Lächeln
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Prostitution, Gefangenschaft, Trauer
Lächeln
Lächeln, Liebes.
Diesen Satz hörte ich oft von ihm.
Er. Dieser dicke, breite Kerl mit dem hässlichen Schnurrbart. Oft fand sich in eben diesem hässlichen Schnurrbart noch ein Rest Eigelb. Frühstücksei. Davon konnte ich seit Monaten nur noch träumen.
Das Frühstück war die wichtigste Mahlzeit des Tages und bei uns war es nicht oft die Einzige.
Abendbrot gab es nur für die Mädchen, die artig waren. Für die Mädchen, die lächelten.
Ich hasste es zu lächeln.
Lächeln, Liebes.
Er trug schon wieder diesen großen, weißen Mantel. Den trug er oft und wir alle wussten genau, dass er heute lange bleiben würde.
Er sah fürchterlich fett in diesem Teil aus.
Mit dicken, nackten Schwabbelbeinen trat er in diesem weißen Mantel aus der Kutsche und stapfte durch den Vorgarten auf unser Haus zu.
Nunja, mir gehörte das Haus ganz sicher nicht. Ich durfte hier wohnen und bekam mein Frühstück hier. Genau wie zehn andere Mädchen und Jungen.
Wir alle hatten den Fehler gemacht und der netten Dame mit der schönen Frisur, dem aufwendig geschneiderten Kleid und den viel zu weißen Zähnen vertraut.
Während der fette Alte mit den nackten Schwabbelbeinen und dem Eigelb im Bart das Haus betrat, blieb ich mit den anderen in unserem Zimmer und spähte aus dem Fenster.
Wir waren vor drei Stunden aufgestanden. So hoher Besuch erforderte schließlich ein gewisses Maß an Vorbereitung.
Ich hatte den Salon zusammen mit Clara und Elias hergerichtet, sodass ein Glas Weißwein, sowie frische Trauben aus der Region bereits auf unseren Besucher warteten.
Lächeln, Liebes.
Jetzt hörte ich die viel zu freundliche Stimme von Miss Mitera, die unseren Gast unten begrüßte.
In diesem Ton sprach sie nur einmal zu mir und das war an jenem Tag, an welchem sie mich davon überzeugte bei ihr sicherer aufgehoben zu sein.
Ich hörte den fetten Alten mit den nackten Schwabbelbeinen, dem Eigelb im Bart und dem Weißweinglas in der Hand laut auflachen und wenig später husten.
Er hatte viel Zeit mitgebracht, wie ich es mir schon gedacht hatte.
Es dauerte ein wenig, ehe man uns in den Salon rief. Ich trug mein schönstes Kleid aus Seide, ganz in weiß.
Ich mochte die Farbe, mochte es wie der Stoff sich an meine Haut schmiegte.
Doch den Blick, den der Alte mir zuwarf als ich in meinem Kleid den Raum betrat, mochte ich nicht.
Sein Schnurrbart, in welchem der Dotterrest vom Frühstücksei hing, zuckte ein wenig und er leckte sich lüstern die Lippen. Der strenge Blick von Miss Mitera traf mich. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Aber ich tat es nicht...
Lächeln, Liebes.
Am Abend gab es für mich kein Essen und trotzdem musste ich gemeinsam mit den anderen im Speisesaal sitzen.
Der fette Alte mit den nackten Schwabbelbeinen, dem Eigelb im Bart und dem Weißweinglas in der Hand, welcher vorhin immer so geschnauft hatte, als würde er jeden Moment einem Herzinfarkt erliegen, war fort. Für heute zumindest.
Mein Magen knurrte und ich ballte die Hände unter dem Tisch zu Fäusten.
Ich wollte nach Hause, wobei ich mittlerweile nicht mehr genau wusste wo ich dafür hinrennen musste.
Nun begann die schönste Zeit des Tages, da ich wie gewöhnlich einen Spaziergang machen durfte bevor die nächtliche Gesellschaft im Anwesen ankommen würde.
Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe wanderten wir über die kleinen Hügel, die nicht weit ab von unserem Haus im Tal gelegen waren. Unser 'Aufpasser' Hannes betrachtete uns wie üblich mit kritischem Blick. Es war schon öfter vorgekommen, dass jemand beim Spaziergang versucht hatte davonzulaufen.
So etwas endete nie gut und wir alle wussten, dass es gar keinen Sinn hatte sein Glück zu versuchen.
Ich hatte schon öfter darüber nachgedacht, jedoch wollte ich weder mich noch die anderen Mädchen und Jungen in Schwierigkeiten bringen.
Lächeln, Liebes.
An diesem Abend geschah etwas Seltsames. Die meisten spürten es schon, als wir auf dem Rückweg zum Anwesen waren.
Diejenigen, die kaum noch etwas spüren konnten, zu welchen ich mich an diesem Abend durchaus zählte, konnten es auf einige hundert Meter Entfernung schlussendlich riechen.
Es roch verkohlt, verbrannt. Es roch nach Unheil.
In unserer Gruppe wurde es unruhig, hastig. Die jungen Frauen und Männer begannen zu tuscheln und unser Wächter musste uns schlussendlich verwarnen und somit zur Ruhe bringen.
Doch auch Hannes wirkte auf einmal verunsichert. Ich hatte den älteren, grimmigen, glatzköpfigen Kerl noch nie so erlebt und plötzlich breitete sich ein Gefühl in mir aus, welches ich schon länger nicht wirklich erfahren hatte.
Aufregung... und Hoffnung.
Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal worauf ich genau gehofft hatte. Ich wusste nur, dass ich den letzten Hügel schleunigst hinaufeilen wollte um zu sehen, was genau gerade vor sich ging.
Lächeln, Liebes.
Wir alle, Hannes eingeschlossen, beschleunigten unsere Schritte und kamen schlussendlich an der höchsten Stelle des Hügels an.
Was sich uns darbot, war ein Trauerspiel und die Hitze, die mir entgegenschoss ließ mich für einige Sekunden erstarren.
Die ersten Schreie, die aus unserer Gruppe erklangen, bekam ich nur am Rande mit.
Wie gebannt starrte ich hinab auf das Anwesen, welches in Flammen stand. Es brannte lichterloh und verwandelte die Umgebung in ein gruseliges Spiel zwischen rotem Licht und dunklem Schatten.
Neben mir fing Hannes loszulaufen, den Hügel hinab. Er wurde immer, immer schneller und plötzlich sah ich nicht mehr ihn, sondern nur noch die grauen Schwaden des Rauchs, welche ihn einhüllten.
Lächeln, Liebes.
Auch ich merkte plötzlich, wie ich mich in Bewegung setzte. Ich fing an zu rennen. In die entgegengesetzte Richtung.
Weg vom Haus, weg von Hannes und Miss Mitera. Weg von dem Ort, an welchem der fette Alte mit den nackten Schwabbelbeinen, dem Eigelb im Bart und dem Weinglas in der Hand so oft einkehrte.
Ich lief in Richtung Stadt und war mir sicher, dass ich auf dem Weg dorthin mein Ende durch die Hand von Banditen oder Zentauren finden würde.
Und ich lächelte.
Kommentare 4
Motte
Das ist phantastisch geschrieben! Also tatsächlich aus literarischer Sicht. Toller Aufbau, sehr spannend!! Der Bogen am Ende zur Headline und dem Mantra zwischendurch, geil gemacht.
Nalien Autor
Ich hab schon seit einer ziemlich langen Zeit nicht mehr geschrieben. Dementsprechend bedeutet mir dieses Feedback sehr viel. Danke !
Ferdinand
Finde ich richtig gut geschrieben! Mir gefällt, dass du immer wieder betonst, wie ekelhaft der Mann mit Eigelb im Bart ist. Und natürlich bin ich auch ein großer Verfechter der Ich-Perspektive.
Hoffentlich geht es Nalien jetzt besser. Ich muss ihn unbedingt mal wieder sehen
Nalien Autor
Danke Bby Für mich war's nicht grad einfach zu schreiben. Aber es tat irgendwie auch gut mal wieder zu tippen.