In Erinnerung: Zweite Szene

„Mach dir keine Sorgen, Lieb, sie kommen zurück.“ Victor griff nach dem Deckel der Aktenmappe, um sie wieder aufzuschlagen. Er hatte vor seinem Gespräch in ihr gelesen und wollte seine Arbeit darin nun beenden. Die daumendicke Ebonzunge, deren Spitze noch immer sanft im künstlichen Licht des fensterlosen Büros glühte, hing windschief in dem schwere Marmoraschenbecher, der zuweilen auch als Briefbeschwerer herhalten musste.

„Zurück kommen? Hast du gesehen wie wütend sie war? Einen Scheiß werden sie! Du hast es verdorben. So wie du immer alles verdirbst! Er wäre perfekt gewesen. Per-fekt und du hast ihn vertrieben. Sie beide! Ich wollte ihn für mich haben! Ein einziges Mal im Leben nur wollte ich etwas ganz alleine für mich haben, aber du musstest dich mal wieder in den Vordergrund spielen und ihn vertreiben. Das ist so typisch du einfach. Immer nimmst du mir alles weg. Immer! Ich hatte nur diese eine Bitte an dich und was machst du? Das ist gemein!“ Claire wischte die Unterlagen, auf die der Hausherr gerade den Blick seiner zweigefärbten Augen gelegt hatte, mit einer einzigen forschen Bewegung von seinem Schreibtisch. Die schmächtige Frau mit den knubbeligen Knien und den kleinen Brüsten schnaubte ungehalten. Sie achtete des Mannes nicht, der seine Hände hob und sich dezent enerviert gegen die hohe Lehne des gepolsterten Thrones sinken ließ, der nur einer von vielen Spiegeln seines ausgewachsenen Egos war. Das nüchterne Seufzen Victors gänzlich ignorierend, griff die im Vergleich deutlich jüngere Frau nach der Wodkaflasche, die für das vergangene Gespräch bereitgestellt worden war. Claire kreischte wütend, als sie den klaren Schnaps mit Wucht durch das Zimmer schleuderte.

„Das reicht jetzt.“ stöhnte der Iorga träge.

„Arschloch!“ Claire tobte. Sie warf einen der Besucherstühle um, seine Sitzfläche war noch warm, bevor sie sich dem gut gefüllten Bücherregal an einer Wand des Raumes zuwandte.

„Claire...Es reicht jetzt.“ Dieses Mal klang die dunkle Stimme des ascalonischen Geschäftsmannes eine Spur schärfer. Eine farblose Braue zuckte.

„Einen Scheiß tut es! Ich hasse dich! Ich wollte nur diesen einen Freund! Einmal einen für mich haben, der sich nicht für dich, sondern nur für mich interessiert!“ Als ihr dürrer Arm sich hob und die Dumal dazu ansetzt eines der Bücher von seinem Brett zu reißen, war es genug. Die junge Frau fuhr schnaubend herum, als sie das Dröhnen schweren Holzes vernahm, das mit Wucht über Dielen geschoben wurde. Victor hatte sich erhoben. Die fleischige Gestalt des massigen Mannes bestach durch breite Oberarme, prankenhafte Hände und eine feste, massive Brust. Das flachsblonde Haar krönte das blassbleiche Gesicht eines gealterten und vom Leben gezeichneten Mitfünfzigers, dessen schmale Nase nicht zu dem Rest der eher grob geschnittenen, scharfkantigen Züge passen wollte. Claire schluckte. In ihrer brodelnden Wut ballte sie die schlanken Hände zu winzigen Fäusten, die sie ihrem Gatten trotzig entgegen hob.

Ihre Drohgebärde war wirkungslos.

Victor trat an Claire vorbei und nahm seinen Trenchcoat vom Haken. Der braun-schwarze Kragenbesatz erinnerte an kein bekanntes Tier. Dicke Finger entfernten eine helle Scherbe daraus, die durch die Heftigkeit des Aufschlages der Schnapsflasche bis an die Garderobe geschleudert worden war. Dann zog der Mann sich an. Unter den brennenden Blicken seiner Frau nahm der Iorga seinen Gehstock auf, griff nach seinem Barett und setzte es sich mit einer routinierten Bewegung auf das vor Pomade steife Haar.

„Was tust du da?! Willst du jetzt gehen? Du kannst jetzt nicht gehen! Ich bin noch nicht fertig!“ Die Jüngere setzte dem Iorga zwei Schritte nach. „Du kannst mich hier jetzt nicht einfach stehen lassen!“

Victor warf ihr wortlos einen langen, bezeichnenden Blick über die Schulter zu. Halbseitig das Lächeln schmaler Lippen. „Erinnerst du dich noch an Belsazar..oder an diesen Seraphen? Wie war noch gleich sein Name?“

Claire verstummte.

„Mach das hier sauber und krieg deinen Scheiß geregelt. Du hast keine Freunde, Claire. Sieh dich an...Du hast dich für mich entschieden und damit gegen ein gewöhnliches Leben. Freundschaft ist auf dieser Grundlage nicht möglich. All die tapferen Retter da draußen. All die Helden und strahlenden Lichtgestalten. Sie sehen dich und sie sehen mich. Das arme Mädchen und den großen, bösen Wolf. Furchtbares Klischee. Du hast es aber selber zelebriert...Jetzt trage die Konsequenzen und geh mir nicht länger auf den Sack. Du bist zu einer Freundschaft doch gar nicht fähig...Gute Nacht, mein Lieb.“ Und damit verließ er die Szene, wohl wissend, dass er Blanche Wilcox und Ghabriel Reaves nicht zum letzten Mal gesehen hatte. Der Mann gefiel ihm, hatte sein Interesse geweckt und das schlicht durch seine gewöhnliche, ja fast langweilige Art. Erfrischend normal, wie der Hurenwirt mit stiller Neugierde feststellen musste. Aus dem konnte was werden, ganz fraglos. Claire würde sich jemand anderen für ihre Spielchen suchen müssen. Diese beiden hier würde er seiner Liebsten nicht zum verheizen vorsetzen.



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