✬ Der Setzling des Setzlings ✬

Charaktere: ✬ Riotea ✬ - « Folasade »


Thimorn war bereits nach Löwenstein aufgebrochen und würde erst am späten Nachmittag zurückkehren. Riotea war gerade aus dem Stall wieder zurück ins Haus gekommen und hatte ihre Hände am noch glimmenden Ofen gewärmt. Sie hatte ihm nichts gesagt, aber die letzten Tage immer wieder darüber nachgedacht, wie sie zurück zum Plateau gelangen könnte. Es war nur eine Vermutung wie, einen Beweis hatte sie nicht.
Wieder aufgewärmt ging sie in ihr Zimmer hoch und öffnete ihre kleine Silberschatulle. Seit Wochen hatte sie die Karten weder mitgenommen noch angerührt. Wollte nicht als Vanvalla auf die Straße gehen. Nach allem was durch Gladus passiert war und sie über Nahira und Falk gehört hatte, wollte sie doch lieber eine Pause machen.
Jetzt aber legte sie die Karten auf ihren Schreibtisch und ihre Mütze direkt daneben. Die weiße Kleidung zu tragen fühlte sich auf einmal so seltsam an, fast fremd. Dabei war es kaum lange genug her, dass sie Staub hätte ansetzen können. Wie in einem Ritual legte sie ihre Kleider ab und die weiße Haut an. Die filigrane goldene Kette mit den gläsernen Smaragden klimperte leicht, als Riotea sie um den Turban band. Mit den Karten in den Händen stand sie mit dem Rücken zum Bett und atmete einmal tief durch, bevor sie die Augen schloss und sich auf das Bett fallen ließ...


Stille, doch ein leichter Wind der ihre Schritte begleitete, nachdem sie die Augen geöffnet hatte. Es war hell, die Sonne hatte das Gras zum Leuchten gebracht. Sie selber war wieder schwarz wie die Nacht, statt weiß wie Schnee. Aber es war eine bekannte Veränderung und fühlte sich bei weitem nicht mehr so falsch an, wie noch beim ersten Mal. In der Mitte der Rune stand eine ihr nur allzu bekannte Sylvari. Die große, schlanke Gestalt sah sie mit ihren Eisblauen Augen unter den langen Blau-Grauen Blättern in ihrem Gesicht an. Trotz der Sonne konnte man das Violet auf ihren Lippen und dem Körper leuchten sehen.
“Willkommen zurück.”
“Hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist zurückzukehren.”
“Freue dich nicht zu früh. Dies ist erst deine erste Prüfung.”
Die Sylvari strahlte trotz allem eine gefestigte Ruhe und eisernen Willen aus. In der Vergangenheit hatte sich die 11-Jährige Sylvari selten zu Wort gemeldet. Aber Riotea mit eben jener Ruhe dabei unterstützt, sich als Vanvalla nichts anmerken zu lassen.
Folasade, sage mir welche Prüfung du für mich hast.”
Sie nickte Riotea nur schweigend zu und trat aus der Mitte der Rune heraus zu ihr. Bat mit ausgestreckter rechter Hand nach ihrer. Ohne zu zögern legte Riotea die offene rechte Hand in die blau-grauen Fasern der Sylvari. Folasade gab ihr mit der anderen Hand einen Samen, nicht größer als eine Murmel und Pechschwarz. Fast grazil nahm sie die Hände von Riotea und trat zur Seite.
“Das dies kein einfacher Samen ist, kannst du dir denken, oder?”
“Das hätte mich doch sehr überrascht.”
“Erinnerst du dich, an deinen ersten Besuch hier? An den kleinen Setzling?”
Und ob sie sich an die Rosen erinnern konnte. Der Schmerz kam ihr so echt vor, dass ihr Körper noch zitterte, als sie längst wach war.
“Stell dir dieses Samenkorn wie einen Setzling vor. Wie jedes Lebewesen muss es gehegt und umsorgt werden. Dazu muss er auch genährt werden. Dieser Samen ernährt sich von deinen Worten. Je ehrlicher du bist, des do größer und gesünder wird er. Doch lügst du, wird er zu einer Albtraumranke, wie die Rose damals.”
