Neues Gedankengut mit alten Attitüden


Während das alte Backsteinhaus der Komtess unheimlich düster wirkte, mit dem gedämmten Licht und den dunklen Farben, betrat der Graf hier ganz neue Gefielde. Er fand sich ganz gewiss nicht in einem Raum wieder, in dem es der Marlene die er kannte, gefallen könnte und trotzdem saß sie dort, auf einem beigen Sofa, in diesem hellblauen Raum, in ihrem hellem, langem und rosanem Kleid. Passend gewählt für ein Abendessen im Frühling.



Eine Kristalllampe warf Licht auf das weiße Tischchen vor ihr und ließ sie, selbst mit den schwarzen Locken, unheimlich freundlich wirken. Es standen bereits zwei Gläser auf dem Tischchen. Eingeschenkt hatte bisher aber niemand und auch das Cognac Glas fehlte in Marlenes Hand. Außer dem deplatzierten schwarzen Flügel und dem Sofa gab es allerdings nur noch eine Kommode das allerlei Alkoholika beherbergte und das kleine Tischchen. Andere Möbel waren wohl noch nicht geliefert, bestellt oder platziert worden. Benedict blickte sich zurecht etwas verdutzt um. Die hellen Farben? Eine Dame im hellem Frühlingskleid? Er wollte sich fast schon wieder umwenden und Mister Vitel zur Rede stellen als der Blick aus den gelben Citrinen ihn traf.



Langsam schlug er seinen Gehrock zurück, stopfte die Finger gewohnt ungewohnt in die Hosentaschen. "Guten Abend, Komtess. Ich danke Euch für die Einladung." ertönt es im förmlich geschlossenen Ton als er Marlene eine tiefe Verbeugung zur Begrüßung schenkte. Auch wenn ihm sein Titel versprach, dass er das nicht müsste – er tat es trotzdem, wie jedes Mal, wenn sie aufeinander trafen. Marlene lächelte ihm schmal entgegen und richtete sich in dem Gemisch aus Tüll, Taft und Chiffon auf. Dieses Kleid – ein Traum für jede junge Frau mit Lebensgeist. "Ich habe zu danken, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid." Nach all der Zeit machte Marlene einen formschönen, vollendeten Knicks vor ihrem Besucher. Ein seltener Anblick auf den Benedict schmunzeln musste und den Kopf halbseitig hinab zog, um die Frau anzusehen: "Was ist passiert, Marlene? Hat man Euch zum Leben beschworen oder gibt es gar etwas Gutes zu berichten? Etwas, dass Euch mit dem Einzug des Frühlings die Sinne betört hat?" fragte er frech, jedoch in einer höflichen Art und Weise die Marlene an ihm kannte und schätzte. "Wie geht es Euch, meine Komtess? Ihr seht wirklich - anders aus.“


Sie deutete ihm an, den Platz auf dem Sofa frei zu wählen. Sie selbst ging um dieses herum etwas zu holen und blieb ihm auch keiner Antwort schuldig: "Ich bin gesund, habe keinerlei Geldsorgen - hierfür muss ich natürlich auch Euch danken. Warum sollte es mir da also schlecht gehen, frage ich Euch?" Sie kam mit zwei Fläschchen nach vorn und zog das Tablett auf dem die beiden formschönen, schlanken Gläser standen, näher zu sich. Aus der kleineren Flasche schenkte sie nur je einen winzigen Schluck ein. Die andere Flasche ploppte in ihren behandschuhten Fingern als sie diese aufmachte, verriet den perlig-sprudelnden Inhalt darin - zeitgleich aber auch, dass Marlene sich kaum verändert hatte. Sie war sich nie zu fein gewesen, eine Flasche Alkoholika selbst aufzumachen und ihrem Gast einzuschenken. "Ein kleiner Aperitif, Graf." kündigte sie ihm an, reichte ihm eines der Gläser. "Und falls Euch das Kleid nicht gefällt, habe ich noch eines im zarten mintgrün oder sonnigem gelb, oben im Ankleideraum." schmunzelte sie sacht, schüttelte aber zeitgleich die schwarzen Locken. "Ich versuche mich an anderen Dingen. Suche mich selbst."



