Der brodelnde Norden

2 - Ein unerwartetes Wiedersehen



Nie hatte sie daran geglaubt, dass dieser Norn auch nur ansatzweise dem Drachen zum Opfer fallen würde. Er war stark, er war gefestigt. Doch was, wenn ihre Rudelschwester gesehen hatte, was sie selbst nicht sehen wollte? Was, wenn er zwar die Reihen der Eisbrut ausgedünnt und letztlich durch seinen Tod selbst ein Teil der Verdorbenen geworden war? Sie schluckte schwer. Schüttelte den Kopf. Es konnte nicht sein. Arya musste geträumt haben. Halluziniert. Niemals würde ihm so etwas passieren. Niemals würde der Drache ihn für sich gewinnen. Niemals…
Und doch lag sie nun hier im Schnee und starrte hinunter zu den verdorbenen Norn.


Ihr wurde schlecht bei dem Anblick.
Einer der abseits stehenden Verdorbenen hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sein Blick war offensichtlich auf einen toten Norn geheftet. Der Krieger lag sicher noch nicht lange dort, so war ihr Eindruck. Die Eisbrut, die sich um den gewaltigen Splitter verdorbenen Eises versammelte, schien auf etwas zu warten.
Zorn stieg in ihr auf.
Da stand er. Sie sah ihn genau. Sie war sich zuerst nicht sicher gewesen, doch je länger sie ihn anstarrte, desto sicherer wurde sie sich. Er war es. Man sah noch teilweise die blaue Farbe in seinem Gesicht und die Tätowierungen, die seinen gesamten Oberkörper bedeckten. Sein Bart, einst schwarz und schon von grauen Strähnen durchzogen, funkelte nun eisig weiß. Sein rechter Arm war nur noch eine einzige Wucherung aus verdorbenem Eis.
So viele Svanir und korrumpierte Wesen hatte er vernichtet.
Er war der Feuergänger gewesen.
Nun stand er da, mit kaltem Hass in den einst so gutmütigen Augen.


Sie presste ihre Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren. Dann begann sie damit, sich langsam nach hinten zu robben. Stück um Stück, immer weiter fort vom Rand. Soweit, bis sie es wagte sich halb zu erheben.
Der Drache hatte ihn bekommen. Ihn, der sie zum Rudel geholt hatte. Ihn, der für sie gebürgt und ihr mit seiner Weisheit stets geholfen hatte. Angestrengt schluckte sie den Drang hinunter, doch noch in das Herz der Eisbrut zu springen und um mit einem Pfeil nach dem Anderen die Zahl der Verdorbenen zu dezimieren.


Als sie sich schließlich von dem unheilvollen Ort entfernte, wuchs das Verlangen auf Rache in ihr ins Unermessliche. Sie wollte den Drachen töten. Sie musste den Drachen töten. Gemeinsam mit dem Rudel.
Es musste endlich aufhören, dass so viele gute Norn ihr Leben und letztlich auch ihren Körper an die Bestie verloren. Sie nickte langsam.
Vafthrúdnirs Tod sollte nicht vergebens gewesen sein.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 6

  • Sehr greifbar, diese Wut, die andere Gefühle nicht zulassen möchte in diesem Moment. Auch ihre Entschlossenheit, diesem Anheimfallen ein Ende zu setzen, wo enge Freunde zu willenlosen Kreaturen verkommen. Gut zu lesen, wie immer.

  • Ich bin, wie du weißt, ein großer Fan deiner Norn-Geschichte und fiebere immer sehr mit. Wieder wirklich schön geschrieben.

    • Vielen Dank!
      Vielleicht lassen die Zeit und der Kopf auch bald wieder häufigere Geschichten zu.

  • Und ich habe bis heute gerätselt ob er nun wirklich tot ist oder nicht!

    • Ja, ich auch. Wobei Ersteres ja zutrifft... nur eben nicht so komplett. ^^'