Einen Moment sah Riotea den Samen genauer an. Es war nicht schwer zu erraten, warum geradeFolasade sich für eine solche Prüfung entschieden hatte. Riotea war kein Freund von Lügen, dennoch hatte sie in der Vergangenheit nicht immer die Wahrheit gesagt und vieles verschwiegen, was am Ende auch wie lügen war. Als sie aufsah, war Folasade bereits verschwunden und dort wo die Mitte der Rune zu einem kleinen Kreis verlief, war die Erde frisch aufgewühlt.
Einmal tief durchgeatmet, ging sie zur Mitte und kniete sich hin. Hüllte die aufgewühlte Erde aus und bettete den Samen fast schon liebevoll hinein. Wortlos saß sie da und überlegte. In ihrem Kopf kreisten viele Dinge von denen sie wusste wie Wahr sie waren. Sie wusste genau, dass es genug Wahrheiten gab, die sie nie ausgesprochen hatte. Genug gab, zu dem sie ehrlicher hätte im Leben sein sollen. Aber sie wusste zuerst nicht womit sie anfangen sollte. Hin und her gerissen, vielleicht auch vom Mut verlassen, dachte sie nach. Es sollte eine starke Bedeutung haben, was sie sagte. Damit der Setzling kraft bekommen würde um aus dem Samen und der Erde hervorzubrechen, so dachte sie.
“Meine Eltern. Ich vermisse sie sehr. Habe sooft darüber nachgedacht Sharatur die Scherbe zu stehlen und sie zu nutzen. Nur in der irren Hoffnung, sie irgendwo in meiner Erinnerung noch einmal sehen zu können. Es war gelogen als ich sagte, ich hätte eingesehen das es eine dumme Idee wäre.”
Die festgedrückte Erde brach leicht auf und helles, frisches Grün zeigte sich. Der kleine, dünne Stängel war am Ende noch zusammengerollt wie ein Schneckenhaus und wirkte zerbrechlich. Es war wie Folasade sagte, er würde wachsen. Es dauerte einen Moment, bevor sie sich für das nächste Thema entschieden hatte. Er sollte zu Kräften kommen, damit er nicht auf einmal vom Wind abgeknickt wird.
“Ich schäme mich dafür, dass ich den Hof verlassen habe. Das ich Samus Erbe nicht verteidigt habe, sondern geflohen bin. Sie hat mir vertraut und ich habe sie enttäuscht. Obwohl ich gewusst habe, dass etwas mit den Seraphen nicht stimmte, schwieg ich. Dass sie ihn geplündert und abgebrannt haben, dafür gebe ich mir die Schuld.”
Wieder reagierte der kleine junge Stängel. Rollte sich aus und ließ zwei kleine runde Blätter wachsen. Zögernd sah Riotea die zarte Pflanze an und wusste genau, dass sie viel mehr, viel tiefer in sich graben musste um eine echte Pflanze daraus zu machen. Aber gleichzeitig spürte sie auch, wie sehr etwas anderes wuchs, in ihr. Noch war es nur ein leichtes Gefühl, zu flüchtig um es in Worte zu fassen.
“Elona. Nein, ich wollte nicht nach Elona. Ich wollte nicht gehen. Aber ich habe mich schuldig gefühlt. Dachte ich müsste Erik alles zurückzahlen, in dem ich ihm folge. Erwachsen zu werden war nur ein vorgeschobener Grund, um nicht zugeben zu müssen, dass ich glaubte Erik es sonst nicht zurückzahlen zu könnten.”
Dieses Mal tat sich zunächst nichts. Kein Wachsen, kein dehnen oder strecken. Dann verfärbte er sich dunkel, wirkte kränklich. Er wuchs viel später und langsamer, bekam Dornen und risse in der dünnen Rinde. Riotea war sich sicher, dass es der gleiche Rosenspross war, wie damals. Weil etwas fehlte und der Setzling spürte es, wusste es.
Es war kein ein Test. Sondern dass sie es verheimlichen wollte. Wie so oft. Jetzt Begriff Riotea erst richtig, was Folasade damit bezwecken wollte. Was die eigentliche Prüfung war, welche die Sylvari sich ausgedacht hatte.
“Es hat mir das Herz zerrissen, Thimorn alleine zu lassen! Ich bin Erik danach aus dem Weg gegangen. Alles in mir schreit auf, wenn ich ihm zu nahekomme! Seine Berührungen sind wie glühende Stiche. Als er mich in die Arme genommen hat, hatte ich das Gefühl zu verbrennen... Ich wollte es nicht, ich wollte ihn wegstoßen!”
