Von fehlender Sanftmut


Die Glasflasche in ihrer Hand war nicht sonderlich schwer und doch fühlte sie sich an wie eine auferlegte Bürde. Eine Verantwortung mit der Marlene nicht zurechtkam. Sie starrte auf den Inhalt und zog die Brauen zusammen. War das notwendig? Gab es denn keine andere Möglichkeit? Die Vorhänge waren zugezogen und die Geräuschkulisse von Zimmer neben an, jagte ihr eine Heidenangst ein. Sie zog die Schultern an und ließ die Hand mit dem Fläschchen in ihr Schoß sinken. Ihre Tante nickte ihr zu - es war also soweit.


Als das Kindermädchen mit ihrer schreienden Nichte auf dem Arm den Raum betrat, weitete Marlene ihre Augen. "Ich bin mir nicht sicher ob ich das tun kann. Tun will." murmelte sie, doch ihre Tante widersprach. "Rede keinen Unsinn Mädchen. Es ist an der Zeit, dass du zumindest die fundamentalen Dinge der Kinderbetreuung lernst." Ihre Tante war zumindest dieser Ansicht. "Geht das nicht irgendwie.. Anders?" Sie reichte das Milchfläschchen dem Kindermädchen und schüttelte den Kopf. Diese nahm es schwitzend und dankend entgegen. Kaum hatte das Kind den Sauger im Mund, war es still in dem Vorraum - früher war es Marlenes Mädchenzimmer. Nun wohnte ihre Tante in dem Anwesen und hatte umstrukturiert. "Marlene. Ich sehe mich in der Pflicht dir so etwas beizubringen. Du sollst ihr doch nur die Milch geben." redete die Schwester ihrer Mutter auf sie ein. Ihre kleine Nichte nörgelt schon wieder - vermutlich hatte sie Bauchweh. "Marie. Bring sie bitte raus, man versteht ja kaum sein eigenes Wort!" zischte es nun. "Lässt du nicht selbst alles von dem Kindermädchen erledigen?" Diese Frage rutschte Marlene einfach heraus. Das empörte Schnauben und Schnaufen ihrer Tante endete abrupt, denn ihr Onkel betrat den Raum. "Na?" fragte er gut gelaunt. "Worüber streiten wir uns heute?" wollte er wissen. "Ich war der Meinung, dass es an der Zeit wird Marlene in Sachen Kinderbetreuung einzuweisen. Aber sie ist wohl noch nicht bereit.." Weiter kam ihre Tante auch nicht, denn ihr Ehemann brach in schallendes Gelächter aus. So laut, dass sich sogar das Kind im Nebenzimmer gestört fühlte. "Marlene?! Sie könnte doch nicht einmal auf einen Hund aufpassen! Es fehlt ihr gänzlich an Liebenswürdigkeit und Sanftheit!“ Marlenes Wangen wurden rot, nun war sie es die nach Luft schnappte. Doch statt ihrem lachenden Onkel oder ihrer Tante zuzuhören, verließ sie den Raum.


"Der Hund hat auf den Teppich gekotzt." Diesen Satz sagte sie mindestens einmal am Tag. Mister Vitel war es der an sie heran trat als sie Ave wieder ein Stück Käse geben wollte. Er schüttelte einfach den Kopf. Tag für Tag musste sie sich eingestehen, dass ihr Onkel vielleicht recht hatte.
Das Winseln war laut, er kratzte sogar an der Zimmertür. Marlene war sich sicher, dass Leni Ave gleich holen würde. Sicherlich ist er ihr einfach ausgebüxt. Gleich würde sie ihn holen. Gleich.


Die Komtess schlug die Decke zur Seite und rutschte vom Bett. Nur ein paar wenige Schritte später öffnete sie die Tür. Leni stand am anderen Ende des Flurs in ihrem Nachthemd und versuchte Ave mit Getuschel zu sich zu locken – erschreckt sah sie in das Gesicht der Komtess. Lächelnd winkte Marlene ab.
Ave war inzwischen an Marlene vorbei gekommen und versuchte auf das hohe Bett zu kommen. Wieder hörte man dieses traurige Winseln eines Welpen. Zugegeben das Winseln eines großen Welpen. Nicht umsonst hatte sie eine Unsumme bei den Mahne hinterlassen. Am Bett zurück half sie dem Hund hinauf zu kommen und sah ihm dabei zu wie er es sich auf den Seidenlaken bequem machte.


Ein Mundwinkel zuckte hinauf und doch murrte sie halbherzig: "Wehe du sabberst wieder alles voll.“ Er hatte seine Augen schon geschlossen und fiepte als Marlene den Zipfel ihrer Tagesdeckte über ihn legte. „Schlaf gut, Ave."

Kommentare 8

  • Ich muss leider gestehen dass ich mir Marlene auch nur dann als Mutter vorstellen kann, wenn eine Schwadron Hausmädchen um sie herumhuscht *g*

  • "Marlene fehlt es an Liebenswürdigkeit und Sanftheit."
    Das ist zwar Ansichtssache, aber... Ja. XD Ich kenne Jemanden, der würde sie herzlich, aber liebenswürdig auslachen, wenn er davon hört! Und dann gern die Strafe auf sich nehmen <3 Sie ist schon einmalig gut.

  • Ich glaube, ich bin ein bisschen schadenfroh. Sich Marlene zwischen "Muttersorgen" und Hundekotze vorzustellen ist schon ziemlich hilarious. Ach, ich vermisse sie! ♥

  • Ein sehr schöner Einblick, zu sehen wie es Ave geht ist toll.
    "Dieser Hund ist jede Münze Wert." O Ton Rosali Mahne *nickt gewichtig*