Sie sind fort~


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"....Die Götter sind fort."


Sie sah aus dem Fenster, begrüßte das Morgengrauen auf dem gepflasterten Weg weiter unter ihr, wo nur grau und grau vorherrschte, denn die Sonne hatte es noch nicht über den Horizont geschafft.
Es war eine tote Stunde, in der das Erwachen wie eine zaghafte Regung nach dem Tiefschlaf lag.
Der Übergang vom Traum in die bittere Realität, durch die just die dunkel gerüstete Gestalt schritt.
Es waren ruhige Schritte die ihn fort trugen, fort von dem Ort, der ihm zuwider schien und doch im Moment die einzige Zuflucht ehrlicher Gastfreundschaft war.
Er wollte nicht hier sein und konnte sie es im verübeln? Gefangen zwischen Traum und Realität, von der die eine Seite so fern blieb, wie die andere unliebsam an ihm zog.


Der Kopf sank an die leicht abgerundete Kante des Fensterrahmens dort, wo der Freiraum im Gestein gelassen wurde, damit das Holz eingelassen werden konnte. Auch weiterhin folgte ihr dunkler Blick dem Krieger, dessen Konturen kleiner wurden auf seinem Pfad zur Stadtmitte.


"...Die Götter sind fort."


Schwere Augenlider sanken etwas tiefer, verliehen dem Blick die Schläfrigkeit, die dem Geiste fehlte. Sie spürte die Betäubung darin, die sie in seinem Gang glaubte. Er hatte schon Zeit gehabt, den Schock zu verarbeiten und obwohl die Gewissheit schon so lange nun im Nacken gekratzt hatte, wog sie nun, wo es erst einmal ausgesprochen wurde, bleiern schwer im Bauch.
Sie waren fort. Wirklich fort.
Eigentlich wussten sie es alle. Im Innersten wussten sie es, wann immer sie die Schwelle der Schreine übertraten, oder mit der kläglichen Restwürde die blieb, den Tempel heimsuchten.
Sie wussten es. Alle, die zum Dienste an ihre Götter geweiht wurden.


"...Die Götter sind fort."


Der schwere Atemzug der sich Raum verschaffte, endete als zarter Beschlag an der Glasscheibe und trübte den Blick hinaus. Das grau in grau verschwand hinter dem flüchtigen Schleier, den warme Atemluft, auf dem kühlen Grund produzierte.
Und sie lächelte, denn die Weichheit die das Glas gegenwärtig über den Blick nach draußen legte, brachte sie dem ersehnten Traum wieder näher, den das wach sei fort hielt.

"...Die Götter sind fort."


Seit dem Vortage nun, hallte der Satz wieder und wieder in ihrem Kopf, hartnäckig festgebrannt in einen Geist, der sich sonst viel schwerer mit dem merken tat. Es brauchte keine Hilfsmittel, um zu erahnen woher das flaue Gefühl im Bauch her rührte. Woher der Kloß im Hals, die Lähmung in den Gliedern.
Langsam nur hob sie die Hand und reckte die spinnengliedrigen Fingern zur Scheibe, um dem langsam verblassenden Beschlag auf dem Glas, noch ihre Signatur mit zugeben. Müde bettete sich die Zeigefingerspitze hinein und zog durch das verwaschene Blatt ihrer schrumpfenden Leinwand, um grob die zweigeteilte Maske darauf zu skizzieren.
Es ging schnell, routiniert, einstudiert und war doch nicht mehr, als das verzerrte Abbild eines Symbols, dass so vielen Geistern und Seelen, Trost und Zuflucht war.


"...Die Götter sind fort."


Das Beben in der Brust wurde zu spät bemerkt,begleitend zu der Wärme nasser Spuren auf den Wangen, wo die Tränen hinab liefen. Sie waren stille, diskrete Zeugen dessen, was sich im innersten des hageren Leibes zusammen braute. Es war mehr als Wut was da brannte.
Mehr als Unverständnis und Frustration über eine Tat, die sie nicht verstand, wie so oft. Bei ihren eigenen angefangen, überstieg das, was die Götter an Brachland nun hinterlassen hatten, ihren Horizont um Längen.
Sie hatte keine Antworten mehr, keinen Rat.


