Farnhundtherapie

It may be the wrong decision, but fuck it, it’s mine.
⁅ Mark Z. Danielewski ⁆


Warnung! Diese Geschichte handelt nicht primär von Hunden :P



1333 n.E.


Er wandte seine Hand ein kleines Stück. Die Fasern waren an mehreren Stellen so tief durchtrennt, dass er die Finger nicht mehr richtig krümmen konnte. Seine Pläne waren nichtsdestotrotz, sie schon morgen wieder einsetzen zu können. Was war ein Leben ohne ehrgeizige Ziele?


Nach dem Auswaschen waren seine Hände zu blutig, um die Verletzungen wirklich beurteilen zu können. Aber gründliche Reinigung war nunmal der erste Schritt zur Heilung. Es hatte wirklich eine Menge Dreck in den Wunden geklebt. Und bei den Nebeln wie sehr er keine Pilze an den Fingern haben wollte.


Er atmete aus und ließ den Arm wieder zurück auf seinen Schenkel fallen. Die Tinktur betäubte die Schmerzen gerade, nun galt es noch die Behandlung geistig gesund zu überstehen.


„Du kannst sie ruhig streicheln“, ermunterte der Heilkundige ihn wohlwollend.


Carcair sah über seine Schulter. Der Heiler saß hinter ihm und schnitt störende Faserstücke aus seinen Wunden heraus. Ein Farnhund lag entspannt dösend neben Carcair, der andere leckte hingebungsvoll sein aufgeschürftes Knie ab.


Carcair stellte gar nicht die Frage, wieso er mit frisch ausgewaschenen, blutigen Fingern Hunde streicheln sollte.


„Mhm.“ Er versuchte den leckenden Hund unauffällig mit dem Arm von sich zu schieben. Das Vieh begann, seine blutigen Finger abzulecken. Carcair unterdrückte einen genervten Seufzer. Ja, Waldhunde waren die besten Heiler. Trotzdem hatte er nicht gern fremde Zungen in offenen Körperstellen.


„Sie sind inzwischen sauber, nicht? Zeig her“, forderte der blaugrüne Sylvari, legte die Schere samt Tuch zur Seite und griff sich Carcairs Hände. Mit der üblichen Bestimmtheit eines Arztes eben. „Hm, ich fürchte, wir müssen sie verbinden.“


Wie der der Heilkundige bei all dem Blut etwas erkannte, blieb ihm ein Rätsel.


Carcair gab sich Mühe, nicht allzu forsch zu klingen. „Ist das wirklich nötig?“


Der knorrige Sylvari sah ihn mit offenem, ehrlichem Blick an. „Hände haben die Angewohnheit, benutzt zu werden, selbst wenn man sie nicht benutzen sollte, nicht? Du musst diesen Verband nicht lange tragen. Es geht nur darum, dass wir deine Hände ein wenig ruhigstellen.“


Oh. Wow. Carcair fühlte sich wie ein idiotischer Setzling, der über die Stränge geschlagen hatte.


Zugegeben, das war genau die Art Verletzung, wegen der er in jungen Jahren damals alle zwei Tage bei den Heilern gesessen hatte. Aber was für eine Relevanz hatte das schon?


„Trag diese Salbe auf“, forderte der Heiler und reichte ihm einen Tiegel. „Wenn du mithilfst, geht es viel schneller.“ Er ging wirklich davon aus, dass Carcair der Hintern gepudert werden musste.


Mürrisch schmierte er sich die Pampe in die Finger. Der Heiler nahm sich einen eigenen Tiegel, nein mehrere Tiegel zur Hand und machte sich an die Versorgung der Wunden, die sich über Carcairs Rippen und Rücken zogen. „Bei den Blassen Blättern, du hast dir wirklich Mühe gegeben, keine Faser unversehrt zu lassen.“


Entwürdigend.


„Ich habe mich angestrengt, in den Tod zu stürzen.“


Der Heilkundige war nicht vorsichtig oder rücksichtsvoll. Selbstverständlich nicht. Gab es einen Arzt auf der Welt, der seine Patienten sanft behandelte? Sicher nicht. Das Gesetz war so alt wie grausame, blutige Wunden. Nicht dass die Schmerzen schlimm waren, die Verletzungen waren mit der schmerzstillenden Tinktur imprägniert worden. Trotzdem gab es hin und wieder einen Stich durch seine Fasern.


Zu seinem Pech bemerkte das Holzmännchen das.


„Keine Sorge, es wird bald besser“, beruhigte ihn der Sylvari mitfühlend, als hätte Carcair gerade Tränchen in den Augen. Ja. Carcair respektierte Heiler. Sie behielten die Ruhe, wenn andere wie aufgescheuchte Hühner rumliefen. Ja! Aber DAS war hart.


Langsam, angespannt drückte er den Hund zur Seite, der versuchte, die Salbe von seinen Fingern zu lecken.


„Es wird noch ein wenig wehtun, aber es heilt ganz schnell, wenn du in den nächsten Tagen von solchen Aktivitäten absiehst. Was hast du denn gemacht, dass du so gestürzt bist?“


Diese Fragen waren vorhersehbar gewesen. Und der Grund, weswegen er hier saß.


„Beim Klettern abgestürzt.“ Oh ja. Es war peinlich gewesen. So, so peinlich. Glücklicherweise war Carcair so gutaussehend, dass er bei allem gut aussah. Sicher auch, wenn er ausrutschte und eine dicke Wurzel hinunterkullerte.


Ganz sicher.


„Klettern? Dann hättest du aber mehr gebrochenes Holz und weniger Schürfwunden, nicht?“ Der Tonfall! Dieser Tonfall! In diesem Moment war Carcair so froh, nie eine Mutter gehabt zu haben, die sich einen Dreck um ihn scherte.


„Es war nicht tief. Ein Stein hat sich gelöst und ich bin abgerutscht.“


Schweigen.
Warum Schweigen?


„Hat dich das so mitgenommen?“, fragte der Sylvari nach einigen Momenten vorsichtig.


Das. Das war einfach widerlich. Er war nicht hier, um zu reden.


„Ich war unachtsam und es hätte mich fast das Leben gekostet.“ Es klang steinern, ja. Doch Leute gaben sich größte Mühe, jeden Tonfall, jede Gesichtsregung so auszulegen, wie sie sie haben wollten. Das war der größte Triumph, den Sylvari wie er hatten. Und so, da war er sich sicher, interpretierte der Heilkundige in seinen unterdrückt gereizten Tonfall als betreten und weinerlich.


„Du hättest kein so großes Risiko eingehen sollen“, stimmte der Sylvari in tröstlich-munterem Tonfall zu.


„Aber ausrutschen und sterben kann man überall. Du solltest dir keine Vorwürfe machen.“


Sterben ja. Ausrutschen nein. Laie.


„Sterben kann man jederzeit“, brummte er und kraulte gedankenverloren den Farnhund mit Blutfetisch am Ohr. Das war das Problem, überlegte er vor sich hin. Das größere Problem war, dass es schlimmere Dinge als den Tod gab. War Langeweile schlimmer als der Tod?


„Ach!“, rief der Heilkundige. „Unsinn. Du hast es überlebt. Jetzt machst du einfach keine Dummheiten mehr und alles ist gut.“


Diesmal musste Carcair sogar fahl schmunzeln. Hätte der Heiler gewusst, dass das der Haken war (dann hätte er ihm vermutlich eine Ohrfeige gegeben). Meistens hielt Carcair sich für überlegen, weil ihm Dinge leichtfielen, die für andere eine schreckliche Qual waren. Doch auf der anderen Seite der Medaille konnte er diese Qual nicht empfinden, selbst wenn er es wollte... Und an manchen Tagen war das sein Todesurteil.


Er wusste das. Und es änderte nichts.


Ja, Carcair tat dumme Dinge, und er wusste dass diese Dinge dumm waren, aber bevor er diese Dinge tat, dachte er gründlich darüber nach. Also, zumindest manchmal. Wenn er gerade die Zeit hatte. Und die Lust. Aber in diesem Fall wurde es kompliziert.


Dämonen, Nachtmahre, Spukgestalten – Carcair hatte kein Problem mit übernatürlichen Kreaturen, auch wenn sein Orden sich geschworen hatte, sie zu vernichten. Ihn verband eher eine distanzierte Neugier mit den Nebeln, so wie man mit mildem Interesse einen Mistkäfer beobachtet, der eine Dungkugel vorbeirollt. Aber ganz ehrlich? In all seinen Jahren hatte keiner der Leute, der von Dämonen faselte, sich in irgendeiner Weise durch Zurechnungsfähigkeit hervorgetan. Oder grundlegenden Sylvariverstand, was das anging.


