Mondfeuer

(Vorwort: Dieser Geschichtsschnipsel ist nicht ganz frisch - dachte ich teile ihn aber trotzdem mal. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere ja unterhalten.)


Wie in Trance beobachtete sie die Tänzer. Einer unendlichen Umschlingung gleich zogen die Gestalten ihre Kreise auf der Bühne, immer fließend, nie stockend. Wie uninteressant so ein Tanz doch für Außenstehende ist …, ging es der Adligen durch den Kopf. Jegliche Bewegung, jeder kleinste Moment der Nähe geschieht doch schließlich nur zwischen den Beteiligten. Allein ihnen obliegt das Tempo des Tanzes, Distanz und Nähe – eine winzige Bewegung kann die komplette Atmosphäre umwerfen, die Harmonie zerstören, den Tanz beenden.
Caitlyn stützte die Ellenbogen auf den Rand der Loge – den Blick ohne Kompromisse auf das Tanzpaar gerichtet. Natürlich hatten sie für die abendliche Vorstellung nur die besten Plätze in der Götterfelser Oper bekommen – wenn auch zu einem stolzen Preis. Die Familie Verland gehörte der Oberschicht an, doch in diesen feinen Unterschieden zeigte sich zweifelsfrei der vergleichsweise geringe Einfluss innerhalb der Stadt. Zumindest auf den ersten Blick.
Die blonde, zierliche Tänzerin unten auf der Bühne wog sich sachte im Takt, scheinbar wie von unsichtbaren Fäden in Position gezogen. Der männliche Part, ein Hüne in gelblichem Kostüm hob sie zwischen den Takten mühelos in die Luft, 'warf' sie mit erstaunlicher Eleganz wieder zurück gen Boden.
„Mond und Sonne, Nacht und Tag ...“, wisperte es neben Caitlyn, kaum zu verstehen unter den kräftigen Klavieranschlägen. Ellen hatte sich aus ihrer zusammengekauerten Position aufgerichtet, wirkte tatsächlich das erste Mal seit Tagen hellwach. Das, worauf sie anspielte, war schon im Titel der Aufführung zu erahnen gewesen: Mondfeuer. Ein Paar, so ungleich wie abhängig voneinander – sie der Mond, er die Sonne.
„Sie sind … perfekt.“ Die Cousine des Rabenhaars schien ähnlich mitgerissen von der Show. Mit dem gewaltigen Opernglas in den Händen wirkte sie beinahe noch verletzlicher als ohnehin schon.
Es war viel Überredungskunst notwendig gewesen, um die angehende Gräfin von einem Besuch in der Oper zu überzeugen – letztendlich hatte Caitlyn sie mehr oder weniger hergeschleift. Dennoch verübelte sie ihrer Cousine diese Querstellung nicht, schließlich lag der Tod ihres Bruders keine zwei Wochen zurück. Dennoch: Der Ruf der Verlands hatte genug gelitten, eine öffentliche, einigermaßen gute Repräsentation war dringend notwendig. Das zumindest hielt Caitlyn für die einzige Chance, wieder ein Stück Einfluss innerhalb der Stadt zu erlangen.
Das Publikum stöhnte begeistert auf. In einer schier unmöglichen Geschwindigkeit wirbelte der Mond, die zierliche Tänzerin, um ihren Partner, vollführte dabei einige Umdrehungen um die eigene Achse und kam – begleitet von einer dramatischen Musikpause – vor ihm im Spagat zum Liegen.
So zerbrechlich, schoss es Caitlyn wieder durch den Kopf, ob diese zarten Knochen wohl einem schlichten Schlag erliegen?
Ein leichter Schauder lief der Adligen über die Oberarme, doch wenn sie ehrlich zu sich selbst war, eher aus pikanter Neugier.
„‘Len?“ Sie beugte sich ein Stück hinüber, zum Cousinchen.
- „Hm?“ Sobald der Blick ihrer Nebensitzerin den Weg vom Tanzpaar hin in Caitlyns kühlblaue Augen fand, versteinerte sich ihre Miene. Caitlyn konnte förmlich greifen, wie die Anspannung der letzten Tage zurückkehrte, sich in einem wachsam-verschreckten Blinzeln manifestierte.
„Es ist nur Show.“, erwiderte sie, erntete von Ellen dafür verständnisloses Schulterzucken.
„Nein, siehst du nicht?“, fügte Caitlyn an, die Stimme wie so oft mit beherrschtem Unterton, „Achte auf seine Augen, und ihre Hände. Frauen verstehen es meist, ihr Gesicht zu verstellen – aber siehst du die Abscheu in der Art und Weise, wie er sie ansieht? Jedes Mal, wenn er sie zu sich zieht, besonders dann, wenn sich ihre Brustkörbe berühren? Hass.“ Bevor Ellen etwas erwidern konnte, fuhr Caitlyn unbeirrt fort. „Dafür sind es bei ihr die verkrampften Finger. Darauf achtet der gemeine Zuschauer nicht, ihre Hände sind schließlich auch sehr klein. Aber jedes Mal, wenn ihr volles Gewicht auf seinen Armen ruht, zucken ihre Finger kurz, als vertraue sie ihm ihr – zugegeben lächerlich geringes – Gewicht nicht an.“
- „Du spinnst.“, murmelte ihre Cousine, verkroch sich unwillkürlich ein weiteres Stück in den Polstern der roten Theatersessel.
„Ich wünschte es wäre so.“, murmelte Caitlyn, wenn sie jedoch in sich hineinhorchte, fand sie kein Bedauern – nur Genugtuung.
Dieses Gefühl verstrich nicht mit der Dauer des Theaterstücks – im Gegenteil – einige Stunden nach der Aufführung wuchs es bis ins Untermessliche.


