Entscheidung

Es war tief in der Nacht, als Elsa nach Hause kam. Ihre Schwester war im Wohnzimmer eingeschlafen. Scheinbar hatte sie auf Elsa gewartet, denn das Feuer im Kamin flackerte noch sanft. Der Raum wurde dadurch immer wieder von roten Wellen erleuchtet, wenn das Feuer nochmals emporschlug.


Für einen Moment hielt sie inne. Beobachtete ihre Schwester. Ihren Atem, der die Brust hob und senkte. Den friedlichen Ausdruck in ihrem Gesicht, den sie immer hatte, schon immer gehabt hatte beim Schlafen.


So viel war passiert in den letzten Tagen, Wochen und Monaten. Es hatte lange gedauert aber endlich hatte sie erkannt, dass das schlafende Mädchen kein Mädchen mehr war. Aeara kam ohne ihre Hilfe sehr gut zurecht. Sie hingegen... sie brauchte ihre Schwester, das hatte sie schmerzlich begriffen, trotz dieser gähnenden Leere, die von ihr Besitz ergriffen hatte.


Ohne Sie hätte sie Vil schon vor Wochen verloren. Immerhin war es Aeara gewesen, die ihn gefunden, ja sogar gerettet hatte. Während sie ihre eigenen Kämpfe am anderen Ende von Tyria ausgetragen hatte, ohne Hilfe annehmen zu wollen.
Liebevoll legte sie die Decke wieder über Aearas Schultern, als diese sich im Schlaf herumdrehte. Eigentlich wollte sie ihre Sachen packen und verschwinden. Das hatte sie schon immer getan. Weglaufen vor allem was ihr Schmerzen verursachen könnte. Vor Verantwortung, die sie nicht bereit war zu übernehmen. Vor ihren Liebsten, ihrer Schwester und allen voran vor Vil. Bei dem Gedanken an den dunkelhaarigen Hünen verspürte sie ein vages Ziehen in der Brust. Der Schmerz, den sie den ganzen Tag abgespalten, versteckt hatte in einer Truhe und den Schlüssel weggeworfen hatte, kroch durch die Schlitze wieder hervor in ihr Herz. Das Feuer flackerte. Spendete noch ein bisschen Wärme in dem großen Raum, sodass Elsa sich davorsetzte, die Arme um die Knie geschlungen.



Sie hatte Vil verletzt. Mehrfach. Doch das war niemals ihre Absicht gewesen. Es war... einfach passiert. In ihrem Kopf hatte sie das richtige getan.


„Du versuchst mit all diesem Scheiß hier nur deine Unsicherheit zu überwinden, den Fakt, dass jemand eine andere Meinung hat, als du, das verträgst du nicht, denn das was du machst scheint bis zum Tag der Konsequenzen immer richtig zu sein.“


hallte Vils Stimme durch ihren Kopf. Sie presste die Beine näher an ihren Körper.


„Scheiße, wenn man nur an sich selbst denkt nicht wahr?“


Elsa wollte es sich nicht eingestehen, aber Vil hatte recht gehabt. Seine Worte hatten sie getroffen, härter, als dass sie es sich hat anmerken lassen. Ihr Leben lang hatte sie sich nur um sich gekümmert. Um sich selbst und Aeara. Und ihrer Schwester dabei ihre Meinung aufgedrückt. Die Konsequenzen davon hatte sie nie gesehen, nie sehen wollen. Jetzt hatte sie sie zu spüren bekommen. Die lange fällige Quittung. Auf eine hässliche Art und Weise. Vil hatte sich seiner Schwester anvertraut, die auf ihre kranke Art und Weise für ihn gesorgt hatte. Ihn beschützt hatte. Vor ihr. Der unentschlossenen, immer wegrennenden Söldnerin, die eigentlich einfach nur Angst hatte. Angst was passieren würde, wenn sie sich vollkommen auf jemanden einlässt. Die Angst war ihr Feind. Schon ihr Leben lang. Ihr Blick wanderte ins Feuer.



Was Dalian ihr angetan hatte, das Bild von Vil in diesem Zimmer. Der Geruch in der Luft. Die Körper neben ihm und er mittendrin. Der Ausdruck in seinem Gesicht, als er sie nicht erkannte. Als er dachte sie wäre ein Kriegsflüchtling, den Dalian aufgegabelt hatte. Der Schmerz wand sich in der Truhe. Er wollte hinaus, wollte sie übermannen, damit sie zur Flucht gezwungen war. Denn das war ihr erster Impuls gewesen, als die Leere sie erfasst hatte. Als ihr Herz vor Dalian in unzählige Splitter zersprungen ist. Umgeben von Schmerz und Angst. Wegrennen. Sich der Leere ergeben. Genau wie Vil damals. Ab aufs Schlachtfeld, sich aufspießen lassen und dem Ganzen ein Ende setzen. Der Gedanke daran war mehr als nur verlockend.



Still schaute Elsa ins Feuer. Beobachtete die kleinen Flämmchen, die oft schon wie tot aussahen in der Glut, es aber dennoch geschafft hatten wieder empor zu steigen. Sich wieder aufzuraffen, Sauerstoff zu ziehen und zu lodern. Es erinnerte sie an Vil, der sie nicht aufgegeben hatte. Niemals. Egal was für Mist sie wieder gebaut hatte, wo sie auch verletzt im Dreck lag, Vil hatte ihr verziehen. Nachdem er vorher in der Wunde gestochert hatte. Doch er hatte ihr verziehen. Selbst, als sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Als sie es gewesen war, die ihn nicht erkannt hatte, die ihn fast einen Dolch in die Brust gerammt hatte. Vil hatte um sie gekämpft, auch wenn sie ihn weggestoßen hatte.
Langsam richtete sich die Söldnerin wieder auf. Ihn ihre smaragdgrünen Augen kehrte Leben zurück, als sich das Feuer in ebendiesen widerspiegelte.
Der Schmerz, die Wut, die Trauer blitzen auf. Und die Entschlossenheit.



„Denn wenn deine Feinde flüstern… musst du schreien.“

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