Die Worte waren hastig, fast geschrien. Unsicher starrte sie den Setzling an. Ein seichtes Zucken der kleinen Blätter, dann streckte sich der kranke Stängel weiter gen Himmel, wurde wieder heller, gesünder und aus zwei Blättern wurden Vier. Keine Dornen, im Gegenteil, der kleine Spross sah nicht mehr aus wie eine Rose. Aber das drückende Gefühl wurde deutlicher als ihr lieb war. Jede Wahrheit die sie hier aussprach, würde trotzdem eine wilde Rose wachsen lassen, in ihrem Inneren. Die gleiche Rose, wie damals. Nur das sie diesmal ihren Körper von innen zerreißen will. Es war der Schmerz den sie immer dann fühlte, wenn sie gelogen hatte oder etwas verschwieg. Nur kam er jetzt Schlag auf Schlag und würde nicht vergehen, bevor aus dem Setzling eine Pflanze wurde.
“Nein, ich bin nicht froh das Thimorn zurück zum Pakt gegangen ist!”
Ihre Augen füllten sich mit salzigen Tränen. Es brannte ihr schon so lange auf der Seele und sie wollte es schon so lange zu ihm sagen.
“Ich bin stolz, aber ich mache mir nur mehr Sorgen um ihn. Bin immer unruhig, wenn er das Haus verlässt und habe einen Knoten im Hals, wenn er mir nicht sagen kann was los ist. Weil ich ihm vertrauen will, es mir aber... einfach schwerfällt.”
In langsamen Zügen rekte sich der kleine Setzling gen Himmel, war nun fast Kniehoch. Auch die Blätter wurden mehr, wurden größer und dunkler. Schwer atmend hockte sie im Gras. Unbewusste hatte sie ihre Arme um den Leib geschlungen und hielt sich haltlos fest.
Ich bin nicht so mutig und wild wie ein Charr. Brülle nur, um nicht zeigen zu müssen, dass ich Angst habe. Ich kämpfe nicht, weil ich furchtlos bin, sondern weil ich Angst habe zu verlieren... jemanden im Kampf zu verlieren. Ziehe, bevor es ein anderen tun kann.”
Ohne Zögern begann der Frühreife Setzling sein Wachstum fortzusetzen. Verzweigte seine Krone, streckte die ersten dürren Äste gen Himmel und bildete sein erstes kleines Blätterdach. Ein Baum, keine Rose. Aber die dornigen Ranken in ihrem inneren breiteten sich aus. Schnell. Drohten sie zu zerfleischen, zu ersticken.
“Ich habe Angst vor meinen eigenen Kräften! Angst vor den Kräften der Karten!”
Die letzten Worte schrie sie aus tiefster Kehle und sie zeigten mehr als Wirkung. Mit einem schnellen Tempo wuchs der kleine Baum ohne Pause weiter. Borke wie schwarze Asche, Blätter wie Handgroße Regentropfen. Der Stamm wurde breiter, die Krone bildete noch mehr Äste und ließ unzählige Blätter sprießen.
Noch ehe Riotea die Augen gänzlich von ihren Tränen befreien konnte, riss der Baum die Rune auf. Wühlte die Erde hoch, ließ das Gras aufbrechen. Sie sprang auf und flüchtete zum Rand der Rune, den Felsen die das Plateau einrahmten. Die Erde bebte und der Baum schien nicht aufzuhören, sich weiter gen Himmel zu strecken, größer und breiter zu werden.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht drückte sie sich an den kalten Felsen. Dornen bohrten sich durch ihren Körper, Ranken zerdrückten ihre Lunge, durchlöcherten ihren Verstand. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und brach im Gras zusammen.
Dann wurde es still.
Ungläubig und vom Schmerz betäubt, sah sie den Baum hinauf. Die Krone warf einen großen Schatten auf das Plateau, verdeckte den blauen Himmel und die Sonne. Nur wenige Sonnenstrahlen fielen in Fäden aus reinem Licht durch die dunklen Blätter.
Schritte im Gras, dann sah sie Folasade. Sie beugte sich zu Riotea runter und flüsterte ihr noch etwas zu, bevor diese das Bewusstsein verlor...

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