Der Rabe und der falsche König

Der Rabe und der falsche König



Es war einmal ein weißer Rabe. Ein überaus stolzes Tier mit blauen Augen wie der Himmel, welches sich nicht nur durch sein Gefieder von seinen Brüdern und Schwestern unterschied, sondern auch durch seine Flugkünste.
Der Rabe war ein guter Flieger. Er traute sich in große Höhen und seine Flügel waren kräftig.
Doch der Rabe wollte noch schneller werden. Noch weiter fliegen können und größer und stärker sein, als alle anderen Raben.
Es geschah an einem kalten Wintertag, als etwas zu dem Raben kam. Es war ein König. Ein starker und uralter König, der sich dem Blick des Rabens entzog und ihn nur spüren lies, dass er da war. Seine weise und einnehmende Stimme erklang in Rabes Herz und sprach zu ihm.
„Ich kann dir geben, was du begehrst, Rabe. Wonach du schon dein Leben lang strebst. Ich wünsche mir dafür nur sehnlichst, dass du mein Freund bist.“, sprach der König.
Der weiße Rabe öffnete den Schnabel und lachte in den kalten Wind.
„Ich bin niemandes Freund, aber für dich werde ich eine Ausnahme machen, König. Gib mir Stärke und Macht und ich werde dein Freund sein.“, sprach der Rabe.
Und so geschah es.
Der Rabe wurde größer und kräftiger als andere Raben. Seine schönen, weißgefiederten Flügel glänzten mit dem Schnee um die Wette und trugen ihn so lange es ihm beliebte, ohne müde zu werden. Rabe war überglücklich. Demonstrierte seine Flugkünste wo er nur konnte. Fühlte sich überlegen und selbst wie ein Rabenkönig. Dass er dem unsichtbaren König etwas dafür versprochen hatte, hatte er schon längst wieder vergessen.


Es dauerte nicht lange, und der König sprach erneut über Rabes Herz zu diesem.
„Du bist nun mein Freund. Ich bitte dich, etwas für mich zu tun, Rabe.“, sprach er.
Rabe öffnete den Schnabel und lachte nur, hoch oben über den Baumwipfeln, über die er gerade flog.
„Komm und fang mich. Bring mich dazu, dir zu gehorchen, ‚Freund‘.“, sprach Rabe spöttisch.
Und so geschah es.
Rabe befiel eine Kälte ums Herz, welche er nie zuvor gespürt hatte. Seine Flügel taten weh und zwangen ihn zur unbeholfenen, panischen Landung im Geäst der Bäume.
„Du bist mein Freund. Also tust du, was Freunde tun. Mir einen Gefallen.“, erklang die schmeichelnde Stimme des Königs. „Siehst du den grauen Moa dort, an dem einsamen Hügel? Bitte töte ihn.“
Rabe schaute verdutzt auf seine schönen Flügel, die ihn eben im Stich gelassen hatten. Er schlug sie auf und ab. Doch sie fühlten sich schon wieder so an wie zuvor. Rabe musste noch nie einen Moa töten. Wozu auch. Aber wie schwer konnte das schon sein, wenn er dafür weiterhin der stärkste und schönste aller Raben war.
Er flog los, erhob sich spielend leicht in die Lüfte, erfasste den alten, grauen Moa von oben wie ein Raubvogel, stieß hinab und töte das unschuldige Tier mit einem einzigen kräftigen Schnabelhieb gegen den Kopf. Der Rabe lachte triumphierend, als er das Wohlwollen des Königs in seinem Herzen spürte. Wie ein Schauer überfiel es ihm und Rabe sollte erst viel später merken, dass dieses Wohlwollen immer mehr von seinem schnell schlagenden Herzen einnahm.


Es war an einem späteren Tag an einem Fluss, an dessen Ufer Rabe saß, als der König erneut den Kontakt zu seinem Freund suchte. Rabe hatte den Kopf schräg gelegt und betrachtete sein Spiegelbild. Seine stolze Brust, die noch immer glänzenden und schönsten Flügel, die man je an einem Raben gesehen hatte. Und er fragte sich, wann es ihm entgangen war, dass seine Augen nicht mehr blau wie der Himmel, sondern rot wie Rubine waren.
„Ich hätte gerne einen weiteren Gefallen, Rabe. Den Lindwurm einige Meter den Flusslauf hinab. Siehst du ihn? Töte ihn.“
Und Rabe verneigte sich und tötete den Lindwurm.


Der weiße Rabe tötete schnell und ohne Gewissensbisse jedes Tier, welches der König tot sehen wollte. Was sind schon ein paar unbedeutende, teilweise alte Tiere, gegen seine Stärke und Flugkünste. Er tat dem König den Gefallen und durfte dafür weiterhin stolz und stark sein.
Doch die sonst so schmeichelnde Stimme des Königs wurde mit der Zeit rauer, hinterlistiger.
„Du bist mein Diener und ich hätte gerne einen weiteren Gefallen. Siehst du den Steinmarder dort auf der Jagd. Töte ihn.“
Und der Rabe verneigte sich und gehorchte.
So ging es wochenlang. Monatelang. Jahrelang.
Immer, wenn der weiße Rabe nicht auf den König hören wollte, durchfuhr ihn ein starker Schmerz durch seine Flügel und sein Herz umschnürte eine eiserne Kette. Bis er gehorchte.


Es war ein warmer Sommermorgen, als der König erneut einen Befehl in Rabes Herz pflanzte.
„Du bist mein Diener und ich erwarte einen weiteren Gefallen. Siehst du das junge Rehkitz dort neben seiner Mutter? Töte es.“
Rabe sah das Kitz. Ein lebensfrohes, junges Ding, welches über die Wiese hüpfte und sich an seine Mutter schmiegte. Rabe empfand es nicht als richtig, es aus dem Leben zu reißen. Er wollte nicht mehr töten. Seine Flügel waren ihm schwer geworden. Sein Herz fast schwarz und gepeinigt vom Wohlwollen seines falschen Freundes.
Doch Rabe durchfuhren Zwänge und Schmerzen, bis er nachgab.
Er verneigte sich und tötete das arme Rehkitz vor den Augen der Ricke.


Der weiße Rabe wurde unglücklich. Er hatte alles, was er wollte. Doch seine glänzenden, großen Flügel trugen ihn nicht mehr mühelos. Es kam ihm vor, als läge eine undefinierbare Last auf ihnen, die ihnen die Leichtigkeit nahm. Rabe beschloss, dass er nicht mehr töten würde, egal wie sehr der falsche König sich auch anstrengen sollte.
Das nächste Geflüster kam, als Rabe gerade über weite Weizenfelder flog.
„Du bist mein Diener und du wirst gehorchen. Siehst du den großen schwarzen Wolf dort unten, der durchs Feld streift? Töte ihn!“
Doch Rabe stellte sich stur. Er umkreiste den Wolf, flog aber nicht zu ihm runter. Schmerz befiel seine Flügel und Rabe krächzte auf, segelte unelegant zu Boden und landete, vom König gelenkt, genau vor dem großen schwarzen Wolf. Dieser blieb stehen und betrachtete den großen weißen Raben aus fliederfarbenen, wilden Augen. Seine Haut war von vielen Narben durchzogen, über die kein Fell mehr wuchs. Früher hätte der Rabe Angst vor so einem großen Tier gehabt. Doch jetzt nicht mehr. Er richtete den Schnabel auf, bereit den Todesstoß auszuführen, den der König in sein Herz gesetzt hatte. Es muss ein seltsames Bild abgegeben haben, wie der Rabe starr und mit sich selbst kämpfend so vor dem Narbenwolf stand.
„Was willst du?“, knurrte der Wolf.
„Dich…. nur ansehen.“, erwiderte der Rabe leise und mit einem leisen Lachen.
Der Wolf knurrte den seltsamen Raben nur an und zog weiter. Rabe folgte ihm aus einem inneren, mörderischen Drang heraus.