Aufmerksam blickte der Graf der Komtess nach, wollte sich dabei fast schon in das Polster schmiegen nur um sie mit dem Grünen Blick einzufangen. Schmunzelnd zog er anschließend die Mundwinkel einen Moment lang hinauf. Sein braunes Haar hat sich wohl kaum verändert, nicht einmal in der Länge. Der Anzug noch war schon immer fein gewesen, der Bart stets sauber gestutzt. "Ihr sucht Euch selbst? Wie kann ich das bitte verstehen? Ich dachte Eu..." Er verstummte und zog den Blick einen Moment zu dem Tischchen, zu den Gläsern darauf. "Ich dachte du hast dich schon längst gefunden, Marlene.“ Er nahm sich wieder das Recht eines Freundes heraus, duzte sie wie früher. "Wenn du mir erlaubst über das Kleid zu urteilen? - Es ist eine schöne Farbe. Es ist geschmackvoll. Es ist ungewohnt. Etwas weniger Faltenzeug und Rüschchen, dann würde ich sogar sagen: Es ist umwerfend. Doch ich bin mir nicht sicher. Ehrlich gesagt es schmeichelt dir, meiner Meinung nach mehr, wenn du eine gewisse dunkle Eleganz trägst." Marlene stufte seine Worte nicht als rüpelhaft ein. Sie waren nur ehrlich.



„Ich dachte auch, ich hätte mich längst gefunden!" flammte sie auf und etwas von der rötlichen Flüssigkeit schwappte gefährlich in ihrem Glas. Unzufrieden sah sie auf den Glasrand, beruhigte sich und setzte sich so hin, dass sie ihren lockigen Kopf abstützen konnte. "Ich glaube ich suche nicht mich selbst, sondern einen Partner. Einen Ehemann, wenn man es so will. Ich war stets der Meinung, dass ich keinen brauche. Um ehrlich zu sein: Ich brauche auch keinen. - Aber ich habe keine Lust mehr Veranstaltungen allein zu besuchen. Keine Lust ständig in ein leeres Haus zu kommen." sprach sie sich von der Seele, verriet ihm ihre Beweggründe. Ein zermürbter Gesichtsausdruck legte sich kurz auf die geraden Gesichtszüge der Komtess. "Also. Nächstes Mal wieder die eigene Garderobe ohne Rüschen, Taft und Chiffon. Dafür wieder mit edler, schwarzer Spitze." bestimmte sie bitter nach einer kurzen Pause und hob ihr Glas in seine Richtung. „Nun bist du wieder du selbst.“ schnaubte er amüsiert auf. "Ich habe den forschen Ton deiner Worte fast schon vermisst. Aber die Suche nach einem Mann?“ murmelte er ihr zu und nippte skeptisch am Inhalt in seinem Glas. "Du willst doch gar keinen Mann... eher nur eine Begleitung, Marlene. Was nicht falsch ist, aber das wäre das was du eben bist." erklärte er ihr. Seine Finger suchten seine Weste auf, öffneten sie, um es sich bequem zu machen. Nachdenklich strich er sich mit der linken über die eigenen Lippen, nachdem er sich auch auf dem Sofa zurückgelehnt hatte. "Gut, angenommen. Wer ist denn dein ausgewähltes ‚Opfer‘?" fragte er und hob die Brauen etwas an.



"Nein. Ich will einen Partner, Benedict. Einen Partner, mit dem ich eben all diese Dinge bereden kann, die ich mit dir berede. Oder mit Dorian oder aber mit Aedan. Mein Problem ist nur, dass die Männer, die mich interessieren entweder zu alt, oder bereits verheiratet sind. Oder eine Liaison mit sonst wem - vorzugsweise mit etwas Blondem – pflegen!" Sie stellte das längliche Glas ab, genoss diesen Aperitif scheinbar nicht. Wer könnte es einer bekennenden Cognac-Trinkerin auch verübeln? "Ich habe noch kein ausgewähltes ‚Opfer‘ im Sinn. Es sind so viele einzelne Faktoren, die zusammenspielen müssen." Sie sah unzufrieden zu ihm hinüber und schrägte den Kopf. "So viel aber zu mir. - Wie ist es dir ergangen? Wie läuft es im Geschäft? Die Familie? Wie geht es dir?" fragte sie ihn endlich nach seinem Befinden und die Züge wurden wieder weicher.


"Dorian – Aedan – Ich." sinniert er laut vor sich hin, lenkte den Blick auf die Gläser. "Es gibt mehr als blond, Marlene. – Du hast also noch kein Opfer gewählt. Und ich hoffe doch nicht das ich Dir helfen soll eines zu finden, immerhin kannst Du jederzeit mit mir reden." Er deutet mit dem Zeigefinger auf die Gläser. „Schenk uns bitte vorab etwas Anständiges ein. Das kannst du… sonst wem servieren.“ schmunzelt er und wartete, während der nachdenkliche Blick ihr folgte und sie beim Aufstehen und erneutem Werkeln an den Flaschen beobachtete. Er betrachtete sie deutlicher als sonst. „Es geht mir gut. Ich verlagere nun die Bank, eröffne mit Glück im Herbst meine Landschule und sonst ist alles beim Alten. Niemand an meiner Seite, wenn du das wissen wolltest. Niemand blondes. Ich habe einiges zu tun. Zu viel – wenn du mich fragst." erklärte er ihr dann knapp und blickte wieder zum Tisch. "Du hast mir sogar etwas gefehlt. Nur ein klein wenig, Marlene. Deine Gegenwart war immer recht erfrischend." Ein Kompliment von ihm, welches darin unterging, dass sie ihm ein quadratisches Glas reichte, in dem die dunkle, goldene Flüssigkeit herumschwappte.


