Die Ballade der Sturmtochter




(Um die Geschichte noch etwas immersiver zu erleben, setz bitte deine Kopfhörer auf und drücke auf Play, sobald du mit dem Lesen beginnst. Es handelt sich hierbei um eine zusammengeschnittene Soundkulisse, die auf die Geschichte abgestimmt ist.)




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Die Ballade der Sturmtochter

Stetig und mit einer bedrückenden Melancholie prasselte der Regen auf die durchfeuchteten, schwarzen Stoffschichten, kroch in die kleinsten Falten und engsten Winkel, ehe er auf die kalt gewordene, dunkeltürkise Blattschicht stieß und an ihr hinabperlte. Die rinnenden Tropfen hinterließen karge, kühle Spuren, die den Wind besonders gerne aufnahmen und dessen Geflüster direkt unter die Haut trugen.
Das sonst so blaue Himmelsband hatte sich für diese Nacht in ein dunkles und bedrückendes Schwarz gefärbt, trägt eine gräuliche Gischt an Wolkengebälk mit sich.
Götterfels lag ruhig und einsam vor ihr, nur das bedachte Tippeln der rotbraunen Dachschindeln mischte sich mit dem harschen, eigenen Atemzug, der mit der tauben Nase begonnen und mit den bebenden Lippen beendet wurde, sodass der kaltnasse Rachen nicht auch im langatmigen Rhythmus mit eisiger Luft angepeitscht wird.


Die wenigen Zentimeter Stoff der Kapuze trennten sie von der trist-schwarzen Realität da draußen, ließen sie in ihrer eigenen Wirklichkeit leben, gaben ihr Zuflucht.


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Das Geräusch.
Regen trommelte die erste Stunde leicht auf meine Kapuze, die mich vor dem bisschen Niesel schützte. Zum Glück zeigte sich die Sonne aber auch rasch und die Gruppe war guter Dinge. Wir waren mit den anderen Setzlingen und deren Mentoren auf einem Sommerausflug in die lokale Wildnis unterwegs. Er beschwerte sich andauernd, dass er lieber zum Kampftraining gehen wollen würde, sie roch die ganze Wanderung nach fetten Speckmaden. So sah sie auch aus, das aufgequollene Schwein. Mit ihren speckigen Backen, dem berstend-unförmigen Vorbau und ihren viel zu kleinen und dicklichen Beinen. Wie sie die Monate darauf ihren ersten Freund bekam, verstehe ich bis heute nicht. Wahrscheinlich hatte er nur Mitleid mit ihr, weil sie in ihrer Trunkenheit oft davon sprach, wie sie sich das Leben nehmen will, da sie ja so hässlich sei und keiner je Interesse an ihr haben würde. Wäre sicher besser so gewesen, denn jegliche Partner an ihrer Seite wären binnen weniger Monate wohl ebenso kugelrund und kurzatmig, sobald sie auch nur die kleinste Treppe erklimmen.
Mirabelle war mit die einzige, die mich nicht nervte. Wenn ich genauer nachdenke, habe ich mich sogar ab und an gefreut, als sie mir Wildblumen ins Haar stecken wollte, was ich natürlich sofort abgelehnt habe.



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Schwache Silhouetten hoben sich vom dunklen Untergrund der feucht-glänzenden Pflasterstraßen ab und schmiegten sich wohlfühlend in den Schatten des dunklen Nachtmantels. Auch ringsherum waren keine Lichter in den Fenstern der hochgebauten Wohnungen zu sehen, die so herablassend auf dem sicheren Steinpfad der Außenmauer thronten.
Nicht einmal der Mond traute sich, der einsamen Nachtigall Gesellschaft zu leisten und so blieb sie, wie so oft, alleine zurück.



Einzig und alleine das Flackern einer dampfenden Öllaterne am Straßenrand, rund 20 Meter geradeaus, bot ein anziehendes Spiel aus sporadisch wechselnder Rhythmik, wie das Flämmlein so nach dem Leben rang.


