Mein Weg

„Bleib sofort stehen!“


Ihre Stimme hallte zwischen den Bergen wider und er folgte dem Befehl der Norn. Seine Schritte verlangsamten sich, bis er zum Stehen kam und seinen Stab in den Neuschnee steckte. Er konnte ihre Schritte hören. Sie knackten. Wohl ging sie rasch. Als sie vor ihm stand, trafen sich ihre Blicke. Er sah den Schmerz in ihren Augen. Diesen wundervollen gütigen grünen Augen.
„Wie kannst du uns nur verlassen, Bär?“ Ihr Mund stand nach der Frage leicht geöffnet und langsam hob sich ihre Hand, legte sich an seine Wange. Die Fingerkuppen trafen auf die Verbände, die sich noch halbseitig über sein Gesicht zogen. Dort wo vor wenigen Tagen noch ein gesundes rechtes Auge gewesen war. Er schwieg. Seine Hand legte sich auf die Ihre. Lange standen sie so beieinander. Lange dauerte es, bis er endlich das Schweigen brach und in leisem, tiefem Bass antwortete.
„Du weißt, dass ich gehen muss. Und du weißt, wie schwer es mir fällt. Doch die große Bärin hat mir diesen Weg gewiesen. Ich kann nicht hier bleiben.“
Kaum merklich neigte sie den Kopf zu einem Nicken. Tief war der Atemzug, den sie tat und er wusste, dass ihr Stolz sich gleich wieder bemerkbar machte. Die Hände sanken hinab. Seine fiel hinunter, berührte dabei knapp den Knauf seines Schwertes. Ihre verblieb noch einen Augenblick lang an seinem Überwurf. Sie zupfte ihn zurecht. Nur von kurzer Dauer war die sanfte Geste ihrerseits. Dann reckte sie den Kopf, hob das Kinn in einer Art an, die er an ihr schätzte. Stolz. Wie er dieses Weib liebte. Dieses selbstsichere, sturköpfige und starke Weib.
„Verabschiede dich nochmal von deinen Söhnen und deiner Tochter, Bär.“
Sein Blick wanderte an ihr vorbei, hin zu dem eingeschneiten Zelt. Er wusste, dass die Drillinge dort nahe des Eingangs kauerten und lauschten. Unwillkürlich musste er schmunzeln.
„Nun kommt schon her.“
Die Worte verklangen und die Plane wurde bei Seite gerissen. Drei Kinder sprangen hinaus, schrien, schubsten und drängelten sich aneinander vorbei. Jeder wollte zuerst ankommen.
Der Norn mit der dunklen Haut ging auf die Knie. Die Finger der linken Hand glitten dabei den Holzstab entlang tiefer, während er den rechten Arm zur Seite streckte.
„Passt aufeinander auf und hört auf eure Mutter. Ich bin bald wieder da.“
Lange dauerte die Umarmung und in geduldiger Ruhe lauschte er dem Klagen der Kinder. Wie üblich waren sie nur am Streiten. Doch er wusste, dass sie stark waren. Sie würden den Naturgeistern trotzen.
Als er sich von seinen Kindern löste, traf sein Blick erneut den seines Weibes. Still sahen sie sich an. Ein letzter warmer Kuss folgte und der Einäugige drehte ab. Seine Schritte knackten und in seinem Rücken spürte er die Blicke derer, die er hier zurück ließ.




Gernar öffnete die Augen. Leise knackte das Feuer der Senke in der Bärenhalle. Tief holte er Luft, verharrte einen Moment lang. Die Wärme des Feuers auf der Haut spürend, atmete er aus. Es war ihm, als wäre er wieder da gewesen. Vor so vielen Wintern. Wehmut erfüllte sein Herz und langsam hob er die rechte Hand. Die Fingerkuppen trafen auf das vernarbte Gewebe, dort wo einst sein Auge gesessen hatte.
Noch ein Augenblick verstrich.
Dann nickte er.
Es war Zeit, dass ihre Wege sich wieder kreuzten.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora