Maer

Sein Arm wog schwer, so wie er ihn um ihren Leib geschlungen hat. In dieser Nacht wollte Eskild seine Rabin nicht allein lassen. Er spürte ihre Sorge, so wie sie seine spürte, seine Sehnsucht und die Folgen mit welchen auch er kämpfen musste, seit sie den Turm zurückerobert haben. Es ist das erste mal, dass sie solchen Kummer bei Eskild merkte, war er sonst stehts gut gelaunt und hatte Fraja immer wieder auf den Arm genommen. Sie vermisste diese Züge an ihm. Gerade jetzt hier im hohen Norden konnte sie seine Art und seine Worte brauchen. Doch sie weis um das eigene Laster welches er tragen musste, so wie jedes Rudelmitglied hier im Bjora Sumpf. Für Fraja waren die Norn ein Rudel, ob Anhänger des Wolfes oder nicht, dass gemeinsam los zog, gemeinsam auf die Jagd geht und man sich aufeinander verlassen konnte. Das haben sie wieder bewiesen, als sie den Turm von den Händen der Svanir befreiten. Niemand von ihnen wurde ernsthaft verletzt … Einzig die Seele eines jeden von ihnen hat bei diesem Angriff gelitten.


Fraja verflechtete ihre Finger mit jenen des dunklen Schamanen, umklammerte seine Hand regelrecht. Sie wollte nicht dass er geht, aber anhand seiner gleichmäßigen Atemzüge musste sie sich darüber keine Sorgen machen. Er schlief fest, während sie noch Stundenlang wach lag. Das Bett war viel zu klein für zwei Norn, aber es war besser als auf dem Boden schlafen zu müssen. Erneut kreisten zu viele Gedanken durch ihren Kopf. Nicht nur der Angriff auf den Turm, sondern auch die Erinnerungen an das Rabensanktum kehrten in ihren Gedanken ein. Nie hätte Fraja es sich verzeihen können diesen Ort nicht betreten und geehrt zu haben. Sie, die Aufopferungsvolle Rabenschamanin. Sie presste die Augen zusammen, erinnerte sich daran, als die Gruppe stur und im Laufschritt dem Licht des Raben in die Dunkelheit folgten. Eine Warnung kam von Fraja zu spät, denn sie waren bereits verschwunden. Und um sie zu schützen konnte sie ihnen nur folgen. Es mag blinder Wille gewesen sein, aber sie waren zusammen stark und gemeinsam würden sie den Weg durch die Schatten meistern. Was sie nicht wusste ist, dass sie plötzlich allein war. Die anderen waren voraus gelaufen, aber Fraja war sich sicher, dass sie nicht weit von ihr Weg waren. Gerade hat sie noch das Echo ihrer Stiefel vernommen und mit einem mal waren sie weg. Nur ihren Atem und das leise flüstern des Rabenüberwurfs war noch zu hören. Sie war allein. Nur das Licht des Raben begleitete sie von Statue zu Statue. „Lokke? Nia? Lilja? Nastrai? … Habt ihr euch verlaufen? Ich bin hier!“ Aber keiner von ihnen Antwortete. Es war nur das eigene Echo ihrer Stimme und die Schritte ihrer Füße, welches sie hörte.


Wieso bist du immer noch so schwach?


Sie erstarrte, als sie diese Stimme vernahm. Es war eine weibliche Stimme, die ihr bekannt war, diese aber seit mehreren Jahren nicht mehr gehört hat. „Maer?“ flüstert sie unsicher. Aber es konnte keine andere sein. „Maer?!“, rief sie nun lauter, wollte wissen ob sie es wirklich ist oder nur eine Halluzination. Mehrere Herzschläge vergingen, aber es kam keine Antwort. „Das bist nicht du … Und ich bin nicht schwach!“, sprach sie sich entschlossen und wollte weiter gehen. Dennoch umklammerte die bedrückende Dunkelheit regelrecht ihren Verstand. Wo waren nur die anderen? Sie sind doch den gleichen Weg gegangen. Folgen sie dem Raben? Haben sie sich verlaufen? Und wieso spricht gerade jetzt Maer zu ihr? Ist sie bereits Teil des Raben? Ihr blieb nichts anderes übrig als dem Licht weiter zu folgen, weiter zur nächsten Prüfung, die sie Rasch absolvieren konnte. Doch von dort an ging es wieder zurück in die Finsternis. Rabes Licht leitete sie weiter, aber auch die Stimme begleitete sie wieder.


