Ma?

Ruhe ist im dämmrigen Raum eingekehrt. Hier und da hört man ein Schnarchen, ein Schnaufen. Tiefe Atemzüge, gefolgt von einem Schmatzen. Sie blinzelt, atmet langgezogen aus. Der Arm, der sich um ihren Leib geschlungen hat, wiegt schwer auf ihr. Ihr Atem ist ruhig. Das Gesicht fühlt sich allerdings verkrampft an. Als auch die Letzten sich in ihre Lager verziehen und ihren verdienten Schlaf suchen, schiebt sie den hitzigen Arm von ihrem Körper. Unter Fellen und Decken hervor geschlüpft, setzt sie sich auf und reibt sich durch das Gesicht. Leise tönt das Brummen aus ihrem Mund. Nochmals dreht sie sich um, drückt dem Legendenkoch einen Kuss auf die Schläfe. Er schläft heute für sie mit. Ruhe findet sie seit Stunden nicht. Nach und nach zieht sie sich an. Leder, Wolle und Fell finden ihren Platz am nackten Leib. Zuletzt schlingt sie sich ihren Seitenköcher um, schnappt sich den Waffengürtel und ihren Bogen. Leise Schritte tragen sie raus aus dem Schlafraum. Durch den Gemeinschaftsraum, am wärmenden Feuer vorbei. Noch brennt es gut. Jemand muss vor kurzem noch nachgelegt haben.


Der eisige Wind schlägt ihr wie eine Ohrfeige ins Gesicht, woraufhin sie Fell und Wolle enger um sich zieht. Den Wenigen, die sich um diese Zeit noch in der Festung auf den Beinen halten, nickt sie zu. Ihr Ziel ist der Wehrgang. Dort sucht sie sich einen Platz, abseits und so gut wie möglich vom Wind geschützt. Zwischen den Steinen der Mauer ist es eng, doch sie setzt sich nieder und entgeht damit zumindest den Blicken vom Hof unten. Den Bogen quer auf dem Schoß. Der Kopf wird hinten an den Stein angelehnt. Tief atmet sie ein. Kalt ist die Luft in den Lungen. Noch kälter und es würde schmerzen.
Die Worte des vergangenen Abends rauschen in ihrem Kopf. Dieser wird leicht geschüttelt. Unbewusst. Doch sie spürt die Bewegung durch den Stein an ihrem Hinterkopf. „Es kann nicht sein. Es darf nicht sein.“ Worte, die mehr für die eigene Hoffnung gesprochen werden. Sie schluckt.
„Der Tod ist besser, als vom Drachen verdorben zu werden.“ Anstatt eines Nickens schlägt sie die Lider nieder.


„Warum schließt du das aus?“
„Kann man diesen Gedanken wirklich so einfach zur Seite schieben?“
„Wenn sie verdorben sind, gibt es vielleicht eine Möglichkeit sie zu befreien.“
„Wo bist du, Kind?“
„Wir wissen nicht, was mit denen passiert ist, die damals geblieben sind.“
„Warum bist du nicht dort, wo man dich braucht?“
„Ich weiß nicht, ob ich ihn läutern kann.“
„Kind, es ist nicht nötig dort zu sein.“


Sie blinzelt. Ihre Gedanken sind so darauf konzentriert gewesen, sich den vergangenen Abend nochmal ins Gedächtnis zu rufen, dass ihr die sanfte Frauenstimme nicht aufgefallen ist. Ihr Blick hebt sich gen Himmel.


„Ma?“
„Geh nach Hause.“


Schwer ist das Schlucken. Lange hat sie diese Stimme nicht gehört. Viel zu lange. Die Kälte des Windes die ihren Körper umschließt fühlt sich einen Augenblick nicht mehr wirklich kalt an. Zumindest kommt es ihr so vor.


„Ma, ist es wahr? Hat Jormag die Tiergeister verdorben? Sind sie in den Nebeln?“
„Warum bist du nicht dort, wo man dich braucht?“
„Ich muss hier sein. Man braucht mich hier.“
„Deine Kinder brauchen dich.“


Mit einem Ruck geht ihr Kopf nach vorne. Schwer atmend und irritiert blinzelnd sieht sie sich um. Ein Recke des aktuellen Wachdienstes hockt vor ihr, zieht gerade die Hand zurück.
„Du solltest hier nicht schlafen.“
Verwirrt schaut sie zu ihm auf. Noch einmal schöpft sie kräftig nach Luft, nickt dann.
„Ja. Ja… danke, für‘s Wecken.“
Der Blick geht ihm hinterher, als er sich wieder seiner Wache widmet. Langsam steht sie auf.
Dann starrt sie über die Mauern hinweg in die Dunkelheit.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 5

  • Ich hab die Geschichte schon zwei mal nun gelesen und bin irgendwie sprachlos.
    Sehr schön geschrieben, sehr fesselnd.
    Wir müssen mehr RPen miteinander :D

  • Auch wenn ich keine Ahnung hab worum es geht finde ich diese Geschichte sehr intensiv. Wie du die Stimmung beschreibst finde ich klasse.

  • Das ist schön. Ich hatte mich schon gefragt welche Gedanken in ihrem Kopf umherschwirren! :)