Fahrarzeit

Es war ruhig in den Fahrarunterkünften. Gelegentlich schnarchte ein Junges in seinen Fellen aus oder es raschelte, wenn einer der zukünftigen Legionssoldaten sich herumwälzte.
Sharima genoss diese nächtliche Stille am Meisten und sie hatte das Glück, dass ihre Pritsche so in dem großen Schlafzelt stand, dass das Mondlicht durch die offenen Dachstreben die halbe Nacht direkt darauf fiel.
Das schwarzbraune Charrjunge lag auf dem Bauch, vor ihr mal wieder ein Pergament, sowie Tinte aus den Schreibstuben, die sie hatte mitgehen lassen. Sie musste nur aufpassen, dass nichts davon auf ihre Pfoten geriet, sonst würde sie die Flecken am nächsten Morgen dem Primus erklären müssen.
Doch Sharima passte jedes Mal gut auf. Die Schreibfeder tunkte sie immer nur ganz wenig in das dunkelblaue Nass und zog den Kiel dann kratzend über das Pergament. Sharima mochte das Schreiben. Das Zeichnen. Daher war sie den anderen Jungen dahingehend etwas mehr voraus. Aber bei Asche zählt nicht nur das Schreiben.
Schleichen, Waffentraining, Spurenlesen, Klettern. Manchmal waren die Tage lang und anstrengend und wenn man ein guter Soldat werden wollte, musste man das alles ertragen. Alle Charr ertrugen das. Ihre Mutter hatte das ertragen. Ihr Vater, der sogar Legionär ist.
Das Kratzen der spitzen Feder verstummte, als Sharima sich schon wieder dabei ertappte, wie sie an ihre Eltern dachte. Nein, Erzeuger heißt das bei den Charr. Der Trupp ist die Familie, sagt Primus Mondflüsterer immer. Sharima wollte nicht an Van und Nanthera denken. Das gehört sich im Fahrar nicht, redete sie sich ein. Sie hatte gehofft, dass es mittlerweile, nach einem Jahr, von alleine aufhören würde. Ihre Kameraden taten es schließlich auch nicht. Niemand redete über seine Eltern. Es zählte nur das Training, die Anweisungen des Primus. Es zählte nur, die Prüfungen zu schaffen und sich somit zu einem guten neuen Trupp zusammenzuschließen, um die Asche Legion stolz zu machen.
Das kleine Charrweibchen seufzte. Und sie wollte gerade ihre Schreibfeder neu ansetzen, als die Zeltplane leise zur Seite geschlagen wurde und ein Charr silhouettenartig im Eingang des langen Schlafzeltes erkennbar wurde.
Sharima zog erschrocken die Luft ein, drückte Feder und Pergament hastig unter ihr Kissen und schob ihre Schnauze in die Felle. Als sie dann noch eines davon ruckartig über ihren Körper zog, hörte sie, wie das Tintengläschen dumpf zu Boden fiel. Sie kniff die blauen Augen zu. Bei Baelfeuers verkohltem Hintern, das durfte nicht wahr sein.
Sie hörte Schritte von weichen schuhlosen Hinterpfoten.
Primus Mondflüsterer.
Das Fell, unter dem sie sich verkrochen hatte, zitterte wahrscheinlich leicht von dem bebenden kleinen Charrkörper darunter. Sharima hielt die Luft an, spitze die vier Ohren um jedes Geräusch aufzufangen und nur auf das Brüllen ihres Primus zu warten, das sämtliche Jungen auf einen Schlag wecken würde. Und wer wäre schuld daran? Sie sah schon vor ihrem inneren Auge den Latrinendienst als Strafe.
Primus Mondflüsterer kann ziemlich laut werden. Elja sagt immer er ist perfektionistischer als Eisen.
Die tapsenden, kaum wahrnehmbaren Schritte verstummten neben ihrem Bett.
Stille.
Nervenzehrende Stille.
„Sharima?“, sprach Mazor Mondflüsterer gedämpft. Doch das angesprochene Asche-Junge reagierte nicht, die Augen weiterhin zugekniffen.
Ein charriges Seufzen rauschte neben Sharimas Bett und sie hörte, wie der Primus sich neben der Pritsche in den Sand niederlies. Ganz langsam schob das Charrweibchen ihre pechschwarze Schnute unter ihrer Decke hervor und in dem grauen Halbdunkel des Zeltes huschte ihr Blick zu dem Gesicht des sitzendes älteren Charr.
Im fahlen Mondlicht konnte sie nur seine Konturen und ansatzweise das Gelb seiner katzenartigen Iridien ausmachen. Immerhin schien der Primus sich nicht in die Tintenpfütze gesetzt zu haben.
„Wenn du auf dem Schlachtfeld in deiner Tarnung auch so rumzitterst, findet sich sogar ein blinder Lahmochse, Junges.“ Er sprach immer noch sehr, sehr leise, damit keines der anderen Jungen wach wurde. So leise hatte seine Stimme einen angenehmen Klang.
Sharima traute dem Braten nicht ganz und nuschelte daher nur eine klägliche Entschuldigung.
