Tractatus Höggeri Speckfaustus VI

Tractatus Höggeri Speckfaustus VI




Aller Motten Name Ikarus...
Ihr Schicksal ist die Kerze...


Aller Seelen Name Stille…
Ihr Schicksal ist der Schwärze…
Unendliches Vergessen.


Welkende Blüten träumen…
Träumen von dem was bleiben darf.


Welten die überdauern…
Unsere sind es nicht.


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Dort wo Högger wandert wenn die kleinen Leute ihn nicht finden können, dort wo er wandert wenn es der Welt scheint als ob er schläft – an dem Ort wo große Geister und echte Riesen träumen; Dort trug es sich zu.


Das Eis lag klirrend und kalt in alle Richtungen. Selbst er, der größte unter den Riesen, war nur ein unbedeutender Fleck im unendlichen gefrorenen Land. Ein Reich aus Scherben. Der Wind peitschte, er brüllte, er schnitt und er tobte über die Weiten und stob den losen Schnee in ewige Unruhe. Einen Himmel gab es hier nicht. Über dem Riesen erstreckte sich die Endlosigkeit des Eises genauso wie unter ihm. Es war als liefe er an der Innenseite einer hohlen Kugel. Das wenige Licht schien aus dem glasblauen Boden selbs. Vor einer Ewigkeit hatte es sich darin verirrt; Der flüchtige, längst vergangene Blick eines fernen Sternes. Höggers gewaltige Zähne klapperten, seine Lippen waren ganz blau, die todbringenden Finger zitterten ganz jämmerlich. In der Welt der Menschen, dort fror er nicht, dort gab es nur die kleine Kälte und den kleinen Wind, dort gab es nur das kleine Sterben – das fürchtete er nicht. Hier jedoch war ihm die Kälte bis in die Knochen gekrochen. Es war kein Ort an dem ein Riese wandeln sollte. Dieser Ort gehörte der Kälte alleine. Das Högger auch nur die Erinnerung an Wärme in dieses Land brachte war eine Beleidigung gegenüber der Schöpfung selbst.
Mit dem ersten Schritt in dieses Eis froren ihm die Zehen schwarz, seit zehntausend Schritten wagte er das Blinzeln nicht. Seine Lider, sie würden zufrieren und ihm das Licht nehmen. Und was hier verloren ging, das blieb verloren.
Nichts außer dem Wind selbst war je soweit in diese Kälte gereist. Doch Högger, der Wanderberg, der Wolkenhirte, das große Fass des Nordens, der alte Blutschlund, wanderte weiter als der Wind, weiter als die Wolken, weiter als das Licht der Sterne. Doch nun war er müde, zu müde um weiter zu gehen. Er war bereit es anzunehmen. Er hatte entschieden sich diesem Eis zu überlassen. Sich endlich hinzulegen und zu ruhen.


Gerade fielen ihm die Augen zu als ein roter Funke in der Ferne tanzte.


Ein roter Funke.


Als hätte ihn der Wahn gepackt. Aber Wahnsinn gibt es in der Welt der echten Riesen und großen Geister nicht.
Denn nichts was ein Riese von Höggers Größe sah war Einbildung.


Wie sollte es? Denn was immer sein Geist sich erdachte, das Zwang sein Wille in die Wirklichkeit.


Und dennoch. Ein roter Funke.
Zu unwahrscheinlich, zu fremdartig, als dass er nun ruhen dürfte.


Also hob er die Schritte wieder.
Er atmete schwer.
Er zwang sich durch das Frieren - Meter für Meter.
Bis er es sah.


Ein loderndes Feuer, knisternd, rot und einladend. Darauf zwei Kessel; einer mit dickem Eintopf und einer mit dampfendem Met. Ein weißer Pelz, so groß, dass sich der Riese ganz darin verbergen konnte und eine hölzerne Flöte aus aus glattem, warmen Holz, lagen daneben.


