Jólnirdag

80. Koloss – Schneekuhlenhöhen – Monennia


Sie trat aus der Hütte hinaus, nachdem sie sich aus den Fellen von ihrem Sohn gelöst hatte. Er war von den vergangenen Tagen fix und fertig. Vier Tage und Nächte waren sie bereits unterwegs und am Vorabend endlich an der Hütte des Schwagers angekommen. Jetzt schlief Jonne den Schlaf seines Lebens. Tief sog sie die kalte Luft ein und prüfte nochmals den Sitz ihrer Kleidung. Besonders den der Halterung an ihrem Oberschenkel. Das Jagdmesser war die einzige Waffe die sie nun mitnehmen würde. Ein letzter Blick über die Schulter und mit den ersten Sonnenstrahlen, die sich über die Gipfel in das Tal ergossen, rannte sie los. Zuerst langsam, denn die Muskeln waren kalt. Doch wie die ersten Erinnerungen des vergangenen Jahres in ihren Kopf drangen, zog sie das Tempo an und sprintete in den Tag hinein. Ausreizend, wie lange sie es dieses Mal schaffen würde.


Da war die Befreiung der Feste gewesen. Ein Kampf, den sie vor gefühlten Ewigkeiten mit ihrem Kerl und der Gemeinschaft der Schattenflamme gekämpft hatte. Ein guter Kampf. Ein Triumph. Auch, wenn das Wolfsrudel viele Verluste hatte erleiden müssen.
Da war der Tag gewesen, als Nastrai und sie die Erkenntnis erlangten, dass die Tochter zu mehr bestimmt war als zu einer Handwerkerin, Händlerin oder Kämpferin. Wie Vaf es einst in den Hallen des Wolfsrudels gesagt hatte. Das Mädchen war anders.
Sie erinnerte sich an die Wette mit Eskild und Nastrai, die sie gewonnen hatte. Die Hütte für das Leder und die Felle, die die beiden Kerle ihr versprochen hatten.


Lachend atmete sie aus, besann sich aber rasch wieder darauf regelmäßig zu atmen. Ihr Körper hatte sich nun vollends aufgeheizt. Die kalte Luft spürte sie nur noch in ihren Lungen.


Der Moment, als sie zum ersten Mal ein Fell aus Elona zwischen den Fingern hatte. Die Dankbarkeit, die sie Agnes gegenüber verspürte und den Drang, selbst das Land der Sonne zu besuchen. Selbst dort zu jagen.
Die Bjora Sümpfe. Das beklemmende Gefühl, welches sie dort oben im Norden nahezu permanent begleitete. Die Erkenntnis, dass die verloren geglaubten Geister nicht verloren, sondern verdorben waren. Die Angst, im Sanktum des Raben selbst verloren zu gehen. Die Veränderung innerhalb der gesamten Gruppe. Geeint waren sie angekommen und nach ihrem Gefühl waren sie getrennt wieder zurückkehrt.


Ihre Schritte kamen ins Stolpern, bis sie schließlich stehen blieb. Warum kam ihr das ausgerechnet jetzt in den Sinn? Die gesamte Zeit über hatte sie nicht mehr nachgedacht. Was war geschehen, dass diese Distanz zwischen ihnen stand. Hatte der Drachenchampion selbst ihnen zugeflüstert, dass sie sich so entfremdeten?
Monennia schloss die Augen. Tief waren die Atemzüge. Lange stand sie mitten auf dem ausgetretenen Pfad. Letztlich riss sie der Ruf eines Raben aus der Ruhe. Und grübelnd machte sie sich auf den Weg zurück zur Hütte.




