Veldarin: Vorhang der Finsternis

„Ich habe genug gesehen. Der Test geht weiter.“ Diese Gewölbe hier waren augenscheinlich also eine Prüfstätte des Raben. Überall Statuen von diesem, und schließlich dieser Test. Einige aus der Gruppe hatten die Fragen, welche sie gestellt bekommen haben, bereits gelöst, als Veldarin sich seiner Antwort bewusst wurde und diese der Statue mitteilte. Ob seine Wahl die richtige war? Die Stimme, welche in seinem Kopf ertönte, klang gleichgültig. Bestenfalls neugierig. Die Gruppe marschierte in den nächsten Gang, welcher sich vor ihnen auftat. Dieser war jedoch finsterer als jede Höhle, welche er betreten hat. Sämtliche Haare, die nicht gerade länger waren als ein Fingernagel, sträubten sich beim Anblick dieser Finsternis. Doch er ging weiter. Er hatte immerhin seine Gruppe. Er musste nicht mehr alleine stehen. Zumindest dachte er das.


Doch kaum dass er in den Gang trat, brach eine unnatürliche Stille aus. Er hörte das Echo seiner Schritte, jeden seiner Atemzüge, er bildete sich sogar ein, seinen eigenen Herzschlag hören zu können. Ansonsten… nichts. Und vor allem… Niemand. Kalter Schweiß sammelte sich unter den Handschuhen an seinen Handflächen, während sein Blick hektisch – fast schon panisch – umher wanderte. Da war niemand mehr. Sämtliche Freunde, sämtliche Kameraden, welche er begleitet hatte. Alle waren sie auf einmal weg. Völlig alleine stand er in dieser Finsternis. Er fing an, nachzudenken. Soll er vielleicht umkehren? Vielleicht war es ja nur ein schlechter Streich der Gruppe. Doch warum sollte sie ihn alleine vorgehen lassen – vor allem, ohne es irgendwie abzusprechen? Gehörte das vielleicht zu diesem Test? Aber was soll dadurch getestet werden? Einige weitere Gedanken schossen ihm durch den Kopf, allerdings hatte Veldarin das Gefühl, dass er nicht einfach still stehen bleiben durfte. Und schließlich war es nicht das erste Mal, dass er alleine irgendwo unterwegs war. Also zog er weiter in diesen düsteren Nebel, in diesen lichtlosen Gang, welcher sich fast endlos vor ihm erstreckte.




Da kamen sie wieder – die Bilder der Vergangenheit, welche ihn seit einigen Jahren nun heimsuchen. „Nie. Wieder…“, flüsterte er dieses neue Mantra, mit welchem er bisher, seit er bei der Gruppe ist, diese Bilder und Erinnerungen an vergangene Zeit verbannen konnte. Für ihn sollten diese Worte eigentlich ein Zeichen für neue Entschlossenheit werden. Ein Zeichen dafür, diese Vergangenheit, an welche er sich so lange klammert, endlich loszulassen. Dass er diesen Fehler nicht wieder begehen wollte. Doch nun versagt dieses Mantra. Einsam in dieser unnatürlichen Finsternis war er mit diesen Gedanken nun völlig allein. "Kannst du die Vergangenheit eigentlich nie ruhen lassen?" Veldarin schreckte zusammen als er auf einmal diese Stimme aus dem nichts hörte und sah sich panisch um. Er erinnerte sich noch gut an diese Stimme. Die Stimme einer Frau, mit welcher er einige Zeit lang zusammen war, nachdem er endlich aus Maguuma zurückgekehrt ist. Die Stimme der Frau, welche er hat fallen lassen. Für alte Gefühle. Für Erinnerungen an eine Zeit, die nie wieder zurückkehren würden. „Mischst du dich immer ungefragt in Angelegenheiten anderer ein, die dich absolut nichts angehen?", ertönte eine weitere Stimme. Eine Söldnerin, welcher er bei einem Auftrag in den Zittergipfeln begegnete. Welche fast schon achtlos ihr Leben riskierte. Veldarins Schritte wurden schneller, als wolle er den Ursprung dieser Stimme finden. Doch egal, wohin er ging, es war nur Finsternis, Stein und Erde, was er vorfand. Immer mehr Stimmen brachen über ihn ein, richteten über ihn. Erst rannte er blind weiter, dann schrie in den leeren Gang, während er sich an eine der Felswände lehnte. Schrie seine Verzweiflung hinaus. Worte der Entschuldigung, welche niemanden erreichen konnten. Verzweifelte Fragen nach Wegen, die er hätte nehmen können. Mit Mühe hielt er sich davon ab, in Tränen auszubrechen, während die vielen Stimmen unnachgiebig auf ihn einredeten. Ehemalige Verbündete, alte Freunde, damals geliebte Personen… Sie alle stachen mit harschen Worten auf ihn ein und jeder Vorwurf Schnitt tiefer als der nächste. Zwangen ihn, stehen zu bleiben.