Erst rollte er sich in den Pelz und setzte sich in den warmen Schein der Flammen. Dann verschlang er den Eintopf und trank den süßen, klebrigen Met. Jeder Bissen und jeder Schluck brachten ihm Wärme zurück in Fleisch und Seele. Was geschunden war, das heilte. Und als ihm der Magen voll und die Wangen ganz rosig waren, griff er zu der Flöte. Ihr Klang war heiter und warm. Sie sang fast wie von allein und er musste Schmunzeln und Lachen, dass er sich den vollen Bauch hielt. So herzlich und schön waren die Lieder.


Dann schlief er ein, geborgen und mit friedlichen Träumen.


Als er erwachte, war dort kein Feuer mehr. Kein Eintopf, keine Musik.


Das Feuer, es war rotes, kräftiges Haar geworden. Zum einem Haupt gehörend, das sanft auf Höggers Brust ruhte.


Der weiße Pelz, er war ein weißer Leib geworden. Warm, weich und den Riesen umarmend.
Der Eintopf war der Duft dieser Gestalt, kräftig nach Fleisch und wilden Kräutern.
Der heiße, süße Met, war die Küsse die sie tauschten.
Das Spiel der Flöte ward ihre Stimme, voller Stärke und Fröhlichkeit.


Ihr Name war Hilga.


Und sie war die Erste die er liebte.


Und er liebte sie so innig, denn sie war sein Herdfeuer, sein Lachen, seine Felle – seine Heimat.


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Dort wo Högger wandert wenn die kleinen Leute ihn nicht finden können, dort wo er wandert wenn es der Welt scheint als ob er schläft – an dem Ort wo große Geister und echte Riesen träumen; Dort trug es sich zu.


Der Sommer lag über den lichten Wäldern die Högger durchwanderte. Die Vögel sangen munter und es duftete nach saftigem Grün und lebendigem Holz. Ein kleiner Fluss tanzte zwischen den knorrigen Wurzeln und alles war Frieden.
Kam der Riese an eine Wiese, war sie gesprenkelt in weiß und rot und grün und blau und mit jedem Schritt sprangen die Grashüpfer in alle Richtungen. Die Tiere des Waldes, manche faul, manche emsig, waren allesamt ganz sommerträumend. Ausgelassen und frei tanzten sie im grünen Lustschloss der Natur.


Diese gute Zeit war von großer Dauer. Viel länger als es der Wimpernschlag eines Sommers bei den Menschen ist. So lang, dass manche schon ganz vergessen hatten, dass es den Winter und den Krieg überhaupt gab. Aber einer, der hatte es nicht vergessen.
Der alte Blutschlund, Schädeltrommler, Hautzupfer, das Gewaltgebirge Högger Speckfaust. Dem schrie jede Faser nach der Hitze der Schlacht, nach Feuer, Blut und Eisen. Nach Schädelbreche und Knochenbiege, nach Fresseblut und Augensteche, nach Reißen und Zerbeißen, nach Schmerz und Schmerz und Schmerz.
Aber soviel er auch die Tiere schlug und hieb, so sehr er den schönen Wald in Flammen setzte, entgegnete man ihm stets nur mit Mitleid, Trauer und Milde.


Was für ein Krieg soll das denn sein?
Einem das Skalp zu rupfen macht ja wohl kaum Spaß wenn der Andere es nicht wenigstens auch bei einem selbst versucht.


Was für ein Elend.


Griesgrämig und übellaunig strich der Riese durch das Paradies. Gerade war er drauf und dran sich ins Gras zu legen, um auf einen niemals kommenden Winter zu warten.
Einen der Hunger und Streit brachte.


Da roch er etwas zwischen den süßen Blumen, weiß und blau; den feinen Duft einer anderen Blüte.
Der Geruch war schwer und rot; fließend und warm; hart und kalt; eisern und knisternd wie Schwarzpulver.


Und er folgte ihm, wie der Bär dem Honig.
Dann sah er es.


