Sprich mit mir

Der unruhige Tag wurde zur unruhigen Nacht, aber endlich schlafen zumindest die hohen Häupter und Gäste ein wenig, lassen mich mit ihr allein. Mir bleibt die Wacht, die ich von Herzen gerne mache und eine Aufgabe, die von Nöten ist und deren ich mich von Herzen annehmen will.
Wie du da liegst, eine Puppe in feinsten Stoffen. Ein zierliches, gebrechliches Gebilde in diesem Erscheinen mit einem angewinkelten. vergipsten Arm und einem gestreckten über weicher, weißer Decke. Die Augen geschlossen, dein goldenes Haar noch leicht verklebt vom Schmutz und Blut. Seit Stunden wird diese schlafende Miene beobachtet, aber du rührst dich nicht. Kein Zucken um die Augen, nicht das Grübchen in der Wange unter einem Lächeln. Was hat die Stadt dir gebracht Leandra? Mein Blick fällt auf die Blumen am Rand, Genesungswünsche und Zeichen der Achtung. Ein einzelner Strauß in einer Vase in pastellen Farben. Wäre der Anlass ein anderer, es brächte dich zum Lächeln, doch du lächelst nicht. Vorsichtig nehme ich dir die mit tausenden, weichen Daunen gefüllten Kissen, eines nach dem anderen und lasse dir nur ein kleines übrig. Ich stütze deinen Kopf dabei, damit der Nacken nicht schmerzlich überstreckt wird. Schmerz, der so oft die Leibärztin ihn bemüht auslösen wollte, keinen wachen Geist hervorrief. Sacht lege ich deinen Schopf in die Schüssel, die dein beinahe unmenschlich langes, dichtes Haar kaum fassen kann. Ich erinnere mich daran, wie oft dieses Haar mich schier wahnsinnig gemacht hat.


„Naoko heute möchte ich einen geflochtenen Kranz mit Blüten darin.“


Der Kranz wurde damals mehr zur Krone, die du in mehreren Windungen auf dem Kopf trugst und die Blumen, die mussten erst aus dem Garten geholt werden und doch sahst du aus wie eben jene, die du warst. Die ferne Prinzessin von den Weinbergen, in ihrem verwunschenen Rosenhaus und mit einem fangenden Lächeln, welches wir alle liebten und ihre Brüder auf den Plan rief auf sie zu achten. Wo wart ihr, als dies geschah? Alejandro? Cesare? Aber ich darf ihnen nicht grämen, sie ließen dich deinem Wunsch folgen in die Stadt zu ziehen. Wärst du doch auf den Weinbergen geblieben, Prinzessin. Ich hätte noch tausend Kränze aus diesem Haar geflochten, Zöpfe, hunderte Bürstenstriche vollzogen und es gern getan. Das Wasser perlt über das Gold von meiner Hand und aus dem Becher, welcher mir die Arbeit erleichtern soll. Es ist kalt. Du hättest dich geschüttelt und mit einem Lachen, denn wirklich wütend warst du nie, mich gescholten es wärmer zu machen. Doch, Prinzessin, Blut löst sich mit kaltem Wasser besser und da ist so viel Blut an Gold. Strich um Strich, Tropfen für Tropfen bringen wir es fort. Immer mit einem Heben des Blickes in das Gesicht mit den feinen Sommersprossen, die du nicht verborgen haben wolltest, niemals. Sie waren deine Zierde, nicht dein Makel. Wirst du sie wieder lächelnd unterstreichen?


„Ich sage dir, Naoko, Wochen. Ich habe Wochen mit nassem Haar verbracht.“


Wir wussten beide, dass diese Aussage nicht einmal im Ansatz dem entsprach und gänzlich überzogen war. Aber ich nickte lediglich schmunzelnd und erfreute mich daran, dir dienlich zu sein. Die Schüssel ist fort, dein Nacken gestützt vom Kissen und meine Hände streichen nach und nach dein Haar trocken. So haben wir es immer schon gehalten. Die Magie an unserer Seite und von meinen Fingern trocknete dir die Locken und wir lachten dabei, unterhielten uns, scherzten. Sage mir, wie dekadent es ist dir im Liegen die Haare zu waschen und zu trocknen. Protestiere, setz dich auf und lass die Welt wieder ein wenig in Ordnung sein. Es ist viel zu früh, nicht mehr zu erwachen. Was ist mit deinen Zielen? Deinen Träumen? Lass nicht los. Ich weine innerlich, aber kein Tropfen fällt von meiner Wange, denn Canthaner weinen nicht vor anderen, selbst wenn sie schlafen.Vom Scheitel bis zur Spitze trocknet dein Haar nach und nach von der Wärme meiner Hände und dann flechte ich dir einen weichen Zopf, den ich dir über die Schulter lege. So, wie du ihn im Schlaf immer trägst, damit wir am Morgen nicht gefühlt tausend Knoten entfernen müssen. Am Morgen, ein Morgen der jetzt noch fern ist zu Beginn der Nacht und der Umnachtung in deinem Geist. Träumst du? Ich beuge mich noch einmal für einen Blick in dein Gesicht, aber da ist keine Regung unter deinen Lidern. Wusstest du, dass Menschen ihre Augen im Schlaf, im Traum bewegen? Man kann sehen, wie sie sehen und doch schlafen. Du siehst nicht. Kalte Erkenntnis zum wiederholten Male.


