Tägliche Routinen

Gleißendes Licht fiel durch das Fenster und ließ die kleinen, filigranen Elemente auf seinem massiven Holztisch wunderschön glitzern, während ein paar freudige Singvögel sich im frühlingshaften Gesang übten. Ein Anblick, der schon zu diesem Zeitpunkt zum Verlieben war, ohne dass die Einzelteile überhaupt ein Ganzes bildeten. Lichtstrahlen brachen im geschlossenen Fenster der kleinen Kammer, hüllten sein blasses Gesicht in angenehme Wärme und ließen seine schweren Augenlieder zufallen, um ihnen ein gewisses Maß an Entspannung zuzugestehen.


Es wird noch Stunden dauern, wenn nicht sogar Tage, bis all diese Komponenten zu etwas Größerem zusammenfinden, das man als Kunst ansehen könnte. Schmuckstücke sind immerhin Kunst, ganz besonders die teuren Stücke, die in Handarbeit hergestellt wurden, wie es bei seiner Arbeit der Fall war.
Arbeit ist ein zu starkes Wort, denn tatsächlich ist das Schmieden, Verbinden und Feinjustieren dieser kleinen Stücke mehr ein Hobby, um in den täglichen Routinen der Ebonfalkefestung nicht unterzugehen. Routinen, die einen früher oder später einholten, das war unausweichlich – kein Wunder, dass er genau in diesem Moment die laute Stimme der Truppenführerin vernahm, die vom Hof aus zum Appell rief. Vielleicht war es doch nur ein Albtraum, der ihm diese kurze Zeit der Ruhe nicht gönnen wollte?


Nein, war es scheinbar nicht, denn keine Minute später wurde die Tür zur kleinen Kammer aufgedrückt. „Teris, Appell! Hast du nichts gehört? Sie wird außer sich sein, wenn du zu spät kommst, Alter!“, es war die Stimme eines anderen Rekruten, keine Frage, doch verschwendete er keine Mühen, um diese Stimme wirklich zu identifizieren. Die verklingenden Schritte zeugten bereits davon, dass der ungewollte Retter sich wieder entfernte – vielleicht doch noch ein paar Minuten des Dösens?
Nein, konnte er nicht. Selbst in diesem schläfrigen Zustand war ihm mehr als bewusst, dass er sich das eigentlich nicht leisten konnte. Unter einem leisen Murren schlug er die Augen wieder auf, starrte auf die vielen Einzelteile vor sich und genoss die schönen Spiegelungen, die die Wände und Decke der Kammer mit kleinen Lichtpunkten versahen. Resignierend schüttelte er den Kopf, um immerhin etwas mehr in die bittere Realität zurückzukommen, denn diese Gedanken waren im Anbetracht des Zeitdrucks gerade nicht der richtige Weg, um wirklich wach zu werden. Besonders nicht, wenn er in drei Tagen nach Götterfels abhauen wollte.


Nein, er musste zu drastischeren Mitteln greifen, das stand außer Frage. Der Boden knarzte laut als er sich aufrichtete und den Stuhl aus den Kniekehlen heraus nach hinten schob, um sich schlussendlich zur Tür umzuwenden. Er war innerhalb von wenigen Momenten wach, wie es sich für einen guten Soldaten gehörte, denn der Ernstfall kann immerhin stetig eintreten. Doch als er zur Schwertscheide griff, wurde ihm mit einem Mal anders. Die Welt verschwamm, der Ton setze aus und sein Sichtfeld schrumpfte auf einen Bruchteil des Normalen zusammen. Selbst das ständige Vogelgezwitscher wurde auf einmal stumm, während er sah, wie die Wand vor ihm das Gleichgewicht verlor und zur Seite kippte. Komisch, denn eigentlich kippten feste Wände nicht einfach so um.

Kommentare 2

  • Ich musste bei dem kreativen Soldaten mit dem Kunstbedürfnis an trench art/Grabenkunst denken, wo Soldaten aus Geschosshülsen etc. Skulpturen, Schmuck und Andre Kunst gemacht haben.

    • Woah, eigentlich eine ganz coole Idee. Darauf bin ich nichtmal gekommen, aber sehr geil!