Reibekuchen

Kaum hatte sie die Haustür der Melandruhochstraße 7 geöffnet schlug ihr der beißende, wütend wehende Wind entgegen, und fast augenblicklich begann sie auch schon zu frösteln. Den Kopf eingezogen griff die große Liese eine der stabilen, hölzernen Fensterläden und stemmte sich gegen den brausenden Herbstboten, um die Fenster mit dem nötig gewordenen Schutz zu verkleiden. Wie froh sie in diesem Moment war, die Fensterläden gekauft zu haben; letztes Jahr schon, nachdem sie zunächst bei dem schlimmen Unwetter Holzplanken hatte vor die Fenster nageln müssen um das Zerbrechen eben jener verhindern zu können.
Während sie die Eisenschließen an der Wand unter vielem Friemeln öffnete und den Fensterladen einhängte dachte sie kurz an die schönen Fenster aus gefärbtem Glas, die ihr eigenes Haus schmückten - Ein Blick in den dunklen Himmel bestätigte, was bereits als Ahnung in ihr schlummerte: Es blieb ihr nichts anderes übrig, als gleich noch einmal quer durch die Stadt zu laufen und das eigene Haus zu verrammeln, bevor sie womöglich den restlichen Herbst in Dauerkälte verbringen würde müssen.

Sie zog ihren kuscheligen, lustig gestreiften und jeglichem Herbsttrübsinn trotzdenden Wollschal enger um ihren Hals und holte dann den nächsten Fensterladen aus dem Hausinneren, um auch diesen seinem Zweck zuzuführen. Ob sie Arla einen Boten schicken sollte und den Öffnungstag absagen? Wer würde denn schon bei diesem Wetter freiwillig aus dem Haus gehen? Aber die Reibekuchen… Zwei, drei Lidschläge lang hielt sie mit ihrer Arbeit inne und versank in Überlegungen, nämlich genau bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Wut des Himmels in ein dröhnendes, bedrohliches Donnergrollen gipfelte. Nach einem ersten, erschrockenen Zusammenzucken ruckte ihr Kopf in die Höhe und die bebrillte Frau sah dem Grobian durch das gedunkelte Glas direkt ins Antlitz.
„Hah, ich hab gar keine Angst vor dir!“ rief sie spontan und noch verärgert über den eigenen Schrecken aus, doch der tobende Wind übertönte spielerisch gemein ihre Worte, kaum das sie ihren Mund verlassen hatten. „Wir machen es uns heute Abend total gemütlich, mit nem Haufen Reibekuchen und Tonnen von Apfelmus!“

Ein weiteres Donnergrollen ließ die eben noch so vorlaute Frau erneut den Kopf einziehen, und nicht viel später flüchtete sie sich zurück ins warme Lädchen. Aber vielleicht… ja, vielleicht hatte sie ja Glück, und der Sturm hatte sich bis zum Abend wieder ausgetobt. Ausfallen lassen? Kam ja gar nicht in Frage.
Heute Abend gab es Reibekuchen! Und im Notfall... musste sie eben leider, leider alle alleine essen.

Kommentare 6

  • Schön geschrieben die Geschichte! Und alleine essen kommt ja gar nicht in Frage! :P
    Hab gehört heute Nachmittag treibt sich so ne Norn in Götterfels rum, die kriegt bestimmt Hunger.

  • Von wegen Reibekuchen allein essen. Hast du dir so gedacht! <3