"...du bist arrogant."


Mühselig wurde der Schädel von der Gesteinsecke gezogen, kaum das die Gestalt des Eloniers in der Ferne des Morgengrauens, zwischen Häusern und Gassen verschwunden war, nachdem die beschlagene Scheibe sich endlich wieder aufgeklärt hatte.
Zurück blieb die triste, graue Straße unter dem Haus, die den schmuckvollen Schrein ihrer Göttin umgarnte.
Ja....ja sie war ein arrogant. Ein kleiner Teil in ihr war es, deswegen war sie so, wie sie eben war.


"...Ich will dir helfen."


Ja, ja das wollte er.
Aber wusste er nicht genauso wie sie selbst, dass es vergebene Hilfe war, wenn sie nicht selbst aufstand? Wussten sie nicht beide zu was sie werden würde, schlug sie den einen Pfad ein, den sie mied? Dennoch hatte er sie darum gebeten, obwohl er wusste, wie sehr sie diese Pfade hasste.
Weil sie zu verlockend waren.
Weil sie zu leicht fielen.


"...sie muss sterben, sonst wird sie uns ins Verderben führen!"


Leza lächelte bei der Erinnerung an den alten Mann und befühlte das dunkle Adergeflecht über dem Brustkorb. Es war ein zärtlicher Streich der Fingerspitzen, die zuvor noch die ersehnte Maske ihrer Göttin in eine beschlagene Scheibe gemalt hatten.
Erst einmal von der Haut gelöst, sanken sie tiefer und verschwanden in der Robentasche, um die alte, kleine Holzfigur daraus zu bergen und sie sich vor das Gesicht zu heben.
Die weiße Königin.


"....gebe ihnen nicht was sie verdienen, sondern was sie brauchen."


Aber was brauchten sie?
Was brauchte sie selbst?
Die Figur wurde zwischen den Fingern gedreht, während der Blick aus tränennassen Augen wieder hinaus zur Straße ging, als erhoffe sie dort eine Antwort- doch sie blieb aus. Dort kam kein vertrautes Gesicht um die Ecke, dass auf den Weg half. Da war kein Anreiz für den Geist, der spielerisch zur Tat lockte.
Dieses mal, musste diese Tat von ihr aus kommen. Nur von ihr.
Denn dort war niemand mehr über ihr.


"...Die Götter sind fort."


und es fühlte sich noch immer bleiern schwer im Herzen an, in den Gliedern. Es wog als eine Last auf den Schultern, die kaum zu stemmen war; doch diese Last musste gestemmt werden, nicht? Weil es nicht mehr um sie ging und doch, mehr dennje.
Weil sich hier entschied, wer sie war.


"...warum hast du nicht aufgegeben, wie viele andere?"


Ja, warum? Ansehen hatte sie nie großes genossen, weil es stets egal war. Darum ging es nie. Warum hatte sie nicht das Handtuch geworfen, wie so viele der einzelnen Orden, nachdem die Kunde Balthasars, der durch Elona wütete, bekannt wurde?
Warum stand sie noch hier und wappnete sich für etwas, dass mehr schmerzen würde, als so vieles zuvor?


"...Die Götter sind fort."


Sorgsam stellte sie die kleine Schachdame auf dem Fensterbrett ab und schob sie in die Mitte, wo die Finger sich davon lösten; und sie lächelte, obgleich die Tränen noch nicht gänzlich getrocknet waren.
Es ergab Sinn, dass alles. Die Fragen, der Schmerz, der Wandel, die Einsicht.
Auf seine ganz eigene, verworrene Art, ergab es Sinn für Leza und beschwingte den Schritt zurück in den Raum und dem Teller mit den Frühstücksbroten auf der Kommode.


"...bei all der Sorge um andere, wer kümmert sich um dich?"


In aller Seelenruhe wurde das Brot ergriffen und noch mal betrachtet. Sie war sehr lange keine gute Esserin gewesen.
Tatsächlich war sie sehr lange, in so vielem nicht gut gewesen, doch das war in Ordnung.
Leza biss vom Brot ab und tat den ersten, symbolischen Schritt zurück in den Raum, näher zum Fenster und der dort wartenden, weißen Dame.