Ein Schlachtfeld. Der Boden schwarz und nass, stinkend nach Blut und Tränen. Die Luft brannte vor Feuer und Schreien. Stahl und Eisen wühlten sich in Fleisch und Knochen. Es war Krieg, es war Schlacht, es war Gewalt . Keine einzige Gestalt war zu erkennen. Keine Soldaten, keine Krieger. Es war ein Schauspiel der Kräfte selbst. Bevor Högger verstand was er dort sah, ergriff es ihn.
Es schlug ihm die Nase ab und riss an seinen Ohren, drei Finger brach es gleich, sieben brach es später. Högger schlug um sich, er biss und stach und kratze. Er riss Augen hinaus und drehte Hälse um, Knochen brachen unter ihm. Sein Mund quoll über vor Blut - eigenem und fremdem. Und er lachte und lachte. Er wirbelte in diesem Tanz und zermalmte was immer er zu fassen kriegte. Er wirbelte in diesem Tanz und ging dabei in Fetzen auf.


Dann wurde alles rot, dann schwarz, dann weiß und dann, dann wieder blau. Ein blau wie warmer Sommerhimmel. Er war wieder erwacht. Um ihn herum kein Kampf.


Der Sturm aus Feuer blies nun heiß an seinen Hals, es war ihr Atem.
Stahl und Härte waren ihr Leib, der Högger fest umschlung.
Eisen auf Eisen, Sieg oder Tod, waren ihre Stimme.
Eisen auf Fleisch, Fleisch auf Fleisch, Knochen und Zähne, nasser heißer Staub, ihre Küsse.
Blut und Tränen waren ihr Duft.


Ihr Name war Helma.


Und sie war die Zweite die er liebte.


Und er liebte sie so innig, denn sie war seine Schlacht, sein Abenteuer, sein Blutdurst – sein Krieg.


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Dort wo Högger wandert wenn die kleinen Leute ihn nicht finden können, dort wo er wandert wenn es der Welt scheint als ob er schläft – an dem Ort wo große Geister und echte Riesen träumen; Dort trug es sich zu.


Es herrschte langes, statisches Rauschen. Wie an einem tosenden Meer. Doch ob Wasser oder nicht, das hatte Högger längst vergessen. Ein grauer, trüber Spiegel war alles was er sah. Alles was er erkannte war er selbst. Was er schmeckte, was er hörte. Er war nun schon lange da und schon lange alt. Für ein Kind mag die gleiche Welt, die Högger nun wie zerbrochenes Glas vorkam, bunt und voll Unbekanntem erschienen sein. Doch Högger kannte alles. Er hatte alles geschmeckt, gefühlt, gesehen, geliebt und gehasst. Alles war durchdrungen von ihm und nichts durchdrang ihn mehr. Er verlor seine Konturen. An den Rändern wurde er ganz faserig und blass. Wie ein dunkelgraues Aquarell auf hellgrauem Papier. Er floss aus seiner Mitte immer weiter in den fahlen Grieß.


Wenn man das grundlegende Wesen aller Dinge verstanden hat, dann erscheinen einem die oberflächlichen Unterschiedlichkeiten plötzlich unbedeutend. Und nach dem kurzen Leuchten dieser Erkenntnis wird einem klar, dass zwischen dem konturlosen Alles und der Leere des Nichts kein Unterschied besteht.


Lange versuchte man dem alten Riesen dies und das zu bieten. Hier und da gelang es auch, doch dies trieb den Nagel nur tiefer. So tief das Högger nicht mehr erkannte ob es neu oder alt war, weil er sich selbst nicht mehr davon unterschied.


Drum schloss er die Augen um zu ruhen, bis das der Sternenstaub etwas hervorbrachte was er nicht kannte.


Er versank hinter dem Schwarz seiner selbst geschenkten Nacht. Und gerade schlief er ein, da sah er Sterne.


Sterne hinter den Lidern.
Sie waren zaghaft und blass und doch konnte er den Blick nicht abwenden.
Er konnte sie nicht erreichen, er konnte nicht danach greifen. Es waren Lichter, aufgehangen in seinem Blick.


