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Albtraum, Vergewaltigung
Ich habe das Gefühl, dass mir etwas vor die Linse gesetzt wurde. Trübe, leicht verschwommen erkenne ich mich im Spiegel meines Schminktisches. Meine roten Haare stechen hervor, doch mein Gesicht zu erkennen wird immer schwerer. Ich habe zu wenig getrunken. Das wird wieder verschwinden. Die Hitze macht mir schwer zu schaffen. Ich nehme langsam meine rote Brille ab, lege sie auf den Rand des Schminktischchens und reibe über meine Augen. Es wird laut. Es fühlt sich an, als würde mich etwas beschallen. Mein Schädel dröhnt und ich spüre Druck auf meinen Ohren. Diesem Druck will ich mit meinen Händen entgegenwirken, doch es bringt nichts. Ich schnappe schwer nach Luft, kneife die Augen zusammen und versuche den Schmerz zu überstehen. Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass der Fluch ein Ende haben wird. Ich war lange an der Sonne. Vielleicht ein Hitzschlag? Das ist doch sicherlich halb so wild.
Es sind lange Augenblicke vergangen. Ich falle von meinem Hocker, knalle mit meinen Kopf auf die Fließen und kauere mich zusammen, schreie vor Schmerzen und nach Hilfe. Das denke ich jedenfalls. Ich höre meine eigene Stimme nicht. Nur ein schreckliches Poltern und Donnern in meinem Kopf, welches pro Sekunde schmerzhafter und lauter wird.
Mit letzten Kräften versuche ich auf alle Viere zu kommen und mich zur Tür zu zerren. Doch auf halbem Weg falle ich zurück auf den Boden, weil mich von oben etwas tritt. Ich rolle auf meinen Rücken, um einen großen, schwarzen Schatten zu entdecken, der sich groß über mir aufgebaut hat. Mehr kann ich nicht erkennen durch meinen verschwommenen Blick. Es ergreift mich. Jedoch nicht mit Händen, sondern mit schrecklich großen, scharfen Krallen die sich glühend heiß auf meiner Haut anfühlen....sie fangen an meine Stoffe vom Leib zu reißen. Mein wunderschönes Kleid, welches ich für heute Abend angezogen habe. Das schwarze Wesen vergeht sich an meinem Körper. Ich schreie, doch in Wahrheit kullern nur stumm die Tränen über mein Gesicht. Niemand ist da um mir zu helfen. Ich bin diesem Ding ausgesetzt, welches mich gegen meinen Willen benutzt. Wie paralysiert liege ich auf den kalten Fließen, muss es über mich ergehen lassen. Das Wesen atmet mir heiß ins Gesicht, während es mir seine Nähe und Wärme aufzwingt. Es sind gefühlte Stunden, bevor es von meinem nackten Körper ablässt und sich aufrichtet. Seine Umrisse werden langsam deutlicher, mein Blick klarer und sein Gesicht kommt mir von Sekunde zu Sekunde vertrauer und bekannter vor. Das Wesen trägt das Gesicht meines Vaters. Nur für den Bruchteil einer Sekunde muss ich diesen Anblick noch weiter ertragen, bevor alles dunkel wird und ich in einer schrecklichen Leere schwebe. Schreiend und strampelt will ich dem entfliehen, was auch immer hier gerade passiert. Das Gesicht habe ich immer noch vor Augen. Ich spüre das Wesen immer noch an und in meinem Körper. Alles zieht sich in mir zusammen. Es fühlt sich an, als würde ich sterben. Mehr als das will ich in diesem Augenblick auch nicht. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber ich will sterben. Ich werde nicht mit diesem Gedanken leben können. Doch ich werde aus diesen Gedankengängen herausgerissen, da ich plötzlich aus der Leere falle. Zurück in mein Zimmer...
...wo ich meine Augen schlagartig aufreiße und in den Spiegel blicke. Ich habe meinen knallroten Lippenstift in der Hand, den ich mir gerade auftragen wollte. Mein Blick ist wieder klar und mein Leib bekleidet, unbeschädigt. Meine Brille sitzt auch wieder auf der Nase. Meine Haare habe ich schon geflochten und gesteckt. Ich sehe umwerfend aus.