Karur hat dich verlassen. Er starb einen sinnlosen Tod


Bei diesen Worten stockte Fraja der Atem. Sie blieb stehen, mitten in der Dunkelheit, suchte nach der Stimme, doch fand sie nichts außer schwarzen Nebel. „Was geht dich das an?!“, fuhr sie der bekannten Stimme entgegen, unsicher ob man ihr überhaupt zuhört. Sie umklammerte den Traumfänger fester in ihren Händen, genauso wie die Axt „Viele durften weiter Leben weil er sich geopfert hat!“ sprach sie dem Echo entgegen … oder zu sich selbst? „Ich werde seine Legende weiter tragen! Ich werde ihn besingen! … Hörst du Maer?“ Ihre Stimme wurde mit jedem Wort immer lauter und das Echo hallte weit im Sanktum nach. Aber wieder hatte sie keine Antwort erhalten und Fraja fragte sich langsam ob sie sich das nur einbilde. Sie verharrte immer noch an Ort und Stelle, wohl zu lange. Denn das Rabenlicht war erloschen und Fraja sah stattdessen nun zwei geisterhafte Gestalten vor sich. Sie blinzelte … Die eine Gestalt war Fraja selbst, welche dort erschien und Maer, die alte Schamanin, bei welcher sie ihre Ausbildung begonnen hatte. Ihr Atem stockte und sie löste den Blick keine Sekunde von den beiden. Maer legte die Hand auf die Schulter der Geisterhaften Rabin und lächelnd blickte diese über jene.


Du hättest bei mir bleiben sollen … Ich hätte dich beschützt. Hätte dich nicht allein gelassen. So wie Karur es tat.


Immer leiser wurde Stimme und sie hörte, dass sie von hinter ihr kam. Doch Fraja löste den Blick nicht von dem Schemenhaften Bild vor ihr. Sie sah sich selbst. Glücklich, lächelnd und zufrieden. „Hätte ich bei dir bleiben sollen?“ flüstert sie zu sich selbst, starr mit dem Blick auf Maer, bis sie sah, wie sich die Gestalt Fraja's auflöste und jene von Maer nun auf sie zuging. Die Rabin verlor sich in ihrem warmen lächeln. Maer hatte immer etwas fürsorgliches und mütterliches an sich, welches Fraja's sorgen vergessen lies. Sie streckte ihre Hand nach Fraja aus, so weit bis sie fast die Schamanin berührte. Nervös, unschlüssig und starr blickte sie auf die faltige Hand Maer's. Soll sie mit ihr gehen?


Komm mit mir … ich verlasse dich nicht.


Das Flüstern … es klang nun so warm, beruhigend und fürsorglich. Das Licht flog in die entgegengesetzte Richtung, flatterte ihr davon, aber die Stimme kam nun direkt von der Geisterhaften gestalt von Maer. Sie konnte sich nicht rühren, hatte Angst einen falschen Schritt zu machen. „Ich will nicht ...“ flüstert sie angespannt zu sich, hob aber bereits die Hand an. Sie musste sie nur noch fallen lassen um mit ihrer einstigen Schamanin zu gehen. Zitternd blickt sie auf die Hand, zögert sichtlich und ihre Augen wurden glasig.


Du musst dich nicht mehr fürchten … komm mit mir.


„Ich fürchte mich nicht.“ flüsterte Fraja, aber irgendwie klang ihre Stimme flehend. Sie musste eine Entscheidung treffen, eine mit der sie für immer Leben muss. Und langsam sah sie, wie ihre Hand fiel, näherte sich jener von Maer … Doch konnte sie den Blick los reissen, als sie wieder das Licht erkannte, welchem sie in die Dunkelheit folgte. Schnell nimmt sie die Hand zurück und wirbelte mit der Axt herum „NEIN!“ schrie Maer an und schlug gegen die Gestalt, so dass sie sich auflöste. „DER RABE LEITET MICH IN LICHT UND DUNKELHEIT. ER WIRD MICH NICHT FEHLLEITEN. HAST DU GEHÖRT MAER?! ICH BIN NICHT MEHR DAS SCHWACHE KIND DASS DU KENNST! UND ÜBER KARUR WIRD ES GESCHICHTEN GEBEN. ICH WERDE SEINE LEGENDE BESINGEN. ER HAT MICH NICHT VERLASSEN! ER HAT AUS MIR GEMACHT WER ICH HEUTE BIN! ICH BIN NICHT SCHWACH!“ Tränen rannten ihr über die Wangen und fest entschlossen hastete Fraja dem Licht hinterher, egal wie weit es sie nun tragen will, egal wie weit sie noch laufen müsste. Sie musste der Dunkelheit entkommen, zurück zu Eskild und den anderen finden. Und als sie endlich wieder normales Licht erkannte, erschienen plötzlich auch die anderen wieder. Sie wich einem der Norn aus, geriet ins stolpern und landete unsanft auf den Knien. Schwer schnaufte sie aus, versuchte sich zu beruhigen, redete sich ein, dass alles nur eine Illusion war. Aber die Erinnerung an Maer war zu intensiv und es würde sie nun lange verfolgen. Sie sah wie alle sich in die Arme nahmen, offenbar mussten sie etwas ähnliches durchmachen. Insgeheim wünschte sie sich, dass sie sich nun auch an Eskild klammern konnte, doch er war nicht hier, bewachte den Eingang des Sanktums ...


