Tractatus Höggeri Speckfaustus VII

Tractatus Höggeri Speckfaustus VII


Als der Riese endlich genug geschlafen hatte, schlug er die Lawine die ihm zur Decke diente bei Seite und begrub irgendein Dorf in einem fernen Gebirge darunter. Er raffte sich ächzend auf. Nicht weil es ihm schwer fiele, aber wenn solche Massen in Bewegung geraten, dann geschieht dies nicht geräuschlos. Er streckt sich lang und stob mit den austreckten Armen ein paar Sterne durcheinander. Die Menschen im Süden freuten sich über die Sternschnuppen die über den Himmel rauschten und richteten ihre Wünsche an sie, doch Högger hörte sie nicht. Er blickt sich um und begann seine Reise fortzusetzen. Der Wechsel von Tag und Nacht war dem Riesen nur wie ein Blinzeln und er wanderte lange und still.


Das alte Fasse des Nordens, der Knochenspieler, Immerzorn und Nimmermüd, hatte viel gesprochen, gesungen, geflucht und gelacht. Seine Stimme war der erste Donner der knallte und bis heute widerhallt. Seine ersten Worte, gaben den Dingen ihre wahren Namen und so ist es heute noch.


Doch nun wollte er schweigen, wenigstens ein paar Wimpernschläge lang. Sein Schweigen aber war keine hohle Stille, sondern vibrierende, tiefe Ruhe. Alles verschluckend, wie sein Schlund, der mit einem einzigen Bissen mehr fressen konnte, als ein Mensch in einem Leben.


Diesen Abgrund des Schweigens trug er vor sich her und was ihm zu nahe kam, das stürzte hinein. Dann schlief es, so wie es der Riese getan hatte. Und alles das so einschlief, fiel in einen Schlummer der länger währen würde, als ihm noch Tage blieb.


Die meisten erwachten nicht wieder. Ein paar wenige Kinder als Greise. Aber sie alle waren selig, denn auf dem Grunde seines Schweigens, gab es keine Albträume.


Irgendwann kam es, dass der erste Riese tief in einem unbekannten Tal an eine große Halle kam. Sie war bald so hoch wie die Berge die sie umragten. Ganz rund war sie und von außen mit dicken Fellen und Ledern verhangen. Rauch quoll oben aus ihrer Mitte hinaus. Von drinnen hörte man Jauchzen und Lachen, Trommeln, Flöten und Lautenspiel!


Und seine große Stille, die prallte daran ab wie das Meer an steinernen Klippen.


Da stutzt er kurz. Groß muss die Musik sein und groß die Geschichten die darin gespielt, gesungen und gewebt wurden, wenn er sie nicht verschluckte.

Der Gigant trat ein und beschaute sich das Innere der Halle. Sie war, wie er bereits von außen gesehen hatte, rund in ihrer Form. Überall waren Feuergruben ausgehoben über denen Kessel brodelten oder Tiere aller Art brieten. Die ganze Halle war entlang ihrer Wände mit großen Fässern gesäumt. Zwischen den Feuern standen große runde Tische und an ihnen saßen Frauen und Männer, die tranken und aßen. Auf den Tischen jedoch, da trugen sie, mal miteinander, mal gegeneinander, ihre Lieder und Geschichten vor. Sie spielten ihre Instrumente und tanzten ihre Tänze und die Zuschauer lachten und johlten, weinten und schrien, vor Begeisterung. In der Mitte der Halle ragt ein Berg aus Schriftrollen, Büchern und Instrumenten empor. Und auf dessen Spitze stand ein Thron. Dort saß einer, der schien Högger auch ein Riese zu sein, und er blickte prüfend zu seinem Spielvolk hinab.


Hin und wieder, so konnte man sehen, wenn unter den Leuten das Jubeln für einen Spielmann oder eine Spielfrau besonders groß wurde, wandte der Mann im Thron seinen Blick dorthin. Und wenn sie den Blick dort spürten, da traten sie vom Tisch zurück, denn dann gehörte die nächste Vorstellung dem Mann im Thron alleine. Dann spielten, tanzten und sangen die gerade noch Bejubelten, so gut sie nur konnten, ja bald wie wahnsinnig. Waren sie fertig mit ihrem Spiel, da blickten sie voller Erwartung zum Mann im Thron hinauf. Sie warteten auf ein freundliches Lächeln, oder den tadelnden Blick. War er zufrieden, da sah man wie den Spielleuten das Herz vor Erleichterung aufging und die Zuschauer, die gerade noch Jubelten, rissen sich die Kleider vom Leib und boten sich den Geadelten in ihrer Gänze an. Bekamen sie jedoch den tadelnden Blick, da zerschlugen sie ihre Instrumente, rissen sich die Zungen aus oder brachen sich ihre Füße ab. Dies warfen sie auf den Hügel in der Mitte der Halle und ihr Publikum bespuckte und beschimpfte sie wie einen Feind. Dann trollten sie sich aus der Halle oder krochen kleinlaut an einen freien Platz an einem der Tische und tranken und aßen wieder mit den anderen.


Högger lachte aus seiner Stille kurz auf. Das gefiel ihm. Das gefiel ihm ganz herrlich, auch wenn es ihm missfiel, dass sie sein Schweigen übertönten.


Drum hob er seine Stimme kurz.


„S is ja schön un gut, un s euch ja gegönnt. Aver für heut is jetz ma Schluss. Denn wenn ch schweige, dann sollt ihr nech spieln.“


Und weil es nicht irgendeine Stimme war die da sprach, sondern die des Hammerzahns und Axtmauls, da verklangen die Lieder und voller Verwunderung blickten die Leute erst auf Högger, dann auf den Mann im Thron.