Ich höre die heiteren Gespräche meiner Familie unten im Schankraum. Das Hausmädchen kümmert sich gerade um den Flur, ihr Besen klopft zwischendurch an meine Tür. Die sich dann auch öffnet. Mein kleiner Bruder tritt ein. Er ist nicht wirklich mein kleiner Bruder, doch fühlt es sich so an. Ich habe ihn damals gerettet, als er einem Freudenhaus entflohen ist. Es ist abgebrannt und das war seine einzige Chance diesem Teufelskreis dort zu entkommen. Der Junge mit den hellbraunen Augen und platinblonden Haaren steuert mich an, reicht mir meine lilane Haarklammer. "Bitteschön, Gina! Ich hab sie gefunden! Ihr solltet das Badezimmer echt mal wieder aufräumen, da sieht man nicht mehr durch. Übrigens habe ich no...", "Lässt du mich bitte für einen Moment alleine, Nalien?", während ich meine Haarklammer ergreife und Nalien im Spiegel anschaue. Er blinzelt mich irritiert an, bleibt wie angewurzelt stehen und öffnet seinen Mund einen Spalt. So schauen wir uns eine Weile über den Spiegel an. Er nickt gehorsam und dreht sich um. "Wir haben unten eine Überraschung für dich, Georgie", verrät er mir noch, bevor er die Tür öffnet und unser Zimmer verlässt. Ich habe wieder Zeit für mich und schaue mir im Spiegel in die Augen, lege die Haarklammer auf den Schminktisch und fasse mir ins Gesicht. Es ist alles echt, alles dran, alles unbeschädigt. Langsam wie eine alte Schildkröte erhebe ich mich, spüre den üblichen Schmerz in meinem kaputten Rücken. Doch alles ist dran und echt. Mein wunderschönes Kleid, meine Stiefelchen mit zu hohen Absätzen. Die dunkle, transparente Strumpfhose, an der ich umherzupfe. Alles ist echt. Das muss ein böser Albtraum gewesen sein.
Noch unter Schock, wacklig und zittrig mache ich mich auf den Weg. Verlasse mein Zimmer, gehe absatzklappernd die Treppen hinunter und schaue zu Nalien, der mich unten im Schankraum schon erwartet. Der Kleine strahlt so fröhlich wie immer und ist ganz aus dem Häuschen mich so hübsch zu sehen. Er überhäuft mich mit Komplimenten und bietet an den letzten Stufen seine Hand an, die ich ergreife. Für den Sonnenschein zwinge ich mir ein Lächeln auf. "Augen zu, Gina!", trällert er zu mir rauf. Ich bin größer als er. Mit den schrecklich hohen Schuhen sowieso. "Na in Ordnung", gehorche ich und schließe die Augen, ganz fest. Irgendwie freue ich mich doch. Die Vorfreude verdrängt das schreckliche Geschehnis von eben ein wenig. Behutsam führt Nalien mich zum Tresen, wo meine Familie versammelt wartet. Meine kleinen Schwestern, mein Bruder und meine Mutter. Dass sie da sind, das ist mir bewusst. "Alles klar. Augen auf!", grinst Nalien begeistert zu mir rauf. Unter den dicken Gläsern meiner lilanen Brille öffne ich meine Rehaugen, die sofort den Mann am Tresen ins Visier nehmen. Er trägt einen langen, schwarzen Mantel und stellt sich...als mein Vater raus. Meine Familie klatscht in die Hände und freut sich. "Papa ist zu Besuch!", quakt meine kleine Schwester Cordelia begeistert, während mein Vater mir das wärmste Lächeln schenkt.
Mein Herz setzt einige Schläge aus, mir fehlt die Luft zum Atmen und ich schaue den Mann sprachlos an. Der Boden unter meinen Füßen schwindet und ich kippe um. Es fühlt sich wieder wie im Albtraum an. Ich sehe meine Familie aus verschwommenen, milchigen Augen und mir geht es wieder schrecklich schlecht. Sie versammeln sich alle panisch um mich. Doch ich bekomme das nicht mehr lange mit, da ich wenig später mein Bewusstsein ganz verliere...
...und vor meinem Spiegel aufwache, mit dem knallroten Lippenstift in der Hand und einem platinblonden Jungen hinter mir, der mir eine lilane Haarklammer hinreicht und mich besorgt aus hellbraunen Augen anschaut. "Geht es dir gut, Georgina?"
Kommentare 1
Nalien
Wieder so schön geschrieben. Gerade die Idee, dass Georgi nach dem Erwachen nochmal einen Traum hat - super gemacht.