Selbstverletzung? Ganz, ganz schlechtes Zeichen. Ja, Carcair zog Masochisten an wie eine Rafflesia die Schmeißfliegen. Aber das bedeutete nun leider nicht (überhaupt nicht), dass diese Fliegen besonders gesunde Lebensentscheidungen trafen.


Er drückte die Finger gegen seine Nasenwurzel und knurrte. Es war zu viel. Einfach zu viel.


Der Heilkundige hatte inzwischen alle großen Wunden mit Heilschlamm versiegelt. Carcair zu verbinden war ein sinnloses Unterfangen, da hätte er gleich als halbe Mumie herumlaufen können. „Trotzdem so schlechte Laune?“, erkundigte er sich behutsam, weil manche Leute einfach keine Minute freundschaftliches Schweigen ertragen konnten.


Carcair war nicht schlecht gelaunt. Er war nur… sehr, sehr unzufrieden mit der Gesamtsituation. Etwas völlig anderes als schlechte Laune.


Er sah den Bruch vor sich. Eine dieser Stellen an seinem Leben, an der er etwas splittern spürte. Zerstört. Kaputt. Ende! Er sah nicht auf solche Momente zurück, das war eine sinnlose Übung. Aber wenn er sich noch exakt an diesem Punkt befand – nun, es war nicht schön. Es war anstrengend. Es verlangte Gehirnkapazität. Was noch anstrengender war. Der Einsatz hatte sich erhöht, der Gewinn war kein Gewinn mehr, sondern eine Notwendigkeit. Carcair hasste Notwendigkeiten. Carcair wollte alle Notwendigkeiten aus seinem Leben streichen. Bis auf Waffen vielleicht. Waffen konnte er akzeptieren. Halbwegs.


Dieser Abschnitt seines Lebens war vorbei und unwiederbringlich verloren. Jetzt würde es hässlich werden, und kompliziert, und tödlich. Was an sich unterhaltsam sein mochte, aber nicht, wenn es Carcair aufgezwungen wurde. Bah. Das war das einzige, was er verlangte. Dass er sich selbst für die Todesgefahr entscheiden konnte, dass sie ihm nicht aufgezwungen wurde. Das... und scharfe Waffen.


Er ließ die Hand sinken und sah zum Heilkundigen, der ihn immer noch besorgt beobachtete. Carcairs Kiefer war etwas verspannt, sonst sollte seine Mimik brauchbar sein. „Ich… komme gerade von einem anstrengenden Einsatz zurück“, erklärte er langsam. „Ich hatte gehofft, mich ausruhen zu können. Wenigstens… ein paar Wochen. Stellt sich raus, dass ab jetzt alles nur sehr viel sch…wieriger werden wird.“


„Du solltest mit jemandem darüber reden“, befand der Heiler ernst, bevor er nach Carcairs Händen griff, um sie zu verbinden. Fast wäre er zurückgezuckt. Die Geste erinnerte ihn zu sehr an… an Dinge, die ihm nicht weiterhalfen. Ugh. Womit hatte er das verdient?


„Ich muss nur etwas nachdenken“, murrte er. Ja! Ja, zugegeben, ihm war nichts Besseres eingefallen. Leicht irritiert sah er auf die kalte, nasse Hundenase herunter, die fordernd seine Hand rammte.


„Reden ist manchmal besser“, betonte der dürre Baum mit großen, runden Augen. „Eine frische Perspektive. Mit deinen eigenen Gedanken drehst du dich immer nur im Kreis.“


„Und wer hätte eine Perspektive, die ich noch nicht kenne?“ Das... war etwas zu scharf geraten.


„Jeder, den du fragst, hat eine einzigartige Perspektive auf die Dinge.“ Ah ja. Frische Plattitüden. Und was würde passieren, wenn Carcair seine Perspektive im Hain zum Besten gab? War die dann auch wertvoll? Meinungen waren nur erwünscht, solange sie dem Hain-Dogma entsprachen.


„Ich stelle keine Fragen, deren Antwort ich kenne.“


Er setzte sich auf, ungelenk mit seinen komplett unbrauchbaren Händen und seinem mit dicker Paste eingeriebenem Rücken und seiner beim Atmen knackenden Rippe. Zusammengefasst: Er konnte sich im Grunde nicht bewegen, ohne irgendetwas kaputt zu machen. Der brombeersüchtige Köter legte seinen Kopf auf sein Bein und sah ihn treuselig an, während Carcair steif und unbequem verharren musste.


