Heiß und kalt

Rena saß auf dem kleinen Hocker vor ihrem Schminktisch und kämmte sich die silbernen Haare. Die hüftlangen Strähnen hatte sie gestern, beim Litha-Fest das erst Mal seit langem wieder offen getragen in der Öffentlichkeit. Statt sie sich wie sonst üblich zu einer hochgesteckten Frisur zu flechten hatte sie den üppigen Blütenkranz genommen, mit dem weißen Band und ihn aufgesetzt. Im Spiegel hatte sie sich selbst angelächelt, glücklich darüber das Fest nun mit Rowenna, Celia, Opal und Lara feiern zu können. Ihre Finger hatten das zarte, blütenweiße Kleid glattgestrichen, das ihr bis zu den Knien reichte und mit dünnen Trägern auf ihren Schultern gehalten wurde. Es war ein sommerlich-leichtes Kleid, eines in dem sie sich viel freier und leichter fühlte als in denen die sie sonst zu tragen pflegte. Versonnen hatte sie sich noch einen Moment in Spiegel betrachtet und wieder jung gefühlt. Rowennas Aufregung war schlicht ansteckend gewesen, ihre Heiterkeit und Lebensfreude hatte Rena ergriffen und so ging der Abend schnell herum. Die Frauen hatten miteinander getanzt um den Mitsommerbaum, sie hatten wunderbares Essen gegessen und dann die Wildblüten gepflückt.


Rena war noch gut in Erinnerung geblieben, dass jede Blüte zu ihr gesprochen hatte. Der einzelne Stock Lavendel, den sie zwischen all dem Grün entdeckt hatte, hochgewachsen und wundervoll duftend, den hatte sie zuerst gepflückt. Das Gänseblümchen dessen weißer Kranz besonders viele Blütenblätter gehabt hatte, der rote Mohn, der im Wind gewippt hatte als würde er ihr winken näher zu kommen. Der blaue Natternkopf, der sie magisch anzog, ihre Finger hatten sich um den Stiel der hoch gewachsenen Blume gelegt und jeder der kleinen Blütenkelche war perfekt gewesen. Zwischen dem Blütenteppich der zarten Acker-Krummhals, die sie lockten, fand Rena eine große, schneeweiße Blüte Wiesenklee der im Mondlicht die gleiche Farbe wie ihre Haare zu haben schien. Die leuchtend rosane Blüte der Kornrade hatte ihren Blick gefangen, gerade als sie mit den Fingern über die jungen Ähren des hoch gewachsenen Grases strich, welches ihr Kleid sanft streichelte. Zuletzt hatte sie die Kornblume gefunden. So strahlend das Blau das es aussah als hätte die Blüte ein Stück Himmel in sich, die Farbe trieb ihr unweigerlich ein Lächeln auf die Lippen und sie fühlte eine sanfte Wärme die von ihrem Rücken aus durch ihren ganzen Körper strahlte als sie die letzte Blüte pflückte. Mit dem kleinen Sträußchen Blumen in der Hand war sie später auf ihr Zimmer gegangen und hatte sie sorgsam unter das Kissen gelegt, zusammengehalten von einem kleinen, weißen Band.


Sie hatte in der Nacht geträumt, lebhaft und lange, von einem Mann, ganz so wie Rowenna es ihr versprochen hatte. Es war ein schöner Traum gewesen, solange sie ihn durchlebt hatte fühlte sie sich wohl, geborgen, von Wärme umhüllt. Doch kaum als das Morgengrauen kam war die Baroness aus ihrem Bett geschossen und hatte das Kissen angehoben, die zarten, nun leicht zerdrückten Blüten darunter hervorgeholt und sie auf ihren Schminktisch gelegt. Geschockt starrte sie die Blüten an, die Kornblume insbesondere deren Farbe sie nur zu sehr an den Mann erinnerte, der sie heimgesucht hatte. Heimgesucht. Das war das richtige Wort. Renas Haare waren unordentlich und vom Schlaf zerwühlt, sie hatte sich hin und her gewälzt in ihrem Traum und nun saß sie vor ihrem Schminktisch, die Bürste in Händen und versuchte die Locken zu entwirren. Es war eine mühselige Arbeit, doch eine die ihre Finger beschäftigte und ihren Geist beruhigte. Immer wieder driftete ihr Blick dabei zu dem kleinen Sträußlein hinab und sie starrte es an. Es brachte ihr Herz zum Rasen, die Wärme prickelte wieder auf ihrem unteren Rücken und sie schnappte leise nach Luft.


