morgendlicher Spaziergang

Übervorsichtig und langsamer als jeder Greis hangelt er sich die hohen schmalen Treppenstufen hinab. Er zwingt sich, nicht nach unten zu sehen und seinen starren Blick auf die Schritte vor seinen Füßen zu heften. Die Stufen sind unterschiedlich hoch, teils aus Stein geschlagen, teils nur aus dem Erdreich geformt und von morschen, abgetretenen Holzbrettern in Form gehalten. Die Grasbüschel auf den Stufen sind weiß überzogen, denn der morgendliche Tau ist zu dieser kalten Jahreszeit gefroren und die Sonne steht noch zu tief am Horizont um den Boden zu wärmen. Er befürchtet, dass auch das Holz von einer Eisschicht überzogen sein könnte. War es eine schlechte Idee, auch diesen Morgen hier her zu kommen? An manchen Tagen meidet er die endlose, schmale Treppe und nimmt den großen Umweg über den Hafen. Auch der Weg in die Mitte der Siedlung ist grausam, denn manche Gassen bestehen nur aus Holzstegen die über den anderen Häusern schweben, aber von der Hauptstraße aus führt ein breiter, befestigter Steinweg zum Hafen hinunter. Von dort aus geht er dann vorbei an den Karren die Güter aus Löwenstein von den Schiffen in der Siedlung verteilen, die Küste entlang zu dem Strand, den er auch heute anstrebt. Oben an der Klippe sieht er dann immer das Grundstück auf dem er lebt und ärgert sich, dass er durch ganz Garrenhof gegangen ist, um hier her zu kommen. Aber heute hat ihm schlicht die Zeit gefehlt um den Umweg zu gehen und so kämpft er sich die letzten Treppenstufen hinunter, bis er endlich auf dem kalten, harten Sand steht.
Irgendwo unter den Bäumen dort hat er seinen Freund das erste Mal geküsst, erinnert er sich, aber das war an einem heißen Phönixtag gewesen. Heute ist der Wind schneidend kalt und das raue Meer schlägt schaumige Wellen. Fast so sehr wie Höhe, hasst er Kälte und er fragt sich einen kurzen Moment, warum er sich das hier eigentlich fast jeden Morgen antut. Weil er es kann, vielleicht.Weil er die letzte Hälfte seines Lebens auch im Zephyr des Koloss schwimmen gehen musste und sich an die eisige Kälte des Wassers gewöhnt hat wie an viele andere, unangenehme Dinge. Schmerz, Einsamkeit und Essen, beispielsweise. Und weil er es braucht zu schwimmen, nicht nur im warmen Zephyr, denn in den letzten Jahren ist er so schwach geworden, dass ihn sein langer schmaler Rücken bei jedem Ausritt mit Pein straft. Zügig zieht er sich aus, legt aber auch jetzt seine Kleidung ordentlich auf einem Baumstamm zusammen, obwohl er schon jetzt, nackig an der schneidenden Luft, vor Kälte zittert.
Beim Treppensteigen wird ihm wieder warm werden, hofft er als er mit einem Sprint Anlauf nimmt und mit einem sauberen Köpfer in die eisigen Wellen eintaucht.

Kommentare 2

  • Oh mein Gott ich zittere mit ihm, so kalt ist mirnur durchs lesen geworden. Gefällt mir echt gut. Ein Gänsehautfaktor der anderen Art.

    • höhö, so gehts auch! :D Ich bin froh dass ich auf meiner warmen couch sitze!