Während Veldarin mit seinen Händen verzweifelt Halt an seinem eigenen Körper suchte, wanderte eine Hand zum Griff seines Schwertes am Waffengurt. Kurz erschaudernd schloss er die Augen. Er hatte die Möglichkeit, all dieses Leid zu beenden. Alles, was nötig war, war ein sauberer Schnitt, ein gut platzierter Stich. Wofür lebte er überhaupt noch? War beim Fall von zwei Alt-Drachen dabei, einem davon konnte er sogar in die Augen blicken. Hat gesehen, welches Leid eine Gottheit angerichtet hat, mit dessen Lehren er aufgewachsen ist. Schon alles verloren, was ihm mal wichtig war. Mehr erreicht als manch einer von sich behaupten kann. Doch wofür tat er das alles? Die Stimmen verstummten. Für ihn kam es so vor, als würden sie nur darauf warten. Kalter Schweiß lief ihm über den Rücken, während der Griff um die Klinge sich festigte. Jetzt erst ließ er seine Zurückhaltung fallen und Tränen rannten über seine Wangen. Bittere Tränen, erfüllt von Reue über die Entscheidungen, die er fällte. Wut, dass er unfähig ist, diese Entscheidungen zu akzeptieren. Selbsthass, dass er immer noch versuchen will, zu einer Zeit zurückzukehren, die es nicht mehr geben kann. War das auch eine Prüfung des Raben? Verlor er endgültig seinen Verstand im hohen Norden? Anstatt die Klinge nun aber zu ziehen, ließ er den Griff los und sackte auf den Boden. Einmal schnellte der Handrücken gegen die steinerne Wand dieser Hallen. Danach zog er seine Knie an den Körper, legte seinen Kopf auf diese, und weinte haltlos. Alles, was nun zu hören war, waren die Schluchzer des Mannes, welcher einsam in dieser Finsternis verschwunden war. Keine Stimmen, welche weiter auf ihn niederprasselten. Keine Freunde, an welchen er Halt suchen konnte.
… nein, das stimmte so nicht. Er hatte Freunde, auf welche er sich stützen konnte, wenn er es denn wolle. Freunde, die bereit wären, ihm zuzuhören, sollte er das Gespräch suchen. Sie waren vielleicht jetzt nicht da. Aber sie waren hier. Irgendwo in diesen Gängen und Hallen. Mussten sie sich auch solchen Geistern stellen? Waren sie auch einer solchen Isolation ausgesetzt? Ist diese für sie auch so grausam?



Vielleicht vergingen Stunden, vielleicht auch nur einige Minuten. Er hatte das Gefühl für Zeit verloren, rappelte sich nur wieder auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Zwang sich, weiterzugehen.
„Mischst du dich immer ungefragt in Angelegenheiten anderer ein, die dich absolut nichts angehen?", ertönte die zornigere Stimme von vorher. Tief atmet er durch. „Wenn ich es für notwendig erachte, ja. Es ist nichts falsch daran, einzuschreiten, selbst wenn es mich nichts angeht.. Man kann mich dafür wertschätzen. Oder dafür hassen. Wenn mein Einmischen ‚irgendwas’ bewirken kann… nehme ich dieses Risiko auf mich.“ Da fiel ihm wieder ein Satz ein, welcher eine Freundin ihm entgegen gesprochen hat. Was noch gar nicht zu lang her ist. „Du bist kein Mensch, der Eigennützig ist, sondern ein Mensch, der anderen die Hand reicht.“ Erst jetzt lächelte er wirklich dankbar, als er diese Worte noch mal im Geiste hörte. Seine Schritte wurden fester und etwas schneller.
"Kannst du die Vergangenheit eigentlich nie ruhen lassen?", ertönte wieder diese allzu vertraute Stimme, doch nun war Veldarin ruhig. Vielleicht nicht jetzt… Vielleicht nicht heute. Vielleicht auch nicht morgen. Aber ich werde es mit mir tragen. Ich habe viel falsch gemacht. Einiges davon bereue ich immer noch. Allerdings werde ich nicht mehr weglaufen.“ Je weiter er lief, desto näher ging er inzwischen auf ein Licht zu. „Ich werde lernen, meine Entscheidungen zu akzeptieren. Vergangene, wie auch kommende. Und vielleicht bin ich bald schon in der Lage… loszulassen. Veldarin tritt aus dem Schleier der Dunkelheit in einen Raum mit meterhohen Bücherregalen an den Wänden. Der Rest der Gruppe war ausnahmslos vollständig in diesem Raum vorzufinden. Einige am Boden zerstört, einige mit unleserlichem Gesichtsausdruck. Er lächelte zwar nicht mehr, als er im Raum ankam, allerdings war sein Blick entschlossen. Seine Haltung aufrecht. Und das erste Mal, seit einer ganzen Ewigkeit, fühlte er sich wirklich frei.

Kommentare 6

  • Sehr cool geschrieben! Ich finde es sehr schön zu sehen, das jeder mit seinen Zweifeln zu kämpfen hat, aber es doch irgendwie schafft nicht aufzugeben und weiter zu machen. Aus welchem Grund auch immer :3

  • Ohhhh ich mag das Ende! Es gefällt mir gut, wie erst die Probleme aufgezeigt werden, dann die Verzweiflung und schlussendlich ein Fazit dazu kommt! Sehr schön geschrieben!

    • Ich sag ganz ehrlich, ich hatte bis nach der Veröffentlichung noch "Angst", ob das ganze wirklich so rüberkommt, wie ich es mir vorgestellt habe. Freut mich umso mehr, dass es positiv aufgefasst wird :)

  • Toll geschrieben! Gern gelesen und trotz der bedrückten Stimmung schmunzeln müssen :)

  • Ich find's irgendwie cool diese verschiedenen Impressionen der Charaktere eures Söldner-Trupps zu lesen, weil es ziemlich interessant ist, wie unterschiedlich jeder damit umgeht.

    • Hab mich durch die Geschichten von einigen anderen auch mal dazu inspirieren lassen, was zu schreiben :) Es ist wirklich interessant und auch spannend, was alles dabei herum kommt - zeigt auch gut, wie unterschiedlich die Charaktere sind :D