„Wenn du Leuten keine Chance gibst, wie willst du dann von ihnen überrascht werden?“, fragte der Heiler, immer noch liebenswürdig, aber in dem Tonfall, in dem man mit einem Halbjährigen spricht.


Carcair sah wieder zu ihm auf, der Blick starr und ausdruckslos. Seine Energie für freundliche Mimik war aufgebraucht. „Ich habe schon zu viele Chancen gegeben.“


Einen mitfühlenden Blick hatte er als Antwort darauf nicht erwartet. Mitgefühl? Wieso? Wofür? „Auch bei den Verletzungen?“, fragte der Sylvari mit diesem treuen Hundeblick.


„… Was?“


„Haben deine Verletzungen auch damit zu tun?“


Carcair brauchte ein paar Momente, um zu verstehen, was der treuäugige Sylvari ihm eigentlich sagen wollte. Dornen. Er hatte wirklich seinen Schneid verloren.


„Was? Mich hat… Warum… Unsinn.“ Er stand abrupt auf und stellte fest, dass das eine dumme Idee gewesen war. Autsch. Der Brombeerbluthund sah ihn empört an. Der schlafende Hund schmatzte entspannt.


Der Heilkundige erhob sich ebenfalls. „Vorsicht! Du musst langsam machen! Willst du, dass die Rippen weiterbrechen?“


Carcair würgte ein schlechtes falsches Lächeln hervor und antwortete süßlich: „Natürlich nicht. Danke sehr.“


Der Heilkundige erwiderte das Lächeln. Beeindruckend, aber er war tatsächlich noch kleiner als Carcair. Der Baum legte eine Hand auf seinen unverletzten Arm – ah ja, direkt aus dem Handbuch Manipulation für Anfänger: Künstlich Nähe und Sympathie erzeugen wo keine ist durch ‚beiläufige‘ Berührungen – und erklärte eindringlich: „Du weißt, du kannst jederzeit mit den Heilkundigen reden.“


Carcair lächelte den Sylvari weiter an. Lieber schieße ich mir jetzt sofort in diesem Moment ins Gesicht. „Ich weiß das zu schätzen“, erwiderte er und drückte kurz die sehr, sehr dürre Holzhand. Was ein Heilkundiger konnte, konnte er schon lange. Und es schadete nie, einen in der Tasche zu haben. Carcair hatte ihn die gesamte Behandlung über nicht vergraulen können, der war praktisch geschenkt!


Dann endlich, ungelenk, steif, beschmiert mit verschiedenen Substanzen, wankte er auf den rettenden Ausgang zu. Frische Luft, warme Sonne, Vogelgesang. Und eine Armee von Hunden. Er senkte den Blick. Der Brombeerblutfetischhund stand neben ihm, gähnte und streckte sich.


„Mmmh...“, meinte er und verharrte einen Moment im Türrahmen, „... muss der nicht... hierbleiben?“


Der Heilkundige, der schon dabei war, lächelte ihm noch einmal zu. „Er mag dich. Er kann natürlich mitkommen.“


Carcair seufzte lautlos und wandte sich der Terrasse zu, wo er die nächsten Stunden mit Herumliegen und Nichtstun in einer lebenden Masse Farnhunde verbringen würde. Der Tag wurde schlimmer und schlimmer... und schlimmer.


Kommentare 4

  • In dem Zustand dürfte er nicht Thalaniel übern Weg laufen xD
    Ich mag deinen Erzähl-Stil und finde Carcair's Gedanken sehr interessant.

    • Eigentlich ist er das sogar... :D Aber ich geb zu, da waren die Wunden schon wieder ziemlich gut verheilt xD
      Und Danke! Manchmal ist es nötig, ein paar seiner inneren Monologe festzuhalten :B

    • Das war die Frage, die mich umtrieb. War er da schon verheilt oder nicht. Aber du hast sie mir beantwortet. Wir sylvarischen "Innere-Monologe" halten zusammen! :3

    • Ja, ich wollte den Text schon damals posten, habe aber eine Weile zum Überarbeiten gebraucht. Und in der Tat, umständliche innere Monologe aus Salatköpfen mit etwas ungesunden Komplexen forever >:D