Das Ziel vor Augen

Das Ziel vor Augen


„Irgendwann ist dein Leben vorbei und dann bereust du, all die Dinge nicht gemacht zu haben!“
Diese Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Genau genommen, seit der kleinen Reise, die ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist. Worte, die ich so oft gehört habe. Die letzte Woche habe ich viel über die Bedeutung nachgedacht. Was wäre gewesen, wenn ich schon viel früher nach diesem Rat gelebt hätte?
„Hör auf zu träumen und leb' endlich Sienna!“
Ich versuch es ja! Ich schüttel den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen. Es bringt nichts, sich zu fragen, was gewesen wäre. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, dass weiß ich nur allzu gut. Und doch driften meine Gedanken immer wieder zu vergangenen Tagen. Was wäre gewesen, hätte der Dolch besser getroffen? Mein Leben wäre vorbei gewesen und ich hätte nichts auf die Reihe bekommen.
„Reiß dich zusammen!“
Diesmal sage ich es zu mir selber, als die Kälte in mich kriecht. Ich hole tief Luft, ignoriere den stechenden Schmerz, der kurzzeitig in meiner linken Bauchgegend auftaucht und hebe das Gewehr erneut an.
„Konzentrier dich. Achte auf den Wind. Lass dein Ziel nie aus den Augen.“
Immer wieder wiederhole ich diese Sätze in meinem Kopf. Meine erste Lektion. Gefühlt Dekaden sind seitdem vergangen. Es ist so viel passiert, seit diesem Tag. Als ich zum ersten Mal ein Gewehr in den Händen hielt. Damals wollte ich nur lernen zu überleben...Heute will ich, dass die Leute mich respektierten. Mich nicht mehr manipulieren oder mich ausnutzen. Ich will, dass man mich anders in Erinnerung hat, als als die schüchterne junge Frau, die ich noch bin. Das lässt mich schmunzeln, denn es ist ein hoch gegriffenes Ziel. Wenn ich diesen Wunsch laut äußern würde, würden mich die Meisten wohl auslachen. Aber das ist mir egal, denn ich werde niemals aufgeben.
Ich drücke den Abzug. Ein Knall ertönt in der sonst stillen Morgenluft, als die Kugel aus dem Gewehrlauf schießt. Ich blinzel, aber zucke nicht zusammen. Nicht so wie beim ersten Mal. Das Geräusch ist mir schon viel zu bekannt. Vorsichtig erhebe ich mich aus der Hocke und verziehe leicht das Gesicht.
„Ihr werdet noch einige Zeit Schmerzen haben. Aber wenn Ihr Euch schont, dürfte die Genesung schnell voran schreiten.“
Ein leises Schnauben entweicht mir. Schonen.. Das kann ich noch, wenn ich tot bin. Ich hatte meine Pause und will weiter machen, sonst werde ich nur verrückt.
Meine hellblauen Augen betrachten die Zielscheibe. Irgendwann würden meine Kugeln mein eigentliches Ziel treffen. Irgendwann...
Niemals wieder soll jemand mir leichtfertig Schmerzen zufügen, oder meinen Freunden. Kann ich es schaffen?
„Denk nicht mal dran aufzugeben!“
Die Worte zu mir selbst, sind schon fast ein Knurren. Nein, ich werde nicht aufgeben. Ich will allen beweisen, dass ich mehr bin, als ein nutzloses Ding. Die ersten Schritte sind auch getan. Das tägliche Training mit dem Gewehr und die morgendlichen Ausdauerübungen helfen. Aber ein Gewehr ist nicht die beste Waffe, um mich zu verteidigen. Gerade in Städten. Bei dieser Überlegung legt sich meine Stirn in Falten und der Kopf wird leicht geschüttelt. Eins nach dem Anderen. Jetzt muss ich erst einmal lernen, mich zu behaupten. Selbstbewusstsein, Stärke, Mut und Kontern! Aber auch hier bin ich auf dem richtigen Weg. Der Job hinter dem Tresen einer nicht so gewöhnlichen Taverne ist genau das Richtige. Ich darf nur nicht aufgeben, bei Rückschritten.
„Genug nachgedacht!“ sage ich mir wieder selber, straffe meine Schultern, gehe ein weiteres Mal in die Hocke und nehme mein Training wieder auf.


Genau in diesem Augenblick beschließe ich endlich zu leben...

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