Dann blickte der Mann im Thron auf Högger. Erst fragend, dann zornig. Und er sprach:


Die alte Speckfaust, in meinen Hallen? Die alte Speckfaust, das billige Gedicht der Massen, hier? Und du wagst es, dein Maul, dass tausend Lügen spricht und über dass es 10 000 Lügen gibt, aufzureißen?


Ein Krieger sollst du sein. Der Größte.
Ein Liebhaber sollst du sein. Der Schönste.
Ein Sänger sollst du sein. Der Beste.


Doch ich kenne die Legenden und alle sind sie meine. Nichts was ich noch nicht erzählt, gesungen oder gespielt.


Speckfaust. Hier schert mich deine Kraft nicht, hier schert mich dein Zorn nicht. Dieser Ort ist für Geschichten, für Lieder, Tanz und Spiel.


Magst du uns alle totschlagen, verrät es nur, dass du nichts beherrschst, außer dem Tod. Und wenn dies der Fall ist, dann lache ich, dann lachen wir alle. Denn der Tod der wird uns alle holen ob früher oder später. Was kannst du dann, außer das zu bringen, was alle eh schon haben?


Sing Högger Speckfaust, sing gegen mich und wenn du siegst, dann soll ich nie mehr sprechen.


Dann lachte der Skaldenfürst und die Speckfaust blickte grimmig drein. Dreist war es allemal. Dumm war es auch. Dachte die Speckfaust.


Aber nun war es wirklich schlau vom Skaldenfürsten gewesen, die Speckfaust an ihrer Ehre zu packen. Zwar gab es keinen zweiten Meister im Tode wie die ihn, aber das galt es hier ja nicht zu beweisen. Und die Toten schweigen, das ist wahr, aber sie mögen auch nicht sprechen. Viel lustiger erschien dem Riesen die Vorstellung, dass der große Skaldenfürst auf seinem Thron, der nichts hat außer seinem Wort, für immer schweigen muss.


Da lachte Högger nun auch und der Skaldenfürst blickte grimmig. Dann nickte er und sprach.
„Fang an, Skaldnfürst, eh. Ch will dich enmal hörn, bevor ch dich nie mehr hörn muss.“


Da erhob sich der Fürst von seinem Thron und er erhob die Stimme, und sie klang wie das Donnern des Sturms, wie das Tosen des Meeres und sie erfüllte die Halle und die Berge und den weiten Himmel und er sprach:



Ho! Ich bin der Skaldenfürst
Wenn du alte Flammen schürst,
Schütze dich vor ihrem Feuer,
Flammenpreis ist Fleische teuer.


Ist die Glut einmal geweckt,
kannst du sie nicht nieder zwingen,
Hat sie einmal Blut geleckt,
Wird die Flamme dich verschlingen.


Sitze hier, auf diesem Thron,
Aus Geschichten und Legenden,
Ewigkeit mein eitler Lohn,
Jedes Wort, meins zu verwenden.


Glorie und wahrer Glanz,
Orgie und wilder Tanz,
Sind die Früchte meiner Stimme,
Sind die Kinder meiner Hymne!


Troll dich Wanderberg und Wilder,
Beug das speckig Haupt vor mir,
Wenn dein Maul auch bisher wild war,
Endet diese Hybris hier!


Deine Arme fett doch schwächlich,
Deine Worte groß, doch leer,
Deine Fresse, grob und hässlich,
Deine Zunge lahm und schwer.


Schäme dich und bleibe stumm,
Schäme dich und beug dich krumm,
Dass du ganz ein Kleiner wirst,
Ho! Ich bin der Skaldenfürst!



Und bei den letzten Worten des Skalden, da flackerten die Feuer der Halle hoch auf und die Luft war erfüllt von ehrfürchtiger Stille die sich in tosenden Jubel erhob! Die Spielleute waren wie in Extase vor Jubel und so bewundernd ihre Blicke für den Skaldenfürsten waren, so hämisch und boshaft waren sie für Högger Speckfaust.


Dieser blickte blass zum Mann auf dem Thron hinauf. Kein Wort hatte er dazwischen gerufen und er begann zu sprechen. Nicht mit der Stimme des Donners, wie es der Fürst tat, sondern mit einer aus Fleisch und Blut und dunkler, böser Absicht. Und während er sprach, da wuchs er, mit jedem Wort etwas hinauf, bis dass sein Kopf unter die Decke der hohen Halle reichte.


Ich bin die Speckfaust,


aus Wut und aus Kraft,
die Gewalt die nimmt,
wo die andere schafft.


Die alles verwandelt,
Denn nichts hat Bestand.
Ich bin die Gewalt,
der nehmenden Hand.


Ihr Töpfer, ihr Töpfer,
ihr schlagt eure Erde,
Ihr dreht eure Scheiben,
Und formt euren Krug,


Ihr Töpfer, ihr Töpfer,
Ich komme und werde
zerschlagen, zerreiben,
was ihr gerade schuft.


Wenn alles verwandelt,
zu dem was es wird,
Da ist´s meine Hand,
die es dahin führt.


Ich nehme und nehme,
und kann nichts behalten,
Die Kräfte die greifen,
Sind die, die gestalten.


Dann schwieg der Riese und blickte zum Skaldenfürst hinab. Leise und mit der Kälte des Nordwindes sprach er:


Alle Lieder dieser Welt…
Auch deine…
Enden in Stille.


Alle Enden dieser Welt,
Auch deines…
Mein Wille.


Da ertönte kein Jubel, denn alle Spielleute in der großen Halle waren erfroren und der Skaldenfürst schwieg für immer dar.


Die große Halle der Lieder war nie wieder gefunden und ihre Geschichte ist eine, die Högger Speckfaust nur allzu gerne erzählte.