Am folgenden Morgen im Haus der Verlands im Salma-Viertel, Caitlyn laß in ihrem Morgenmantel die Post, während Ellen in einem ihrer neuen Bücher schmökerte, erreichte sie die Nachricht.
Mond hinterrücks erstochen – Fehlender Star treibt Stück in den Ruin.“ Das Schwarzhaar betonte die Worte genüsslich, sog sie wie den süßen Rauch einer Pfeife von der Zeitung, um sie dann in einem Atemzug im gesamten Raum zu verteilen.
- „Niemals.“, meinte Ellen protestierend und sprang auf – das Buch landete auf dem Boden.
„Ich verwette meine Schwester darauf, dass es ihr Tanzpartner war.“ Caitlyn schüttelte den Kopf. „Die Welt da draußen ist grausam, Len. Es schadet nicht, ab und zu nach dem Schlimmsten zu suchen.“
- „Eine grausame Weltanschauung. Ich wette, wenn du nur nach Schlechtem suchst, wirst du immer fündig.“, knurrte das Cousinchen und stürmte aus dem Salon.
Caitlyn nahm ihren Abgang schier nicht wahr, viel zu versunken war sie in der kurzen Eilmeldung – immer wieder zogen die Worte durch ihren Kopf, formten irgendwann Bildfetzen, eine Erscheinung, eine tote Gestalt. Dünne Knochen, aschblondes Haar, eine Tanzfläche ohne Tänzerin. Neumond.
Sie lachte trocken auf. Dieses Interesse am Morbiden, nein, geradezu die Befriedigung, die sie durch reine Brutalität erfuhr, war neu. Und auch wenn sie viele verkorkste Seiten zu ihren eigenen zählte – so gefährlich war keine bisher gewesen.

Kommentare 6

  • Deine Caitlyn erinnert mich an irgendwen! Hm, der Stil von ihr, die gewählten Worte und Gedanken, das ist sehr interessant zu lesen.
    Mir gefiel vor allem die Passage hier besonders: "Caitlyn schüttelte den Kopf. „Die Welt da draußen ist grausam, Len. Es schadet nicht, ab und zu nach dem Schlimmsten zu suchen.“"


    Hinterlässt den Eindruck eines gut ausgearbeiteten Chars mit vielen Facetten, davon einige makaber/morbid. Und das gefällt immer.

  • *packt Cait ein und geht ernste Gespräche mit ihr führen*


    Nein gefällt mir sehr. Gerade die Passage wo sie den Ekel der Tänzer aufdeckt, die markanten Details hierfür benennt und eine interessante Sicht der Dinge beweist, hat mir sehr gefallen.

    • Ach schön, danke dir für die Kritik!
      'Ne Therapie wär vielleicht nicht schlecht für die Gute. Oder Adels-Detox ;D

  • Ich weiß ich habe dir das damals schon gesagt, aber ich mag die Geschichte immernoch!

    • Danke, aww <3 Hab sie tatsächlich etwas abgeändert wie man sieht, weil ich nicht wusste, wie es mit Levi/den Tares so steht und da ich Caitlyn nicht mehr aktiv spiele :'D

    • ist mir aufgefallen^^ ich mag es trotzdem!