Moorhexe

Der ruhige See hat den blonden Mann umschlossen. Schlick und abgestorbenes Naturzeug am Grund des Sees wollen seine Füße verschlingen, aber die Stille und die kühle Erfrischung entschuldigen das alles. Die Oberfläche des Wasser liegt reglos und scheinbar undurchsichtig vor ihm, denn der strahlend blaue Phönixhimmel und die Bäume am Ufer reflektieren sich darauf. Erst als sich ihm eine Gestalt langsam durch das Wasser nähert, fokussiert sein Blick das, was unter dem Spiegel liegt. Der schlanke Körper gleitet so harmonisch durch den See, als sei er dort unten zu hause und seine helle Haut schimmert unter dem Seewasser grünlich. Der bleiche Wassermann lächelt leicht, als er leise vor ihm auftaucht. Schwer vom Wasser klebt sein langes schwarzes Haar platt an seinem Kopf. Hier im Nassen kann keine Frisur verbergen, dass seine Haare eigentlich sehr dünn sind.
“Ich habe die Moorhexe gefunden.” lacht der Blonde ihn an. “Tauch mal bis zur Nase ab und dann wieder auf! Das sieht bestimmt schauerlich aus.” Doch kaum dass die Worte seinen vorwitzigen Mund verlassen haben, bereut er sie schon wieder. Sein Gegenüber sieht ihm getroffen entgegen. Er will näher schwimmen und sich entschuldigen, aber bevor er ihn erreicht hat, taucht der Wassermann wortlos wieder unter und versteckt sich in der matten, dunkelgrünen Schwerelosigkeit. Wohin will er fliehen? Betrübt sieht er dem scheuen Tier nach. Der helle Fleck im See zittert auf der aufgewühlten Wasseroberfläche, aber der Blonde kann erahnen, dass er das hohe Schilf ansteuert. Im Schatten einer Trauerweide taucht er wieder auf. Dort, halb verborgen von den breiten Blättern der Seegräser glotzt er verletzt zu dem Schönling hinüber. Es dauert einen Moment, bis dieser zu ihm aufgeschlossen hat, denn hier wo das Licht selten die tiefhängenden Äste der Weide durchdringt, stehen die Algen und Wasserpflanzen hoch im Gewässer und ärgern den Stadtjungen an den Beinen. Jetzt wo er sich so im Schatten versteckt, muss sich das Frohgemüt sehr beherrschen, nicht wieder amüsiert zu glucksen - denn sein Freund sieht wirklich aus wie eine Moorhexe. Die totenfahle Haut in seinem schattengeränderten Gesicht, das dünne schwarze Haar und die allgemein sehr schräge Art des Mannes machen es ihm schwer, nicht an ein schauerliches Wassergeschöpf zu denken. Aber all das hindert den Blonden nicht im Geringsten daran ihn gern zu haben. “Ich habe etwas Hässliches zu dir gesagt, ja. Aber das war ein Ulk.” sagt er, als er das Schilf raschelnd zur Seite schiebt. “Ich finde dich nicht hässlich, tatsächlich finde ich dich sogar sehr schön.”

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