Nachdem sie sich versicherte, dass jeder von ihnen Wohlauf war, stand die letzte Prüfung des Raben an. Fraja hing das Echo an Maer in den Knochen, aber sie absolvierte auch diese Prüfung mit dem Wissen, dass sie allein mit den Folgen ihrer Entscheidung leben muss.


Die Prüfung ist vorüber


Diese Worte waren pure Erleichterung und es fühlte sich an als würde eine große Last von den Schultern genommen werden. Und dennoch fragte sich Fraja, warum sie Rabes Prüfung nun absolvieren mussten. Wollte der Rabe prüfen ob sie würdig sind gegen Jormag anzutreten? Warum wollte er Fraja prüfen? Er sollte wissen, dass Fraja würdig ist gegen den eisigen Drachen zu kämpfen. Hatte er etwa zweifel? … Von all den Gedanken in ihrem Kopf würde die letzte Frage nun am prägnantesten sein. Hatte der Rabe wirklich zweifel an ihr?


Ehe sie sich dieser Frage weiter annehmen konnte kam die Gruppe im letzten Raum an. Dort wartete keine Prüfung mehr auf sie. Vielmehr soll es eine Belohnung dar stellen, denn große Götzen blicken auf eine in den Boden eingearbeitete goldene Platte hinab, welche den Kopf des Rabengeistes dar stellen soll. Es war kalt und der Raum war durchdrungen von Rabenmagie, welche jeder von ihnen zu spüren vermag, ins besonders Lokke und Fraja.


Jetzt in diesem Moment hier zu sein erfüllte sie nicht nur mit stolz, sondern auch mit großer Ehrfurcht. Dies sollte jedoch nicht die einzige Belohnung sein. Denn als Nia vor einen der großen Statuen kniete um ihn zu ehren, löste sich ein Geist von jenem Rabengötzen und flog über die Gruppe hinweg. Er zeigte den Norn Visionen aus der Vergangenheit, wie der Fraenir mithilfe der Drachenwacht und der Magie des Raben besiegt wurde. Besonders ein Bild faszinierte und schockierte Fraja zugleich. Die Schamanen des Raben … sie opferten sich um den Geist des Raben zu stärken. Aber in ihrem Ausdruck lagen Stolz und Entschlossenheit. Sie löste den Blick nicht von dem schemenhaftem Bild und ihr kam wieder diese eine Frage auf. Hatte der Rabe zweifel an ihr? Zweifel dass sie sich auch für ihn Opfern würde? Fraja konnte und wollte diese Frage nicht beantworten. Zu viele Eindrücke hatte sie hier gesammelt, doch langsam drehte sie sich wieder zur großen Platte um. Das Abbild des Raben lies sie nicht mehr aus den Augen. Die anderen Norn waren für sie gerade ausgeblendet. Für sie zählen gerade nur Stolz und Ehrfurcht und dies will sie ihrem Totemtier zeigen. Hingebungsvoll sinkt sie auf die Knie, legte die Hände auf den Boden und senkte den Kopf um die Stirn auf jenen, kalten Boden zu legen. Sie schloss die Augen und verharrte somit mehrere Minuten in einem Gebet zwischen ihr und dem Raben.


Das Bild verblasste und mit ihnen endlich die Erinnerung. Sie fand sich in Eskild Arme wieder, im viel zu kleinen Bett, versicherte sich, dass er noch schlafen würde. Aber nun rang sie sich mit der Frage herum, ob sie mit der Entscheidung leben könne sich für den Raben zu Opfern ...

Kommentare 4

  • Jap, sehr cool. Ich kann mich Kanori nur anschließen und finde es klasse, nun auch die Sicht von Fraja (OoC) zu kennen. War ein toller Abend.

    • Vielen dank, das freut mich sehr :). Ich war mir erst unschlüssig was bei Fraja zutreffen könnte, aber am Ende war ich mir doch einig.
      Und ich stimm dir zu. Der Abend war klasse! Genauso wie der Turmabend :D

  • Wow... was für eine tolle Geschichte. Ich kann mir irgendwie bildlich vorstellen, wie es für die Schamanin gewesen sein muss.
    Die Prüfung des eigenes Geistes, den Zwiespalt zwischen den beiden Lehrern, die sie hatte.
    Ich bin neugierig, was es mit Maer auf sich hat, vielleicht erfahre ich es ja irgendwann :)
    Ich find es wirklich toll geschrieben! Mach weiter so :)

    • Jetzt fühl ich mich geehrt xD Vielen lieben dank.
      Es hat auch tatsächlich gedauert dieses Wirrwarr auf Papier zu bringen, aber am Ende war ich selber doch zufrieden wie es nun dort steht. Und wer weis ... vielleicht ist das ja ne Geschichte fürs nächste Lagerfeuer ;)
      And ... i will do my very best!