Dem Wolf wurde es irgendwann zu nervig, verfolgt zu werden. So drehte er sich nach ein paar Stunden abrupt um, fletschte die Zähne und knurrte den Vogel an.
„Warum verfolgst du mich! Lass mich in Ruhe!“
Und Rabe starrte mit seinen Rubinen in die Amethyste des Wolfes, während die Stimme in seinem Herzen sprach. „Töte ihn, töte ihn!“
Rabe wandte den Blick von seiner Beute ab und lies die Flügel hängen.
„Ich soll dich töten, aber ich werde es nicht tun, Wolf. Mein Gehorsam hat hier und jetzt ein Ende.“
„Mich töten?“, lachte der Wolf ungläubig. Doch er sah auch, dass der Rabe Stärke und einen so kräftigen Schnabel und scharfe Klauen besaß, dass er dazu wirklich in der Lage wäre.
„Wer verlangt so etwas von dir?“ ,fragte Wolf.
„Ein König, der mir meinen sehnlichsten Wunsch erfüllte. Und nun komme ich nicht mehr von ihm los.“
„Muss ein falscher König sein, wenn er dich so behandelt.“, knurrte der Wolf nur. „Weißt du, wo er ist?“
„Nein, er spricht nur über mein Herz zu mir. Er könnte überall sein.“, sprach Rabe angestrengt, als er sich weiterhin gegen die Zwänge des Königs tapfer wehrte.
Der Narbenwolf schaut den Raben weiterhin an. Wolf kannte es nicht, von irgendwas oder irgendwem gefesselt zu sein. Er war frei und wild. Seine Stärke war eine Natürliche, keine Gegebene.
„Dann musst du dein Herz von ihm befreien, damit er es nicht mehr greifen kann. Dein Herz gehört allein dir. Das ist deine Stärke. Nicht deine unnatürliche Größe, dein zu spitzer Schnabel und deine seidigen Flügel.“
Und Rabe verstand. Doch er haderte mit sich. Er bereitete seinen schönen starken Flügel aus, betrachtete sie und wie der Wind mit den seidigen Federn spielte. Er war der beste Flieger unter allen Raben. Er wollte kein gewöhnlicher Rabe sein. Er wollte der Beste sein. Doch es gab keinen Ausweg.


Und so geschah es.
Rabe schaute in sein Innerstes. Er erfasste sein Herz und brachte es zum Stillstand, damit es von den schwarzen Ketten des Königs befreit werden konnte. Er fiel vor dem Wolf nieder und Rabe wurde wieder kleiner, sein Schnabel eher klobig und schwer und seine Flügel wurden schwach.
Der falsche König schrie und wütete in Rabes Herz, doch er konnte es nicht zersprengen. Denn Rabe war stärker als er. Er widersetzte sich dem tosenden Sturm und nutzte das letzte Aufbäumen des Königs, um sein Herz wieder anzustoßen bis es langsam aber frei schlug.
Der schwarze riesige Wolf schaute auf den zusammengesackten Vogel zu seinen Pfoten hinab, bis dieser sich ganz langsam auf seine wackeligen Füße erhob.
Rabe lies die Flügel hängen, die ihm so schwer waren, wie noch nie. Er konnte sie nur mit Mühe anheben und selbst so gehorchten sie ihm kaum. Trauernd sah er zu dem nun riesigen Wolf hinauf, mit noch immer rubinfarbenen Augen, die ihn wohl immer an die Knechtschaft des falschen Königs erinnern würden.
„Meine… Flügel. Sie sind gebrochen.“, schluchzte der gewöhnliche weiße Rabe.
Wolf schrägte den Kopf und legte sich vor dem Raben nieder.
„Steig auf. Bei mir brauchst du deine Flügel nicht. Vor mir brauchst du dich nicht zu verneigen.“
Und Rabe kletterte auf das lange Nackenfell des schwarzen Wolfes und lies sich davon tragen.
Seine Flügel waren nutzlos geworden, doch das machte ihm nichts. Der Wolf würde ihn beschützen und überall hintragen, wo dieser auch hin ging.


Rabe bereute, was er im Auftrag des Königs für seinen Machthunger getan hatte. Und er hatte immer geglaubt, dass er nie einen Freund brauchen würde. Doch er hatte begriffen, dass er falsch lag. Er würde sich nie wieder vor einem falschen König verbeugen. Wölfe taten das schließlich auch nicht.


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Neben dem RP mit @Lain inspiriert durch:


Kommentare 2

  • Dass ich die wunderschön finde, habe ich dir ja schon gesagt. Aber wad soll's, ich sag's nochmal: Wunderschön. ;-; <3


    -flüster- Genau wie unser RP. -/flüster-

  • Eine Geschichte die auf dem Skaldenstumpf der Rast erzählt gehört.