Angestrengt kniff sie die Augen zu und dachte an etwas anderes. Den anatomischen Aufbau der rechten Hand. Sie rief sich die Struktur der Knochen in Erinnerung, dann die Sehnen, dann die Blutgefäße. Nach und nach entstand vor ihrem geistigen Auge das komplexe Muster, welches sie beim Heilen zu sehen pflegte, zu durchsuchen wusste nach gerissenen Enden und verschobenen Fäden. So fühlte es sich an wenn sie heilte, das war was sie vor ihrem geistigen Auge sah. Als würde sie weben und nähen mit ihrer Magie, ein immer gleiches, unendlich komplexes Muster von magischen Fäden reparieren, ausbessern und wieder an den rechten Platz rücken. Es beruhigte sie, lenkte ihren Geist in vertraute Bahnen. Als nächstes rief sie sich die Muster eines Armes in Erinnerung. Wieder wanderte ihr Geist durch das Muster hindurch, nicht unähnlich einer meisterlichen Weberin saß die Baroness auf ihrem Stuhl, der Blick nach innen gerichtet, ein zartes bläuliches Schimmern um ihre Handgelenke aus feinem Nebel der kühlend über ihre Haut strich und doch keine Nässe hinterließ. Es beruhigte sie. Die Muster beruhigten sie, schon immer hatte sie sie sehen können, sobald sie das erste Mal ihre Magie wahrlich genutzt hatte, um jemanden zu heilen, zu helfen, das wunderschöne Muster zu richten welches zerstört worden war. Es war halb Intuition und halb Wissen um den anatomischen Aufbau eines Körpers, sie fühlte wie die Magie durch den Leib ihrer Patienten floss, wie dieser Fluss gestört worden war, wo das feine Gespinst aus Magie zerrissen wurde und wo sie es mit ihrer eigenen wiederherstellen konnte. Der Arm vor ihrem geistigen Auge nahm Gestalt an, dann eine Brust, ein Kopf, das Lächeln, sein Lächeln.


Rena riss ihre Augen auf, deren Iris wie üblich von kristallblauen Splittern gefüllt war, wenn sie begann ihre Magie zu wirken. Das warme Gold wurde nach und nach ersetzt durch das strahlende Himmelblau, welches sich als Splitter von ihrer Pupille ausgehen durch den Rest der Iris ausbreitete und sich kontrastreich von ihrer natürlichen Augenfarbe abhob. Das Lächeln. Die Magie entglitt ihr, die Hitze kehrte zurück, von ihrem unteren Rücken aus strahlte sie in ihren ganzen Leib und der feine Nebel um ihre Handgelenke verflüchtigte sich, als hätten die Sonnenstrahlen die durch das offene Fenster hereinbrachen sie vertrieben. Schwer atmete sie durch und ihr Blick glitt zurück den Wildblumen. Als sie die Kornblume ansah, hätte sie schwören können das sie ein leises, warmes, bassiges Lachen hörte, das ihr Herz einen Moment lang stottern ließ als hätte es einen Schritt übersprungen. Renas Blick ruckte zurück zu sich selbst im Spiegel, mit eiserner Disziplin, die ihre Magietutoren ihr eingebläut hatten, beruhigte sie ihren Geist. Sie zählte die Bürstenstriche, die sie brauchte, um ihre Haare zu entwirren. Bald schon fielen die langen Strähnen ihr wieder geordnet bis zur Hüfte hinab und sie begann diese zu flechten. Sie zählte nicht mehr, doch nun konzentrierte sie sich vollkommen auf ihre Atmung. Ein… Aus… Ein… Aus… Unter ihren Fingern entstand die Frisur, welche sie heute tragen würde. Sie geriet etwas strenger als sonst und zog an ihrer Kopfhaut, doch das war ihr nur recht. Kühle, Zurückhaltung, Ruhe. Das war ihre Rüstung. Und das hochgeschlossene, langärmlige Kleid. Die Temperaturen waren ihr gleich, im schlimmsten Fall würde sie sich mit ein wenig Wassermagie Kühlung verschaffen. Ein… Aus…


Zufrieden betrachtete Rena sich im Spiegel, die Kühle, die ihr so viel Ruhe gab, die ihr Herz umschloss und ihr Frieden verschaffte war wieder am rechten Platz. Sie schloss das Fenster, richtete ihr Bett und strich das hellblaue Kleid noch einmal glatt. Sie tendierte immer mehr zu helleren Blautönen, statt zu den dunkleren die sie vor einiger Zeit noch getragen hatte. Sicherlich nur ein Zufall. Sie war eben fröhlicher, nicht mehr so beschwert und das dank Rowenna und Celia. Und… mit eisiger Kälte erstickte sie den Gedanken im Keim, bevor er aufblühen konnte. Rena verließ das Zimmer und als ihr Blick auf die Kornblume fiel, fühlte sie wieder die Hitze auf ihrem Rücken die sie erröten ließ. Etwas fester als nötig schloss sie die Türe hinter sich und zählte die Schritte bis sie am Frühstückstisch angekommen war. Kühle, Zurückhaltung, Ruhe. Ja. So war es besser. Die Hitze jedoch kribbelte den ganzen Tag unsäglich auf ihrem Rücken und immer wieder musste Rena sich geistig zur Ordnung rufen um es zu ersticken. Sobald ihre Gedanken jedoch frei liefen, drifteten sie wieder ab, zu dem Traum und dem Mann und die mühsam im Zaum gehaltene Wärme, das Kribbeln kehrte zurück. Es war eine ständige Wachsamkeit in der sie nicht nachlassen durfte. Nicht nachlassen konnte. Die Kühle gab ihr Schutz. Ihrem Herzen vor allem.


Doch die Hitze fühlte sich so schrecklich gut an.

Kommentare 6

  • Schöner Text, authentisch und passend für Rena, die ihre eigentlich recht vielschichtigen Emotionen immer mit dem Kopf zu lenken versucht. Oh, by the way: es ist kein Maibaum gewesen. :thumbup:

    • Vielen Dank :) Manchmal mag ich sie schütteln, die kleine Eisprinzessin. Und ich weiß gar nicht welchen Maibaum du meinst... *zückt den elektronischen Redigierstift*

    • Komisch... ich hätte schwören können, dass... Muss wohl die Hitze gewesen sein. :D

    • Bestimmt sogar. *reicht ein Eis rüber und pfeift dabei unschuldig*

  • Sag mir wer es war. Sag es mir!!!!