„Das ist nicht das erste Mal, dass Tinte aus den Schreibstuben verschwindet. Erklärst du mir, was du damit anstellst?“
Sharima schluckte, dabei klang der Primus nicht mal böse, sondern eher neugierig. Typisch Asche.
Das schwarzbraune Charrweibchen schob sich doch mal aus ihrer „Tarnung“ hervor und setzte sich dem Primus zugewandt hin. Die Beine zog sie an sich und legte ihre Ärmchen darum.
„Ich… ähm… übe schreiben. Und so…“
„Und so?“
Sharima wich dem Blick der gelblichen Augen aus. „Ja, ich übe ein paar Wörter… und Truppschrift.“
Sie nahm wahr, wie der ältere Charr scheinbar lächelte.
„Truppschrift von den Schattenspähern?“
Das kleine Weibchen zuckte ein wenig zusammen. Die Ohren flatterten. Woher wusste Mondflüsterer das? Sie antwortete besser nicht.
„Sharima. Du denkst vielleicht, ich merke nicht, dass die Tinte alle paar Wochen verschwindet und immer wieder vollgekritzelte zerrissene Pergamente im Müll liegen. Oder, dass ich nicht höre, wie spät Nachts deine Schreibfeder hier kratzt und wie du auf dem Trainingsplatz immer interessiert jedem Falken am Himmel hinterher schaust.“ Er pausierte kurz. „Deine Schreibfeder ist auch von einem Falken, richtig?“
Das Weibchen dreht den Kopf nach links zu ihrem Kissen und holte in einer langsamen Bewegung die schwarz-weiße Feder hervor.
„Ja. Meine Erzeugerin hatte einen abgerichteten Falken im Trupp. Sie hat mir die Feder mitgegeben, als ich ins Fahrar ging.“ Sie drehte die Feder zwischen ihren Krallen. „Ich klaue keine Tinte mehr und höre auf zu schreiben. Ich verspreche es.“, fügte sie dann fiebsig an.
Mazor war ein paar Herzschläge lang still.
„Willst du mal werden wie deine Erzeuger?“
„In wie fern?“
„Naja… sind sie gute Soldaten?“
Sharima nickte eifrig. „Natürlich. Mein Vater ist sogar Legionär. Und meine Mutter ist Brevet.“ Wahrscheinlich hatte der alte Charr es genau auf diesen Stolz in Sharimas Stimme angelegt, denn seine Miene wurde zufrieden, er sagte aber erstmal nichts dazu.
Sharima schaute zurück, in das lächelnde Charrgesicht, welches sie nur halb im Mondlicht sehen konnte.
„Aber… du sagst immer, dass der Trupp einzig und allein die Familie ist und unsere Eltern unwichtig sind.“
Mazor lehnte sich in seiner Sitzhaltung etwas vor, um die dunkle Schnauze mehr zu dem Jungen vor ihm zu neigen. „Unwichtig, vielleicht, aber deshalb sollte ein Soldat, der kräftige Wurzeln hat, diese nicht vergessen, hm? Dieser Stolz treibt dich an, Junges. Dieses Nacheifern. Das ist mir hundertmal lieber, als ein Welpe, der denkt, er kann bereits alles und weiß alles. Und du weißt, davon hast du so einige Kameraden.“
Sharima musste verhalten kichern, als sie und ihr Primus scheinbar gerade die gleichen Gedanken an bestimmte Kameraden teilten.
„Du kannst so viel Schrift des Trupps deiner Erzeuger krickeln, wie du willst, Junges. Du kannst von mir aus auch so viel an sie denken, wie du willst. Solange dich das nicht negativ beim Training beeinflusst und du dich in ein paar Jahren trotzdem auf deinen eigenen Trupp einlässt, geht das für mich klar. Deine Eltern kannst du so lange du magst hier tragen…“ er tippte mit dem Zeigefinger der rechten Pfote kurz an Sharimas Schläfe.
„… aber deine zukünftigen Mitsoldaten, deinen Trupp, deine eigene Familie, die trägst du hier.“ Mondflüsterer tippte knapp gegen Sharimas Brust auf Herzhöhe.
Die blauen Augen des Weibchens folgten dabei der Pfote, ehe sie ihrem Meister wieder in die Augen blickte. Etwas betreten presste sie die Lefzen aufeinander und die vier Ohren wippten nachdenklich auf und ab.
„Verstanden, Primus Mondflüsterer.“, erwiderte sie ruhig.
Der ältere Aschler erhob sich daraufhin.
„Aber für die Diebstähle der Tinte und die Sauerei, die du hier auf dem Boden veranstaltet hast, drehst du morgen eine Stunde extra auf dem Parkour, damit das klar ist.“, flüsterte er wieder in gewohnter Strenge, ehe er sich kaum hörbar abwendete.
Sharima lächelte, als sie dem schlanken Charr hinterher schaute, bis er wieder hinter der Plane verschwunden war. Sie legte die Feder erneut unter ihr Kissen und kuschelte sich, noch immer lächelnd, wieder in ihre Felle.

Kommentare 1

  • Das ist meine Kleine. Rebellisch und steht zu ihren Überzeugungen!