Der Drachenbrand



Leise knackte das Gras unter ihren Stiefeln. Ihr Blick richtete seine Aufmerksamkeit nach unten zu ihren Füßen, wo die Überreste des kristallisierten Grases auf dem kargen Boden lagen. Die Sonne ging gerade auf, was der Umgebung des Drachenbrandes etwas Schauriges verlieh. Eine unheimliche Stille machte sich breit, je weiter man sich in das geschändete Gebiet wagte. Hier zwitscherte kein Vogel, Mäuse gab es nicht mehr und die einzigen Geräusche, die ab und an die Luft durchschnitten waren die Kanonenschüsse der Charr. Ihre Schritte führten sie vorbei an abstrakt verzerrten ascalonischen Ruinen, näher hin zu den gewaltigen Kristallen die hier und da aufragten. Das Licht der Morgensonne brach sich in den facettenartigen Kristallen, erzeugte ein fesselndes purpurnes Farbenspiel. Einige Augenblicke lang war sie von dem Anblick gefangen.


Heimlich für sich feierte sie diesen Anblick. Schon lange hatte sie vor gehabt, den Drachenbrand zu sehen und jetzt endlich stand sie mittendrin. Zwar war der Drachenbrand so gefährlich wie wunderschön, aber das hatte sie auch schon immer an dem verdorbenen Eis fasziniert. Wie konnte etwas so beeindruckendes gleichzeitig so fürchterlich und grausam sein? Doch auch dieser Drache hatte sein Ende erlebt. Seine Diener würden bald ausgemerzt sein. Dennoch: Das Land würde sich nicht wieder erholen. Ausgemergelt und ausgebrannt. Abermals kam ihr der Gedanke in den Sinn, sich doch dem Kampf gegen die Drachen anzuschließen. Dem Pakt beizutreten oder zuzusehen, dass sie mit den Brüdern und Schwestern des Wolfsrudels für diese Sache mitkämpfte. Sie wollte einen Drachen töten. Sie musste einen Drachen töten. Sie musste Jormag ein Ende setzen. Die Zittergipfel würden endlich wieder frei sein und die Norn könnten in ihre alte Heimat zurück.
Ein Augenblick verstrich. Dann schüttelte sie diese Gedanken ab. Es gab einen anderen Grund, weshalb sie in aller Früh hier her gewandert war. Auf einer halb zerbrochenen, umgestürzten Säule setzte sie sich und zückte ihr Skizzenbuch. Mit dem Kohlestift begann sie, die aufragenden Kristalle und die Landschaft vor ihr grob zu zeichnen. Das Versprechen das sie gegeben hatte, musste eingehalten werden. Kurz schmunzelte darüber. So langsam wurde es zum Ritual, dass die Welpen ein Versprechen einforderten, wenn die Eltern alleine auf Reise gingen. Zuerst die Blumen, dann der Zeitpunkt der Heimkehr, ein besonderes Tier auf der Jagd und nun die Zeichnung des Drachenbrandes. Die Schmollschnute des Sohnes, weil die Eltern sich weigerten Drachenbrand mitzubringen, brachte die Jägerin auch jetzt noch zum Schmunzeln. Kopfschüttelnd zog sie Linie um Linie auf das Pergament, genoss zwischendurch jedoch immer wieder den Anblick, den die aufsteigende Sonne mit sich brachte.


Es waren höchstens zwei Stunden vergangen, als sie das Skizzenbuch zuschlug, wegpackte und von der Säule hinunter rutschte. Sie streckte sich ausgiebig, neigte den Kopf hin und her und ging mit einem halblauten Brummen los. Sicher war der Kerl jetzt endlich wach und man konnte anständig frühstücken. Vielleicht auch nochmal gemeinsam in den Fellen verschwinden, ehe man sich zur Jagd aufmachte…
Kaum zehn Schritte war sie gegangen, als sich ein Schauer in ihr breit machte. Jede Faser ihres Körpers spannte sich an, die Haare auf den Armen richteten sich auf. Es war nicht die Umgebung, die ihr diesen Schauer über den Rücken jagte. Es war das Geräusch, das sie hinter sich vernommen hatte. Ein Knacken, leises Klirren von Kristall auf Kristall. Ihre Hand stahl sich an das Beil am Gürtel, löste während der nächsten zwei Schritte die Lederhalterung.
Laut brüllend, mit gezogener Waffe wirbelte sie herum und blickte in die kristallisierten, leeren Augen eines Greifen. Die Flügel klirrten, als er sie spreizte und sich kurz auf die Hinterbeine stellte. Sein Schrei hallte durch das Tal, in die Ohren der Norn und schon schnellte sein Schnabel zum Angriff nach vorne.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora