Sehenden Auges.

Rückblick


Ein Gewölbekeller.
Zwielicht.
Stabile Mauern, zu Quadern geschlagene Felsblöcke.
Mannshohe Weinfässer, Flaschenregale, Kartoffelsäcke.
Gusseiserne Fackelhalter, zuckende Flammen, Pechgeruch.
Ein langer Gang. Tanzendes Schattenspiel an den Wänden.
Charakteristischer Duft: Feucht, leicht modrig, klamm, kühl.
Ein schreiendes Scharnier, verzogen durch Alter und Gebrauch.
Knisterndes Stroh, genagelte Sohlen.
Steinboden.
Leises Wasserplätschern in weiter Ferne: Es verstummt.
Eine huschende Ratte. Spinnenweben im Eck, verteilt über die Gewölbedecke. Dick, zäh, weiß.
Stimmengewirr. Undurchsichtiges Murmeln. Verhaltenes Gelächter, erstickt durch dickes, feuchtes Holz: Eine Türe. Stahlbeschlagene Front. Sie öffnet sich.


Eine Versammlung dahinter. Grimme, düstere Gesellen, Frauen und Männer.
Hagere Gesichter, lang und fahl. Feist andere, faltig, glänzende Wangen, Pusteln, unreine Haut, fettiges Haar. Augenringe, lange Schatten, Narbengeflecht.
Blitzender Stahl, altes Lederwams, Hartleder zur Schwertscheide geformt. Axt, Bogen, Bolzen, Speer. Gewehre. So viele Gewehre. Dutzende.
Revolver.
Messer.
Viele Messer.


Augen, die aufschauen, Häupter, die sich heben. Erstaunen.
Ein entgeisterter Laut zur Rechten, ein erschrockenes Japsen links.
Stille.
Blicke, die sich auf eine einzelne Gestalt richten, fokussieren, starren.
Leises Raunen.
Stille.


Cut.


Schwarz-weißes Schuhwerk. Teures Leder, blank poliert.
Grauer Stoff, helles, schlankes Streifenmuster. Langbeinig, elegant.
Gerade Flanke, schmale Taille, flacher Bauch. Schwarzer Gürtel, silberfarbene Schnalle. Hemd, weiß. Weste, grau. Knöpfe aus Elfenbein, Jackett. Halstuch, grün. Kräftiger Hals, marginal zuckender Adamsapfel, schneidiges Kinn, scharf geschnitten. Bartschatten, fast farblos. Schmale Lippen, dezent das Lächeln darauf. Wissend, selbstbewusst, markant, herrisch, leise, bahnbrechend. Die Nase, spitz, blasse Wangen, blonde Wimpern. Augen, lauernd, egozentrisch, eigen. Grün. Blau. Disharmonisch.
Undercut, stilvoll, zeitlos, militant. Glänzend im Zwielicht: Pomade.


Cut.


Manch einer musste vielleicht noch darüber nachdenken, aber ich wusste sofort wen ich vor mir hatte, als sich die Türe öffnete. Es bestand kein Zweifel an seiner Herkunft, keine Frage. Blond wie ein Engel, voll der Reinheit, reich an Unschuld.
Schwachsinn.
Die Iorgas mochten vieles sein, aber unschuldig, nein, unschuldig war keiner von ihnen. Und dieser hier, ich hatte noch nicht ein einziges Wort mit ihm gewechselt, dieser hier schien von allen der Schlimmste zu sein. Er hatte etwas an sich, dem ich keinen rechten Namen zu geben verstand. Irgend eine Art Aura, die ihn umgab, einem Mantel gleich, gemacht aus teurem Pelz, für den ich ihn beneidete. Für den man ihn beneiden musste, war man ein einfacher Mann ohne Land und nennenswerten weltlichen Besitz. Beneiden und hassen.
So eine Scheiße.
Ich erinnere mich noch sehr genau an die gaffenden Fratzen, die ihm entgegen starrten. Wie er den Raum betrat, viel zu spät und unsere Versammlung störte. Als wären wir alle nur wegen ihm gekommen. Niemand war seinetwegen da. Niemand. Wieso denn auch? Wer war er schon? Ein namenloses Gesicht, das sich in der langen Liste namenloser Narren einreihte, ohne zu wissen in was für einen Schlamassel er in diesem Moment geradewegs hinein manövrierte.
Iorga. Als hätte dieser Name irgend einen Wert. Als müsste es irgend etwas heißen zu dieser hellhaarigen Sippe zu gehören, die sich selbst die besten Kunden waren. Nicht, dass ich generell etwas gegen diese Leute gehabt hätte, aber man hört ja so einiges und ich war nicht gewillt den Fehler zu begehen und den Geschichten Glauben zu schenken, die über sie kursierten.



Wie sie ihn angafften. Hunde, die ein Stück Fleisch in der Nase hatten. Einen fetzen Aas, nach einer langen Zeit des Hungerns. Als wäre er der Retter, auf den wir alle nur gewartet hätten.
Mir wurde schlecht.
Ich mochte den Alten. Victor. Der war in Ordnung. Wusste was er wollte, wusste was er brauchte und hat verdammt nochmal sein Ding durchgezogen. Ich war nicht immer einverstanden mit seinen Plänen, aber ich habe sie mitgetragen, denn in der Regel waren wir damit erfolgreich. Nicht immer gleich mit dem Kopf durch die Wand, Junge. Lass die Zeit für uns arbeiten. Wenn wir nur lange genug warten und die richtigen Knöpfe drücken, dann werden sie sich von ganz alleine zerfetzen. Ein bisschen noch, dann schlagen wir zu...
Ich habe es damals nicht verstanden. Ich war jung und ungestüm, überzeugt von einer Sache und nicht gewillt dem Feind auch nur einen weiteren Meter unseres Landes zu überlassen. Ich war dumm, wie ich heute weiß. Lebensmüde in Anbetracht der Umstände, in denen wir uns damals befanden. Missverstanden und gejagt. Geächtet durch die eigene Sippe, vertrieben und verraten.
Er war einer von uns, der Victor. Ein Kind der ersten Stunde. Hat mit uns geblutet und gelitten, ist mit uns durch den Dreck gekrochen und hat die gleiche Scheiße gefressen, die man uns vorgeworfen hat. Hat Prügel eingesteckt, Schläge ausgeteilt und scheiße noch eins...Er hat niemals einen von uns zurück gelassen.



Ich bin du.
Du bist wir.
Wir sind viele.


Das haben wir gelebt. Das war unsere Welt. Und dann...ein Schuss. Eine Kugel und der, der unserer Führer war, war fort. Es war klar, das so etwas eines Tages passieren musste. Unausweichlich und eigentlich verwunderlich, dass der Alte seinem Schicksal derart lange hat davonlaufen können. Kopfschuss. Der Klassiker. Eigentlich kein übles Ende für einen wie ihn. Wie sie ihn gejagt und verflucht haben...Jeder wusste um seine Niedertracht, aber konnte man es ihm beweisen? Konnte irgendjemand ihm etwas beweisen?



Ich schweife ab.


Wenn ich zurück denke an diesen Tag, als sich die Türe öffnete und dieser geleckte Bursche unsere Versammlung unterbrach, dann wird mir immer noch anders. Ich kann gar nicht genau benennen was es war, aber irgendetwas an ihm brachte uns dazu ihn anzustarren. Furchtsam teils, anderorts erschrocken.
Und dann war er einfach da. Kam daher mit seinen polierten Schuhen und seinen teuren Anzügen. Erzählte uns einen vom Sieg und dem Niedergang unserer Feinde. Von großen Plänen und einem Richtungswechsel. Von Visionen, die uns alle miteinander vereinten. Von Taten, die getan, von Worten, die gesagt, von Reden, die gehalten werden mussten. Dieser feine Pinkel, frisch aus dem Schoß seiner werten Frau Ma-ma gerotzt. Mit seinem Universitätsabschluss und seinem Titel. Rechtsvertreter und auch noch stolz darauf. Aber das schlimmste...das wirklich aller schlimmste an der ganzen Sache ist gewesen, dass wir ihm glaubten. Dass ich ihm geglaubt habe. Jedes Wort. Jedes einzelne verdammte Wort.



Und jetzt liege ich hier, den Geschmack meines Blutes auf der Zunge tragend, die Schreie der verletzten Pferde im Ohr. Das Knacken der Häscher, die durch das Unterholz brechen. Die schnarrenden Atemzüge meiner Kumpanen, aufgespießt und sterbend. Ich kann nur hoffen, dass sie mich nicht finden. Dass sie an mir vorüber laufen und mich nicht entdecken. Kann es hoffen, weil meine Genossen dümmer sind, lauter sind. Einer muss überleben. Einer nur, um zu berichten. Einer muss durch kommen, damit der Akt enden kann. Nur einer und der werde ich sein.
Wieso?
Weil ich ihm geglaubt habe. Lange genug, um verraten zu werden.


Cut.


Ein dichter Wald. Herbstlich.
Bäume ohne Laub, nackte Kronen, leuchtender Boden.
Abendrot. Zunehmender Westwind.
Schreie. Pferde. Männer. Frauen. Dahinsiechende Gestalten im Unterholz.
Zoom nach draußen.
Gerüstete, die durch den Wald pirschen. Gezogene Schwerter, Knüppel.
Wartende Pferde, dampfend und unruhig. Der metallische Geruch von Blut.
Wind in den Zweigen. Ein Falke ruft.
Wolkenverhangener Himmel. Nebel. Kälte.


Ausblende.


Szenenwechsel.


Yurijs Lider flatterten. Der Mann gab sich nicht der Illusion hin in einem Turmzimmer zu erwachen, selig und ruhig, gebettet auf weiche Laken, den Ritter in strahlender Rüstung nahe wissend. Er beging nicht die Dummheit sich leise ächzend auf seinem Lager zu drehen, den schlanken Hals zu strecken und sich träge zu geben, schwach in diesem Moment des Erwachens. Er romantisierte nicht.
Yurij stöhnte, als der dumpfe Schmerz, der durch seinen Schädel jagte, zunahm. Die herrliche Gefühllosigkeit einer jeden Ohnmacht schmerzlich missend, erwachte der Iorga aus seiner Bewusstlosigkeit und konnte nicht verhindern, dass die Übelkeit ihm bittere Galle auf die Zunge trieb. Ein Geschmack, den er nicht erkannte, nicht schmecken konnte, nicht zu Dank dafür fähig. Das unangenehme Pfeifen in seinem linken Ohr zeigte ihm deutlich auf, von welcher Seite der Angreifer gekommen war. Es war Hinweis auf die Intensität, mit der man ihn geprügelt hatte. Auf den Nachdruck, der in dieser Aussage lag.
Als der Blonde sich aufsetzte wurde ihm schwindelig. Ungezählte Lichtflecken tanzten vor seinen Augen, grell und schmerzhaft, bis sie zu viel wurden und der Mann sich geräuschvoll erbrach.
Sich mit dem Handrücken über die schmalen Lippen wischend, drückte Yurij sich mit der Rechten zurück in einen halbwegs geraden Sitz. Er fühlte den kalten, harten Boden unter seinen weichen Kuppen. Seichte Rillen im Stein, Unebenheiten, die das Alter, steter Gebrauch oder aber ein unterbezahlter Steinmetz zu verschulden hatten. Der Iorga grunzte voll der Iornie. Unfähig ein klares Bild zu sehen, scharfe Konturen zu erfassen, schnaubte er durch die Nase, nicht wissend, dass sie geblutet hatte. Erst als sie von neuem begann, das eigentümliche Gefühl fließenden Blutes sich auf seiner Oberlippe einstellte und die ersten warmen Tropfen sich über den schwach gezeichneten Armorbogen abseilten, begriff er es. Reflexartig hob er die Hand, um das dunkle rot aufzufangen. Das Haupt leicht nach vorne geneigt, tastete Yurij mit der anderen nach seiner Hosentasche, um das dort wartende Stofftaschentuch zu bergen und es sich unter die Nase zu drücken. Mit zwei Fingern zwirbelte er das Tuch, schob es nur Augenblicke später tiefer in seine Nase und fixierte es mit dem Daumen. Er konnte nicht verhindern, dass sich sein Puls erhöhte. Nicht die beste Voraussetzung, um Nasenbluten entgegen zu wirken.


Das stechende Brennen in seiner Schläfe ignorierend, fand die Linke des Iorgas, blutverschmiert, zurück auf den Boden. Leise schabend schob Yurij seinen Handballen über den Stein, führte ihn in einem vorsichtigen Bogen halb um sich herum und bis zur Wand. Keine Ketten, keine ausgeprägten Fugen. Die kurzen Nägel des Mannes gruben sich dennoch in das was sie fanden und unter Mobilisierung seiner natürlichen Kraftreserven, brachte der Blonde sich schwerfällig zurück in den Stand. Er wankte.


Vorsichtig, es musste stockdunkel um ihn herum sein, wagte der Iorga sich weiter vor. Er suchte nicht zwingend einen Ausgang. Viel mehr versuchte er seine Umgebung zu erfassen, zu erkennen wo er war, wo er sich befand. Er war nicht mehr im Herrenzimmer, so viel stand fest. Ein Keller vielleicht. Ein Verlies, wenn er Pech hatte. Ein Dienstbotenzimmer? Unwahrscheinlich.
Mit der Zunge leckte Yurij sich das Blut von den Lippen. Als er vorsichtig das Tuch aus seiner Nase zog, hoffend, dass die Blutung gestillt war, löste er den sich gerade bildenden Pfropfen, der die verletzte Schleimhaut hätte fixen können und mit einem leisen Schmatzen begann der Strom von neuem. Sich den erdachten Fluch nicht nehmen lassend, stopfte der Rechtsvertreter sich das Tuch erneut in die Nase. Tiefer jetzt. Fester.
Mit dem Fuß suchte er nach einem Ansatz, ähnlich wie mit den Fingern, um zu begreifen, an was für einem Ort er sich nun befand. Die Schuhe hatte man ihm gelassen, die Kleidung auch. Er schien unversehrt, sah man von dem Kopftreffer und der dem Blut einmal ab, das aus seiner Nase spritzte. Zur Orientierungslosigkeit verdammt, schritt Yurij trotzdem seine Umgebung einmal ab. Er suchte nach einem Fixpunkt, einer Wegmarke, nach der er sich hätte richten können, doch es gab nichts. Er zählte seine Schritte, streckte sich nach der Decke, ohne sie zu erreichen, tastete über den Boden und fand ja doch nichts. Minuten verstrichen, gefühlt, ehe der Mann es aufgab und sich wieder setzte. Die Blutung bereitete ihm Sorge. Er war nicht der Typ für so etwas profanes wie Nasenbluten. Um dessen Verlauf nicht zu verschlimmern, blieb der Iorga mit leicht nach vorne gekipptem Haupt sitzen und wartete. Irgendwann, er war sich sicher, musste etwas passieren.

Kommentare 1

  • Bitte mehr :D !


    Bei den Beschreibungen muss ich irgendwie an ein Drehbuch denken.