Sie flackerten und waberten und wann immer er fühlte sich zu nähern, entfernten sie sich. Er suchte Muster in ihrem Tanz, er suchte zu verstehen was sie waren. Ihr Tanz, ihr Leuchten, ihre Farben. Summten sie oder waren sie stumm? Summten sie und er konnte sie nicht hören? Die Stille war so überwältigend, dass Högger die Ohren pochten. Bewegten sie sich? Schrumpfte er selbst? Wuchsen sie? Waren sie eines oder waren sie sich fremd? Waren sie kalt? Waren sie heiß? Er konnte sich nicht umdrehen, er wusste nicht ob hinter ihm noch mehr Sterne in seiner Nacht erschienen waren. Er fragte sich ob er der Mittelpunkt war oder nur ein Zuschauer aus der Ferne. Hier hatte er keinen Leib. War er Stärkste? War er der Größte? War er überhaupt der Selbe? Und wer sollte das überhaupt sein? Wo kamen diese Sterne her oder waren sie schon immer da? Wo kam er dann her?


Er, sie; Was für eine unnütze Trennung, dachte Högger.


Sie verrieten es ihm nicht.


Er grübelte. Er verbiss sich in all der Unklarheit. Er versank in den Fragen bis ihm schwindelte und er in die Schwärze zwischen den tanzenden Lichtern hinabfiel.


Er öffnete die Augen und er sah Formen und er sah Farben.
Die Welt war zurückgekehrt.


Auf seiner Brust lag die Nacht und schlief.
Ihr Leib war die Finsternis, zerbrechlich aufgespannt zwischen dem zarten Licht der Sterne.
Ihre Stimme die dröhnende Stille.
Die tanzenden Lichter waren die Küsse die ihn taumeln ließen.
All seine Fragen, waren ihr Blick.


Ihr Name war Alme.


Und sie war die Dritte die er liebte.


Und er liebte sie so innig, denn sie war sein Unbekanntes, sein Gedanke, sein Wundern – sein Geheimnis.


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PS: Es handelt sich um eine erste Rohversion, aber ich dachte mir, wenn ich sie jetzt nicht hochlade, dann mache ich es doch nicht. Kommas etc. werden bestimmt nochmal überarbeitet.


LG
Högger

Kommentare 12

  • kann mich dem allgemeinen Tonus anschließen. Schöne Einblicke die sehr bildlich und klar malen.
    Davon darf mehr kommen :D

  • 1. Kann ich Ootai nur zustimmen. Du hast es mit einem solchen Gefühl gelesen, das einfach wundervoll war.
    2. Kann ich nur immer wieder sagen, wie sehr ich es schätze, dass wir Beide damals die Entscheidung dieser „Beziehung“ klasse fanden. Ich kannte die Geschichte ja in ihrer IC Fassung. Das jetzt aber nochmals OoC lesen zu können lässt mich schmunzelnd zurück. Dieser Charakter ist eine Geschichte für sich und ich werde nicht müde, das zu sagen / schreiben. <3

  • Wenn die eigene Welt um einen herum gerade schwer und lästig ist, dann sollte man das hier lesen.
    Ich danke dir fürs hochladen und teilen.
    Ich glaube wirklich das es lange her ist, dass ich was gelesen habe was ich wirklich so schön fand.
    "Nichts außer dem Wind selbst war je soweit in diese Kälte gereist." Ich mag es sehr wie in diesem Satz für mich die ganze Unendlichkeit des hohen Nordens liegt. Eine Weite ohne Grenzen.
    Aber mein absoluter Lieblingssatz ist "Ihr Leib war die Finsternis, zerbrechlich aufgespannt zwischen dem zarten Licht der Sterne."
    Vielen Dank.

  • ich fühle mich privilegiert das ich es vorgelesen bekam vom Verfasser und das ist NOOOCH mal um Welten besser #wewanttheaudiobook!

  • Ich mag es wie du Worte zu Farben machst. Klasse.

  • Wow, ich bin begeistert! Für eine Rohfassung schon sehr gut, nur wenige Fehler, die nicht wirklich stören.
    Fantastisch fesselnd geschrieben und wunderbare Umschreibungen.
    Ich mag es einfach wie du mit Worten umgehen kannst!

    • Hallo Kano! Dankeschön dafür :). Es freut mich, dass es dir gefallen hat. Ich mache mich auch fleißig an die Fehlersuche!