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Das Licht.
Wir saßen schon eine Ewigkeit am Feuer und die Gruppe unterhielt sich lachend über Geschichten, die erste Liebe, peinliche Erlebnisse und deren Zukunft. Ich aber genoss es, den tanzenden Flammen bei ihrem Schauspiel zuzusehen. Wer ist größer? Wer wärmer? Wer bleibt zum Schluss übrig und belügt die anderen, dass am Ende alles gut wird?
Jedes Mal, als die Nektarflasche mit Schuss an mich weitergereicht wurde, gab ich sie ohne zu zögern durch. Verstehe nicht, warum man an so etwas Spaß hat. Im Übrigen wussten natürlich auch die Mentoren nicht, dass das nicht nur normaler Früchtesaft war.
Er hatte sich aus seinem Stock eine Art Dolch geschnitzt, mit dem er die ach-so-bedrohlichen Honigwaben zerteilte und dem sylvarischen Speckdolyak rüberreichte. Die lud ihren Holzspieß natürlich gleich mit vier von denen auf und röstete jene kurz über dem Feuer. Ich weiß noch, dass ich mich just in diesem Moment fragte, ob nicht auch einfach Honig aus ihr herausquellen würde, wenn man sie zwischen zwei feste Eichenplatten klemmte und zu pressen begann.
Mirabelle hatte sich aus ihrem Stück Holz eine kleine Flöte geschnitzt, es war der Wahnsinn. Ihr Mentor, so sagte sie mir einst, war ausgebildeter Waidmann und dessen Handwerk faszinierte sie schon von klein auf.
So spielte sie uns ein Lied vor, das den träumerischen Namen „Sturmtochter“ trug. Nach jedem melodischen Abschnitt setzte sie die Flöte ab und sang den darauffolgenden Teil. Ihre Stimme war so … so rein. Rein und unschuldig, als habe sie noch nie etwas verbotenes gesehen, geschweige denn getan.
Die Geschichte handelte vom jungen Blütenblatt einer Orchidee, das durch einen tobenden Sturm von seiner Familie getrennt wurde und sich fortan alleine durch die Welt schlagen musste. Es bereiste die Welt, schloss neue Bekanntschaften und teilweise sogar auch Freundschaften, die jedoch nur von kurzer Dauer waren. Es fühlte sich immerzu vom Universum verraten, da der Schicksalsschlag tiefe Narben in die Fasern getrieben hatte und es somit stets an Farbe und Glanz verlor. Mit der Zeit war die Orchidee unter den anderen Blättern als „Sturmtochter“ bekannt, da sie so zynisch wie ein Unwetter reagierte und ihre Laune oft mit regnerischer Feuchte nesselte. So vergingen die Jahre, die Jahrzehnte und das Orchideenblatt hatte nur noch ein paar Zyklen, ehe es das Lebensende finden würde.
Da traf es eines Tages auf ein einsames, altes Blütenblatt einer Tulpe, das geradezu in einem farbträchtigen Sommerkleid strahlte. Die Orchidee fragte, warum die sie denn so glücklich wirkte, obwohl sie ja ganz alleine auf der Welt war. Daraufhin lachte die Tulpe und bat der Orchidee an, sich zu setzen. Sie unterhielten sich lange und das weise Blatt erklärte ihr, dass es ebenfalls früh von seiner Familie getrennt wurde. Es mache aber keinen Sinn, sich über unveränderbare Dinge zu ärgern, denn auf saurem Boden wachse kein Leben und wer starke Wurzeln hat, müsse immerhin den Sturm nicht fürchten.
Da verstand die Orchidee mit einem Mal und weinte bitterliche Tränen, als sie realisierte, wie gemein sie zu ihren Freunden und Weggefährten war. Dabei wusch sie auch ihr verwelktes, graues Kleid ab und erstrahlte plötzlich in neuem Glanz. Mit dieser Erkenntnis zog das Blütenblatt nochmals in die Welt hinaus und schloss nicht nur anhaltende Freundschaften, sondern verliebte sich auch in ein Rosenblatt, mit welchem es kurze Zeit später zusammenkam.
Monate vergingen und der Lebenszyklus des müden Blattes näherte sich dem Ende. Es verabschiedete sich von seinen wenigen und engen Freunden, die es auf seinen Abenteuern kennenlernen durfte, nahm auch Abschied von seiner großen Liebe, als es daraufhin schwerelos zu Boden sank und die Farbe langsam aus den Fasern wich.
Bitterliche Tränen wurden geweint, die sich zu einer kleinen Pfütze um das Orchideenblatt versammelten und dieses einrahmten.
Jahre später, so die Geschichte, soll an jener Stelle eine wunderschöne Orchidee mit vielen Blütenblättern gesprossen sein, die bis heute mit ihrem sommerlichen Farbenkleid aus Rosenrot und Veilchenblau auch die kleinsten Blümchen in Wonne versetzten konnte.