"...ich. Ich kümmere mich, um mich. Dann um euch."
~

Kommentare 13

  • Woa!! Untermalt von dem Lied hat das voll die bildhafte emotionale Wirkung, mag's mega!


    (Und für den Kommentar hab ich Lit.wiss studiert.)


    Nein, ernsthaft. Das kann ich besser, also: Die Anapher 'Die Götter sind fort' unterstreicht, durch die Mantrahafte Wiederholung, den Erkenntnisprozess der Protagonistin. Ihr innerer Konflikt, - Dienerin einer Gottheit zu sein, auf die sie nicht mehr vertrauen kann - stürzt sie in eine Identitätskrise, die dem Leser durch die stimmungsvolle Erzählung sehr nah gebracht wird. Ihre Erkenntnis am Ende, dass sie zwar ihre Gottheit verloren haben mag aber nicht ihr menschliches Handlungsvermögen und dass sie sich selbst helfen muss, bevor sie anderen helfen kann, zeichnet eine sehr starke Frauenfigur.


    Nochmal kurz in mottisch: Geil! <3

  • Man sollte es positiv sehen: Jetzt sind quasi sechs Stellen als Gottwesen (m/w/d) ausgeschrieben.
    Vielleicht hat Leza Glück und findet ein krasses Göttermacher-Artefakt, irgendeine epische Maske oder so.


    Aber ja, wirkt sehr glaubwürdig ihre Reaktion auf das alles...nennen wir es den zweiten Exodus. Finde das schwierig weil das so ein unglaublicher Wust aus Emotionen, Weltbild-Erschütterung, Wissenschaft, Theologie und Faktensuche etc ist. Gulmy zum Beispiel Spiele ich wohl noch erst Mal durch eine fakenews/denial Phase. Ist ja schließlich auch eine Art Trauerprozes.

    • Bewerbung als künftige Göttin der Missverständnisse ist bereits raus :D
      Und ja es ist schwierig, absolut. Ich denke ihr Glück ist da einfach, dass sie sich nie gänzlich darauf ausgeruht hat das ein Gott alles richten wird und runter kommt, um Kurse zu korrigieren.

  • sehr schön. Danke fürs Teilen

  • Eine sehr intensive, dem Leser sehr nahe Stimmung. Jedenfalls ging es mir so. Schon im ersten Absatz ziehst du einen tief in deinen Text, in die sehr greifbaren, emotionalen Abgründe, die aber nicht mit Selbstaufgabe einher zu gehen scheinen oder mit einer darüber empfundenen Verzweiflung, sondern mehr aus einer Art hinnehmender Beobachterposition heraus betrachtet werden, während der Char doch eindeutig schwer davon getroffen ist.


    Die Dinge sind jetzt so, wie sie sind. Genauso wie sie eben ist, wie sie ist. Es ist in Ordnung, dass das manchmal weh tut oder es einem nicht unbedingt immer einfach macht, aber aus der Lebenserfahrung, die man bereits gesammelt hat, entspringt auch die tröstliche Erkenntnis, dass es vorübergehen wird. Wie so vieles vorher. Schönes Kapitel.

    • In jedem einzelnen Wort gebe ich Travon recht. Durch die kleinen Passagen war man sofort von der "Handlung" (den Gedanken) gefangen und konnte sie lesen, verstehen und gut verinnerlichen.


      Der Schlußssatz rundet ihre Erkenntnis auch noch grandiös ab. Ich mag diese Geschichte.

    • Freut mich das es ankommt wie erhofft. Mir war es tatsächlich wichtig nun nicht den sterbenden Schwan emotional rüber zu bringen sondern durchaus die eigene Reflexion und ruhige Umgangsart damit. Wenn es so angekommen ist, bin ich froh.

  • Ach Leza... *drück* Ich glaub ich muss mit Lexi mal wieder vorbeikommen :D

  • Wenn Leza endlich vernünftig wird, dann trägt Andra den Widderplüschrucksack, den sie von Minna bekommen hat ;)

    • Was heisst hier 'endlich' ?! Pha! Sie ist die Vernunft in Person!
      ....
      Neben allerlei anderen Eigenschaften :D