Geduld

„Denke immer daran: Alles kommt im richtigen Moment zu dir. Sei also geduldig.“
Eifrig nickt der Junge und als die hochgewachsene Frau eine kleine, dunkle Holzscheibe mit Schnitzerei zum Vorschein bringt, da hellt sich das Gesicht des Kindes noch mehr auf. Sie nickt.
„Nimm sie. Jetzt gehört sie dir. Damit erinnerst du dich immer an meine Worte und weißt, wie sehr ich dich liebe.“



Er hatte den Schal bis über die Nase gezogen und der aufmerksame Blick ruhte auf der Norn, die sich unterhalb seines Versteckes im Wäldchen herumtrieb. Erst vor Kurzem hatte er sie gefunden, wo er ihr doch bereits seit einigen Tagen immer mal wieder folgte. Sie war beinahe so leise wie er. Der Wind rauschte in kurzen Böen durch die Bäume und Sträucher, irgendwo schrie eine Eule und hinter sich konnte er bekannte Schritte im Schnee hören. Das Pfeifen der Nase verriet ihm, dass einer seiner Brüder sich näherte. An seiner Seite blieb er stehen. Pfriiiii – Pfriiii. Der Jäger schaute nicht auf, grüßte nur mit einem schwachen Nicken. „Hngrah,“ der Neuankömmling unterdrückte es, sich zu strecken und sah in den Wald hinunter. Er sprach nicht sehr gedämpft, was dem Jäger direkt missfiel. „Läuft ja immernoch.“ „Still, du Trottel.“ Beide verstummten.
Vom Wäldchen her drang eine helle und viel zu laute Stimme an ihre Ohren. Viel zu laut für einen erfahrenen Jäger. „Ma! Ich hab einen Kaninchenbau gefunden!“ Ein Kind trat zwischen den Bäumen hervor und wedelte aufgeregt mit den Armen. Vielleicht hatte die Norn den trotteligen Kerl ja nicht gehört. Kinder lenkten ab. Kinder waren laut. Ungestüm. Ungeduldig.
Die Beiden gingen ein paar Schritte. Das Kind sprang weiter um die erwachsene Norn herum. Hektisch zappelnd vor ihren Füßen, dann wieder an ihrer Seite. Vergnügt war das Glucksen, als sie endlich am vermuteten Kaninchenbau standen.



Ein Junge steht neben einem Mann, der sich gerade das Blut von den Händen wäscht. Neugierig ist der Blick des Kindes. Er wandert rastlos über die Hände, das gefärbte Wasser im Bottich, die befleckte Klinge auf dem Tisch und die blutige Kleidung des Vaters.
„Pa, wo ist Ma?“
„Weg.“
„Kommt sie wieder?“
„Nein.“
„Aber warum?“
„Sie war schwach.“
„Aber sie hat gegen dich doch immer gewo-...“
„Schweig! Sie war unwürdig! Verschwinde!“



Der Jäger sah von den Beiden fort zu seinem frischen Begleiter. Dieser war nur halb in die Hocke gegangen. Pfriiiii – Pfriiii. Der Geduldsfaden war bis zum Bersten gespannt. Unruhig wankte der Nasenpfeifer hin und her. Er würde sie noch verraten. Doch der Jäger legte seinen Blick zurück auf Mutter und Kind, die sich gerade langsam vom Bau fortbewegten. Sie hielt kurz inne und bespannte ihren Bogen. Pfriiiii – Pfriiii. Man hörte ihre Stimme nicht, aber ihre Gesten ließen den Jäger vermuten, dass sie nahe der Bäume auf die Kaninchen warten wollten. Er schnaufte in seinen Schal hinein. Dummes Weib. Sie hielt es nicht einmal für notwendig, die Spuren vor dem Bau zu verwischen. Pfriiiii – Pfriiii. Nun hockten Mutter und Kind sich zwischen die Bäume und warteten. „Jetzt! Schieß!“ Der Pfeifer an seiner Seite zischte die leisen Worte in die nächste kleine Böe.
Abermals atmete der Jäger tief durch und legte seinen Blick zurück auf seinen fordernden Bruder. Pfriiiii – Pfriiii. „Du bist ungeduldig.“ Im Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Pfriiiii – Pfripks. Ein Pfeil ragte aus dem Hals des Nasenpfeifers. Seine Augen weiteten sich voller Unglaube und er kippte zur Seite um. Als der Jäger zwischen Ästen und Gräsern zurück in das Wäldchen schaute, erkannte er, dass die Norn gerade ihren Bogen sinken ließ. Der Bruder war also doch gehört worden. Das Kind an ihrer Seite drehte gerade den Kopf in ihre Richtung, als realisiere es erst jetzt was geschehen war.


Der Jäger harrte noch einen kurzen Augenblick aus, in welchem seine behandschuhten Finger sich um die kleine Holzscheibe legten. Danach entfernte er sich mit raschen Schritten. Heute würde er diese Norn nicht weiter jagen. Er konnte warten, bis ein besserer Tag käme. Seinen Bruder nahm er nicht mit. Dieser hatte den Preis für seine Ungeduld bezahlt.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 1

  • Tjaja, Geduld ist eine Tugend die nicht in jedem inne Wohnt. Die Geschichte hat aber nen fiesen Cliffhanger! Wen will der Jäger den Jagen? :D


    dennoch schön geschrieben, verworren aber schön!