Lilientanz


Kurzgeschichte: Lilientanz


Es war früh am Morgen und die Straßen von Götterfels begannen sich allmählich zu füllen. Alucards Aufgabe war es, nach seiner Großmutter zu sehen und ihr etwas zu Essen vorbeizubringen. Lange war er nicht mehr durch die Straßen Götterfels gewandert, was seinen stetigen Reisen zu verschulden war. Doch das Haus seiner Großmutter konnte er schnell finden. An dem sonst kalten steinernen Gemäuer haben sie über die Jahre etliche Schlingpflanzen gesäht und als wäre das nicht genug, schmückten diese - wie einen Tannenbaum im Winter - etliche Runen, Traumfänger und weitere Glücksbringer aus ganz Tyria.



Er klopft an der Tür und bald öffnet eine kleine alte Dame: „Und Ihr seid?“, fragte sie den Sohn ihres Kindes skeptisch. Dass der Geist seiner Großmutter seit einigen Jahren zwischen verschiedenen Dimensionen wanderte, war Alucard lange bekannt. Er versuchte es zuerst mit der Wahrheit: „Ich bin es, Alucard, dein Enkel. Ich habe dir Frühstück mitgebracht“ antwortet er und hält einen Teller hoch, der in Tücher gewickelt ist. „Nein, meine Kinder sind zu jung, als dass ich einen Enkel haben könnte.“ Erbost darüber, angelogen worden zu sein, machte sich die kleine Frau an, ihre Tür zu schließen. Alucard seufzte. Jetzt kam er nicht daran vorbei, seine Großmutter anzulügen: „Ihr habt es erfasst. Ich bin lediglich ein Lieferant. Euer Mann hat mich beauftragt, Euch das Gesagte zu sagen und dies hier zu überreichen...“ Bevor seine Großmutter es sich anders überlegte, packte er schnell das Essen aus den Tüchern und zeigte es ihr. „Euer Mann sagte mir, dass Ihr Cremetorten mit Heidelbeeren sowie Kresse-Dolyakbutter zu einem körnigem Leib Brot am liebsten habt.“ Die Skepsis der alten Frau verflog und sie lächelt bis über beide Ohren. „Das klingt ganz nach meinem Mann! Kommt doch bitte herein hübscher Junge und stellen das Essen in meine Küche.“



Die Wohnung, das Mobiliar und der Duft erinnerten Alucard an seine Kindheit. Es war ein eigenartiges Gefühl, nur als Gast traktiert zu werden und für sein Vorbild ein Fremder zu sein. In der Küche angekommen stellt er das Essen ab und suchte nach einem Gesprächsanlass, um länger bleiben zu können. Er entdeckte einen verschütteten Haufen Mehl mit Sahneklecksen. „Ihr habt gebacken?“, fragt man seine Oma. „Ja. Der Teig wollte nur nicht mehr so, wie ich es mir gewünscht hätte…“, äußerte die alte Frau und wirkte sehr bedrückt. Alucards Herz zerbrach bei dem Anblick, sie so traurig zu sehen. „Wisst Ihr, ich kenne da einen Trick, wie man ihn noch retten kann. Darf ich es versuchen?“ „Oho, der schöne Mann kann auch noch Backen! Ihr wäret etwas für meine Schwester.“, äußerte sie kichernd und gab ihm ein Zeichen, sich an den Mehlhaufen machen zu dürfen. Etwas rot geworden über die Andeutung seiner Oma, machte er sich dran, den Haufen Mehl durch Mesmerei zu einem stattlichen Kuchen zu verwandeln. Als er fertig war, bat er seine Großmutter, ihm beim Verzieren zu helfen. Voller Freude lief sie in das Wohnzimmer und holte einen Haufen Kleinkram, darunter eine Gabel, zwei Knöpfe, Spielkarten und vertrocknete Rosen. Sie schien vergessen zu haben, dass man Kuchen mit anderen Lebensmitteln schmückt, aber Alucard sagte nichts dergleichen und begann mit ihr die Illusion eines Kuchens anzurichten. Seine Großmutter lachte und hielt sich mit einer Hand das Herz, als sie den Kuchen verziert. „Schöner Mann, Ihr habt mir einen himmlischen Kuchen gezaubert!“ Darauf erwidert Alucard „Nein schöne Frau, das ward Ihr, ganz alleine. Ich habe dem Teig lediglich Form verschafft.“



Er hatte seine Großmutter dazu überreden müssen, zuerst das richtige Essen zu verzehren, ehe sie sich an die illusionäre Torte machen dürfte. Glücklicherweise war sie zu satt, um noch ein Stück zu probieren. Dennoch hatte sie diese Torte mit Alucard geteilt, welcher ihr zu Liebe das trockene Mehl aß.



„Ich sehe, Ihr habt einen Grammofon. Ich wollte schon immer den Klang davon hören, darf ich ihn anschalten?“, fragte man unschuldig und wünschte sich lediglich, mit seiner Oma tanzen zu können. „Ja, ja, macht ihn an, die Kinder werden sich auch über etwas Musik freuen!“, antwortete sie bestimmt. Der Raum wurde kurze Zeit später von einem ruhigen Walzer geflutet und seine Oma summt glücklich dazu. „Darf ich sie auf einen Tanz bitten werte Dame?“, fragt Alucard und verbeugte sich. Die alte Frau kicherte: “Schaut mich an! Ich habe mein Tanzkleid nicht an und meine Frisur sitzt nicht.“ Darauf nahm er sie bei der Hand und brachte sie zum Spiegel. “Eure Lieblingsfarbe ist Flieder?“, fragte er sie durch den Spiegel. Ohne auf eine Antwort zu warten, wob er einen Zauber, der seiner kleinen Oma ein prächtiges Kleid mit goldenen Ornamenten zauberte. Ihren Kopf verzierte er auf die gleiche Weise mit einem Kranz aus ihren Lieblingspflanzen: Lilien.



Und so ließ sich seine Großmutter doch noch zum Tanzen überreden. Beide schwangen stundenlang umher. Das Sonnenlicht erhellte den Raum golden und ließ ihn wie einen Ballsaal erscheinen. Als sie vollkommen erschöpft war, stützte er sie zu einem Sofa. „Mein Sohn…“ begann seine Großmutter in ruhigem Ton. „Du weisst ganz genau, wie man Freude in diese Welt bringt. Bleib so und du wirst selbiges empfangen.“



Alucard räumte ihre Wohnung auf und verließ sie am späten Mittag. Einige Tage später empfing er die Nachricht, dass seine Großmutter über Nacht verstorben sei. Seine Schwester hatte sie an dem Abend zu Bett gebracht und meinte, ihre letzten Worte hätte sie im Traum gemurmelt. Sie lauteten: „Tanzen wir weiter?“


"We do have a lot in common. The same earth,the same air, the same sky. Maby if we started looking at what's the same instead of what's different... Well, who knows." - Meowth, 1998

Kommentare 2

  • naaaw eine so schöne und doch traurige Geschichte. Aber wunderschön geschrieben und ein wirklich wichtiges Thema das du in der Geschichte wirklich toll geschildert hast.