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Hallendes Getrappel bahnte sich durch die regnerische Atmosphäre der Stadt. Zwei Zugtiere, eine Kutsche mit mindestens zwei Personen, so viel konnte man aus der Schwere der Schritte heraushören. Es dauerte nicht lang, da bog das Gespann in jene kleine Seitengasse ein und zwei Personen stiegen aus. Bei einer schepperte es nachklingend, was auf Plattenrüstung schließen ließ, die andere machte sogar einen kleinen Satz von der Stufe auf den nassen Untergrund, woraufhin ein platschendes Geräusch die Ohren drang. An der Leine hatte sie allerdings noch einen ausgewachsenen Hund. Riesig und zur Jagd auf Großwild abgerichtet, sowas hat man hier schon öfters gesehen und gerade beim Adel war das wohl ein ganz besonderes Statussymbol.
In der nachfolgenden Minute traute sich noch eine weitere Gestalt aus dem Dunkel der Sackgasse, die wohl in jener eine Weile gekauert haben muss.
Der Angstschweiß mischte sich unbemerkt auf die Stirn, war vom Regen nicht zu unterscheiden.
Sie unterhielten sich eine Weile, es wurde aber schnell eindeutig, dass der Adel mal wieder über den Pöbel siegte und Letzterer an Stimmkraft verlor.



Sie bettelte, flehte und doch war es vergebens. „Hab‘ Mitleid mit mir!“, weinte sie mit zerbrechender Stimme, die jedoch vom tobenden Gebell des Tiers auseinandergerissen wurde, als es auf sie gehetzt wurde.


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Die Worte.
„Hab‘ Mitleid mit mir!“, kicherte Mirabelle, als sie um Vergebung wegen ihres Kuschelbedürfnisses bat. Nur das Gemurmel von zwei betrunkenen Setzlingen war am schwachen Feuer vor unserem Zelt noch hörbar, der Rest hatte sich auch schon hingelegt.
Sie war stark angetrunken und doch ist sie mir auch in diesem Zustand mein liebster Zeltpartner. Und meine liebste Wanderbegleitung. Meine liebste Freundin eigentlich. Meine Liebste …
Ihr glattes Kinn kuschelte sich auf meine rechte Schulter und sie schloss sofort die Augen, was ich ihr nachempfand. Umso stärker nistete sich ihr weiblicher Duft nach Orangenschalen und Flieder in meinem Gedächtnis ein. Zaghaft schloss ich meinen Arm um ihren Rücken und drückte sie sogar ein wenig an mich, was ihr ein wohliges Seufzen entfahren ließ und sie auch ihren Arm um meine Brust legte. Wenn ich zurückdenke, hätte ich ihr doch so gerne den Kuss auf die Wange gegeben, ich habe mich nicht getraut.


Es war Zeit zu schlafen.




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Es war Zeit aufzustehen, denn die Seraphen werden ihre Leiche wohl schon bald bemerken und wenn sie mich aus irgendeinem Grund hier oben bemerken, sähe es ziemlich einseitig aus. Das Wetter wird auch nicht besser, ganz im Gegenteil.



Ein Sturm zieht auf.

Kommentare 10

  • Hui, endlich eine ruhige Minute gefunden! Sehr stimmungsvolle Geschichte. Die Idee, das Ganze mit Sound zu untermalen, ist natürlich toll :>
    Ich mag solche Hintergrundgeschichten, die zu gleichen Teilen Informationen geben und Leerstellen lassen. Deswegen stört es mich auch gar nicht, dass einige Fragen komplett offen bleiben. Und zum spekulieren anregen, hehe.
    Ich persönlich stelle mir junge Sylvari nicht ganz so sehr wie menschliche Teenies vor, aber das ist natürlich Auslegungssache :B
    Schön geschriebene, schön gestaltete, spannende Geschichte!

    • Daaanke für dein Feedback! :> Freut mich sehr, dass es dir gefällt.
      Und ja, gerade die Setzlingszeit spielen viele Leute total verschieden aus, mag ich aber sehr, denn Vielfalt ist ja sowieso eine tolle Sache <3

  • Das ich deinen Schreibstil und deine Musik mag weist du ja schon. Die Ballade mit Geräuschen und einem Bild zu untermalen finde ich Klasse. Man kann dadurch so richtig eintauchen. 1 + setzen. <3

    • *Setzt sich brav und streckt den Rücken durch* Danke, Ma'am! Freut mich, dass es dir so gefallen hat <3

  • Ich freue mich, weiteres von der Sturmtochter zu lesen. Sehr interessant zu lesen.

    • Uh, vielen Dank für das motivierende Feedback! Freut mich tatsächlich sehr! Wird auch nicht die letzte Geschichte sein :>

  • Ich bin auch sprachlos! LAV IT! <3

  • Mega o.o
    Mehr kann ich gar nicht sagen <3