"Aber. Da! Du sprichst es doch eigentlich selbst aus, Benedict. Du nennst einen potenziellen Partner für mich ein Opfer. Warum tust du das? Bin ich denn so biestig? Bin ich unattraktiv und völlig manierenfrei? Warum kann es nicht ein Gegner sein?“ fragt sie und nahm selbst einen Schluck aus dem zweiten Glas. Nun wirkte das rosane Kleid fast wie ein Witz an ihr, während die Finger sich um das neue Getränk schlossen. "Erschrecke mich nicht, Benedict. Muss ich nun etwa den Bankier wechseln?" Nicht alle gesprochenen Worte hatte sie also überhört.



"Oh, Marlene! Opfer, weil Sie dir eh nicht das Wasser reichen könnten. Du weißt das genauso wie ich. Darüber brauchen wir gar nicht diskutieren.“ Seine Fingerkuppen umschließen das Glas fester, ehe er sich zurücklehnt, um nun der Entspannung seine Aufwartung zu machen. "Nein ich bin nach wie vor dein Bankier. Ich will nur das Gebäude ändern. Meine Privatsphäre zurück. Ich bin langsam zu alt, brauche meine Ruhe." spricht er ihr direkt ab, an einen anderen Bankier als ihn zu denken. "Aber, Benedict, hier liegt das Problem. Ich möchte einen Mann der mir, wie du es sagst, das Wasser reichen kann. Ich möchte einen Mann der nie und nimmer die Opferrolle in der Beziehung übernimmt. Jemanden der Strenge aufweist, wenn ich mich daneben benehme, einen der mir einen Rat geben kann wenn ich ihn brauche. Keinen Gönner."


Die Stimmung änderte sich jedoch, mildes Verständnis legte sich in ihr Gesicht als er vom Alter und der gewünschten Ruhe sprach. Da war es dann auch da, eines dieser seltenen ehrlichen Lächeln, welches nun ihm galt: "Der Wunsch nach Ruhe ist nichts verwerfliches." Er lächelte sie an und antwortete: „Der Wunsch nach Ruhe zeugt davon, dass man das Leben im Grunde doch schon abgeschlossen hat, Marlene. Mit sich abgeschlossen hat. – Das sind übrigens keine düsteren Gedanken. Nur welche die für das stehen was nun mal Tatsache ist – ich nehme es einfach hin. Man hat so viel Neues und will dennoch am Alten festhalten. Irgendwie oder so ähnlich. Ich will damit nur andeuten, dass alles was ich sage keinen Sinn ergibt oder vielleicht doch ein Quäntchen Wahrheit beinhaltet." Er prostete ihr mit seinem Glas zu. „Männer sind manchmal ohne Anspruch, Marlene. Doch der jenige der einen hat, hat doch im Grunde mehr gewonnen als nur eine Liaison mit einer Blondine. Lass dich von solchen Dingen nicht beirren. Dunkle Haare sind doch immer schon das bessere Blond gewesen. Aber ich verstehe deine Sehnsucht gut, habe selbst lange Jahre damit verbracht eine Partnerin zu finden die mir genügen kann. Doch sowas gibt es nie in der Verpackung wie man sie gern hätte. Einen Gönner solltest Du wirklich nicht brauchen, eher einen Freund - und ebenbürtigen Partner."



Sie sieht ihn aus den Citrinen heraus nachdenklich an, verzieht gar die Mundwinkel ein klein wenig. "Du bist noch zu jung, um mit deinem Leben abzuschließen. Und auch um die Suche nach einer richtigen Partnerin aufzugeben, Benedict." mahnte sie ihn und stieß mit ihrem Glas an dem seinen an. Ein kräftiger Schluck folgte. "Einen Freund." Das Schnauben war beinahe amüsiert. "Leider weiß ich das noch immer nicht richtig einzuordnen: Wer ist noch Freund, wer Feind - wer ist Verehrer, wer ist Denunziant meiner Person? – Ich kann das nie einschätzen, werde es vermutlich auch nie können."


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