86. Koloss – Wanderer-Hügel – Iida und Kjetil


Endlich war es soweit. Der Morgen nach Jólnirdag und das damit einhergehende Ritual, welches sie seit Jahren pflegte, waren gekommen. Nur dieses Mal würde sie nicht alleine zur Dolyakruh reisen. Während sie den Minotaurenpass hinter sich ließen, linste sie einen viel zu langen Moment zu ihrem Begleiter. Der Jungnorn, nur wenig älter als sie, marschierte an ihrer Seite. Breit musste sie grinsen.
„Wir müssen über die Eissteppen. Will noch was abgeben.“ erklärte sie nach einer Weile und tätschelte den prall gefüllten Rucksack. Bei jedem Schritt tönten kleine und große Glöckchen. Erst danach griff sie die Hand und strahlte den Jungnorn mit roten Wangen an. „Ich will Ootai eine Überraschung hinstellen.“
„Ah...,“ erwiderte Kjetil und warf wenig verstohlen einen Blick auf ihren zweiten Rucksack. „Und was hast da drin?“ Iidas Grinsen wurde nur breiter. Der Rucksack wurde sacht geschüttelt, woraufhin die Glöckchen klingelten.
„Ziemlich viel! Zwei Beutel Bonbons, die Guten mit Honig drin. Dann hat Moder mir für Ootai einen Schal gestrickt, aber die Eulen an den Enden sind zu klein geworden. Deshalb hat er nur kleine helle Flecken da. Is‘ aber nich schlimm. Weil der is‘ trotzdem schön warm. Eine kleine Gürteltasche is‘ drin, die hat Ma gemacht. Die is‘ sooo winzig! Weil Ootai ja eine Asura ist. Und ich hab ihr ein Buch gemacht. Da kann sie ihre Rezepte und Berechnungen aufschreiben.“
Gewichtig wurde genickt und kurzerhand öffnete sie den Rucksack, um Kjetil das Buch zu zeigen. Es war ein schlichtes Buch. In Leder geschlagen und mit drei Bändern an denen Glasperlen baumelten. Die konnte man als Markierung nutzen. Auf dem Ledereinband zeigte sich jedoch ein äußerst prächtiges Bild. Eine Kombination aus punziertem und tätowiertem Leder stellte eine Eule mit weit ausgebreiteten Flügeln da. Kjetil warf einen Blick auf das Buch. Anerkennend über die Arbeit, doch auch verwundert. Noch ehe er fragen konnte bestimmte Iida: „Oh! Und wir müssen nach Götterfels. Ich will dir da den Wintertag zeigen!“




87. Koloss – Wanderer-Hügel – Jonne und Sóla


„Pa! Mia geh‘n drauß‘n spielen!“ tönte der Junge und zog seine Schwester mit zum Türbogen. Sóla war noch am Winken, als sie zwischen den Lagen des dicken Vorhangs hindurch gezerrt wurde. Und kaum einen Moment später, schrie der Junge los. Erschrocken schaute das Mädchen sich um. Wollte den Bruder schon ziehen (was recht vergebens gewesen wäre), aber dann erblickte sie ihn auch.
Ihn.
Wie er mitten auf dem Hof stand. Wunderprächtig. Glänzend poliert und mit einer Schleife, so gewaltig wie eine Schleife nur sein konnte.
Hochfrequent schrie das Mädchen mit. Keinen Moment später traten die Eltern hinter ihnen aus der Hütte. Zwar konnte man die Schreie deutlich von Angstschreien unterscheiden, aber die Neugierde war doch größer.
„EIN SLITTEN!“ schrie Jonne und eilte auf das schnittige Gefährt zu. Der kleine Anhänger und das Beutelchen wurden einfach ignoriert. Jonne schwang sich auf das Sattelbrett und strahlte. Die Hände legten sich an die Lenkstange. Zum Glück für die Kinder hatte es auch endlich im Borealiswald geschneit und man konnte die Stange annähernd gut drehen.
„Sóla komm!“ Das Mädchen folgte dem Befehl und kletterte ebenfalls auf das Sattelbrett, strahlte zu den Eltern hinauf. Die Augen der Kinder leuchteten. Es war das Weib, welches den Anhänger und das Beutelchen entfernte. Letzteres wurde nach einem Blick hinein an die Kinder gereicht, die sich begeistert über die Kekse hermachten. Über alle.
„Ah. Von Flunsch und Ootai. Sie wünschen euch frohen Jólnir.“ Die Norn sah über die Schulter zu ihrem Bundkerl und musste grinsen. „Ich denke, wir sollten die Beiden die Tage zum Schlittenfahren einladen.“ Die Kinder schrien vor Begeisterung und so wurden rasch Proviant und die Kinder in warme Kleidung gepackt, damit man den neuen SCH.U.E.B.F 2000 ausprobieren konnte.

„The Norn will not change simply because the Dwarves do not understand our ways.
I'd rather be hated for who I am than loved for who I am not.“

Jora

Kommentare 2