„Sieh mich nicht so an, Naoko. Manche Erwartung kann ich nicht erfüllen, so erwartungsvoll du auch blickst.“


Worüber hatten wir gesprochen? Ich erinnere mich nicht, dabei habe ich hunderte Erinnerungen über unsere Gespräche. War es wegen Bowen? Ja, natürlich. Er hatte deinen Bruder verärgert und ich war in Sorge darum, er würde seine Anstellung verlieren. Hast du doch, wider deiner Worte, mit Alejandro gesprochen? Durfte dieser Klotz von einem Mann in Form des Waidmanns der Weinberge bleiben, weil du ein gutes Wort eingelegt hast? Ganz gleich was du mir zuvor sagtest? Ich möchte dich fragen, wach auf und wir sprechen darüber. Warum habe ich nicht vorher gefragt? Erfülle die Erwartung hier noch gebraucht zu werden. Du bist doch noch nicht lange Ratsherrin. Tag und Nacht kämpfst du gegen die Widerstände der Meinungen in den Köpfen der Menschen an. Kämpfe weiter, zeige wozu eine de Cerro fähig sein kann. Wir alle hier glauben an dich, glaubten an dich, wissen wie sehr du es willst. Vielleicht hätte ich bei dir sein sollen, als Vertraute und Freundin. Freundin? Kann eine einfache Angestellte, eine Freundin sein? Ich bin ordentlich, strebsam, zurückhaltend und wachen Geistes für das Haus dem ich diene, aber für dich war ich mehr, nicht? Du hast mir so viele Dinge anvertraut, wenn ich dein Haar frisierte, wenn ich dich kleidete, wenn wir dich für den Tag bereitet haben. Du bist -meine- Freundin, auch wenn ich dir kaum etwas über mich erzählte. Aber über die canthanische Kultur, die Geschichten, die ferne, abgeschottete Grundlage meines Seins in Cantha, welches ich selbst nur aus Büchern und Geschichten kenne.


„Weißt du, Naoko, wenn die Grenzen geöffnet werden und Land, wie jetzt Elona, wieder zu bereisen ist. Dann nehme ich dich mit nach Cantha und erfreue mich an deinem Gesicht, wenn du all dies aus deinen Geschichten siehst.“


Ich bette dein Haupt auf zwei bauschigen Kissen, lege deinen Zopf über die Schulter und trete um das Bett herum, die Decke hebend. Wir reisen zusammen nach Cantha, du hast es versprochen. Wie dürr du wirkst, die vielen Verbände zeichnen sich unter dem weißen Nachthemd ab und ich wage kam die Hand an dich zu legen. Aber du brauchst Wasser. Miss Carthaigh hat es auferlegt und die Gefahr, dass es dir in die Lunge läuft ist zu hoch. Wir können den Becher nicht verwenden. Meine Fingerspitzen streichen über dein Brustbein herab, ich erfühle die Flüssigkeiten in deinem Leib und lege meine Hand zuletzt dorthin, wo unter Haut und Muskeln dein Magen sich befindet. Es gluckert als das Wasser über die Magie hinein gelangt und ihn füllt. Du sollst nicht verdursten, du wirst es nicht, so lange ich da bin. Hernach decke ich dich wieder zu, ziehe mir den Stuhl heran und lasse mich nieder. Schlaf nicht zu lang, Prinzessin. Das Leben hat noch so vieles für dich zu geben. Das Klicken der Tür vermag mich wieder auf die Beine zu bringen und da steht er. Das gleiche goldene, gelockte Haar und die Miene viel zu ernst unter der Frage, ob du dich geregt hast. Mein Kopfschütteln ist die niederschmetternde Wahrheit. Er bittet mich zu gehen, um allein zu sein mit dir, über dich zu wachen.


„Naoko, ich liebe Alejandro. Nicht auf romantische Weise wie man einen Mann liebt, aber wie man seine eigene Seele und sein Herz liebt. So liebe ich ihn.“


Ich lehne von außen an der Tür und presse beide Hände vor meine Lippen, während ich mir erlaube Tränen zu vergießen. Welch Unglück hat diese Familie heimgesucht, bitte wache auf, Leandra, bitte. Lass mich deine Stimme wieder am Ohr und nicht mehr nur in Gedanken hören.

Kommentare 14

  • Ein sehr intensiver Einblick aus einer mal ganz anderen Perspektive. Hat mir sehr gut gefallen. Naokos Sehnen ist sehr greifbar in deinem Text, ihre unterschwellige Erschütterung und, auf eine Art, Hilflosigkeit. Sehr interessante Idee mit dem Wasser bzw. der Wassermagie, um für Flüssigkeitszufuhr zu sorgen und doch keine Risiken dabei einzugehen.

  • Wag es Dir ja nicht auf Dumme Gedanken zu kommen! Ich komm zu dir rüber und stelle Dich zur rede wie Du nur sowas tun kannst...
    Einmal schon hast du es getan >(

  • Hmpf, ich litt mit beim Lesen. So meine heutige, sehr subjektive Bewertung. Schön geschrieben. <3

  • Hör mal auf sie so zu zerditschen, wo sich gerade ausgesprochen wurde! Man ey!

    • Und wenn ich doch noch einmal drauf ditsche? Was machst du dann? Was? WAS? *duckt sich lieber nach eigenem Ego-Anfall*

    • ò______ó *kleistert alle Möbelstücke und Fahrtwege mit Luftpolsterfolie aus und wickelt Leandra darin ein*

    • *macht ein paar Luftlöcher rein*

  • Ein sehr trauriger Einblick in das Geschehen. Leandra ist ein Pechvögelchen. Hier ein Sturz, dort eine Blessur und nun DAS.