vergehen unverzüglich.” Der Waidmann zog eine Braue hoch. “Schickst du mich dann fort, wie Catalina oder die anderen?” “Nein,” entgegnete der Fürst mit einem strahlenden Lächeln. “Ich werfe euch im hohen Bogen hinaus vor die Tore. Und Catalina ging, ich habe sie nicht fort geschickt” Garreth stützte sich auf und schob sich mit einem Ächzen vom Sims auf beide Beine, um zum Fürsten zu humpeln. Der reckte das Kinn in einer ersten mimischen Abwehrreaktion. Wer von beiden körperlich unterlegen war, stand außer Frage, wer das Sagen hier hatte und wem kein Haar gekrümmt werden dürfte aber ebenso. Auge in Auge standen sie sich gegenüber und stierten sich ein paar Herzschläge lang an. “Das kannst du deinen Vorfahren in diesem ausgebuddelten Loch unter dem Turm erzählen. Und du lässt Naoko in Ruhe, sonst gehe ich selbst . Dann kannst du dir einen anderen suchen, der dir das nächste scheiß etwas vom Hals hält, das durch irgend ein Portal fällt.” Alejandro engte die Lider auf Garreths Ansage hin. Der Waidmann setzte an an ihm vorbei zu gehen und stieß den Fürsten mit der Schulter an. Doch er kollidierte mit dem schmaleren Fürsten wie mit einem touchierten Baumstamm. Fast verlor er auf nur einem gesunden Bein das Gleichgewicht. Dass das nicht mit rechten Dingen zu ging, konnte er sich denken. “War klar...” kommentierte Garreth den kleinen Zusammenstoß mit einem bitter amüsierten Schnauben und machte sich auf den weiteren Weg zur Tür. In seinen Augen die Magie der Feiglinge. Alejandro senkte das Kinn und schloss die Augen, als er versuchte ein letztes Wort an den Mann zu richten. “Bowen?” Der Fürst erwartete stets, dass alle anhielten, wenn er etwas zu sagen hatte. In diesem Fall erkannte er aber selbst den Glücksmoment, als die schweren Stiefelschritte inne hielten. “Ich danke euch für euren Einsatz. Glaubt nicht, es wäre anders.” Der Mann mit den Filzlocken sah über die Schulter zurück und schnaubte verächtlich. Ehe die pure Kraft eines Bogenschützen die Tür hinter sich mit einem Schlag zu zog, wies Garreth den Fürsten an: “Schieb' dir deinen Dank in deinen vergoldeten Arsch.”

Kommentare 6

  • Er würde sicher auch den Metzger feuern, weil der so eine Sauerei macht und jedes mal ein armes Spanferkel tötet, nur weil der Fürst gerade Spanferkel essen will!


    Bowen ist einer deiner Charaktere?

    • Ja ist er. Darum arbeite ich das immer auch ein wenig mit mir selbst auf, was von außen kommt, wenn ich so etwas schreibe. Meist mit dem Ergebnis ganz wo anders mit der Geschichte zu landen als geplant... ^^´´

  • "Ich hab mich nicht dran gelehnt, sondern mich mit meinem Arsch drauf gesetzt"
    Wun-der-voll :D
    Ich musste mir sofort die geschockte Miene des Gegenübers vorstellen, gemeinsam mit Gedanken wie "Er wird die Kissen verbrennen oder so..."

  • Hach ja, die zwei sind so gar nicht auf einer Wellenlänge und ich habe den Einblick sehr genossen!