⍟ Schlag zu ⍟

Charakter: ⍟ Nathan Heyroth ⍟


“Wenn du so weiter auf das Meer starrst, könnte man denken du willst über die Reling springen.”

Der Mann der zu ihm sprach, war in Elona mit einer Handvoll anderer Söldner an Board gekommen und wollte ebenfalls nach Löwenstein. Bisher hatte sich die Gruppe von allen anderen freundlich zurückgehalten. Genauso wie Nathan in den ersten Tagen. Das Schiff hatte die Hälfte der Strecke bereits zurückgelegt.

“N-Nein. Ich d-denke n-n-nur nach.”

“Und das nicht zum ersten Mal.”

Der Mann lehnte sich zu ihm an die Reling und sah hinaus auf die Wellen. Nicht nur seine gebräunten Oberarme waren dicker als Nathans Oberschenkel. Der ganze Mann war kräftiger gebaut als er.

“Du solltest nicht nur denken, sondern mit deinem Wissen auch was anfangen.”

Überrascht hob Nathan die Augenbrauen. Er hatte mit vielen Worten gerechnet, aber nicht mit diesen. Gelassen drehte der Mann seinen Blick zu Nathan.

“Man muss keine Gedanken lesen können, um zu wissen das du ein Bücherwurm bist. Wundert mich, dich hier so fernab der Bücher zu finden. Aber wenn man hört wie oft du dich in den Schlaf geweint hast...”

Ein Schulterzucken beendete den Satz. Peinlich berührt drehte sich Nathan weg und schwieg. Drückte Koro etwas an sich und achtete auf seinen Bauch, suchte seine Atmung.

Die letzten Nächte konnte er es nicht mehr unterdrücken und hoffte einfach das außer dem Kater davon niemand etwas mitbekommen würde. Je näher sie Löwenstein kamen, umso mehr schmerzte es.

“Schon Mal dran gedacht, Dampf abzulassen? Scheinst ja bisschen was aufgestaut zu haben.”

Wieder überrascht sah er den Mann an. Irgendwie hatte er ja schon recht. Mit jedem neuen Gedanken, jeder neuen Erkenntnis und Lüge die ihm durch den Kopf ging, staute sich eine Wut auf, die ihn innerlich zerriss.

“I-ich kann nicht. W-W-Wegen Koro.”

Er senkte das kantige Gesicht zum Kater in Nathans Armen und winkte Nathan einfach zu sich.

“Der wird schon nicht davongeweht, nur weil du ihn mal absetzt.”

Unschlüssig sah Nathan zwischen dem Fremden und Koro hin und her. Schluckte schwer und zog seinen Mantel aus. Wickelte den Kater in den dicken Stoff und setze ihn auf einer Kiste ab. Koro selber ließ es ohne eine große Reaktion mit sich machen, sah ihn nur aus trüben Augen an. Unsicher sah Nathan den Mann an.

“Schlag mich.”

“W-W-Was?”

“Hast mich schon verstanden.”

Der Mann blieb im Gegensatz zu Nathan völlig ruhig, gelassen. Panisch begann er zu zittern und zu stottern. Konnte sogar spüren wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich.

“So wie du aussiehst, dauert es eine Weile bevor ich Angst vor blauen Flecken haben muss. Also... Schlag mich.”

Noch nicht ganz von seinem Vorhaben überzeugt, holte Nathan aus und schlug den Mann einfach blindlings mit der Faust vor die blanke Brust. Wie erwartet, hatte der Schlag kein bisschen Effekt, aber sorgte im Hintergrund für etliches Gelächter seiner Kammeraden. Mit einem unerwartet schnellen Ruck drehte sich der Mann um und fuhr die Männer harsch an.

“Haltet die Klappe und erinnert euch lieber an eure ersten Schläge, bevor ihr seine verurteilt.”

So schnell wie das Lachen aufkam, verstummte es auch wieder, dabei schien der Mann vor Nathan nicht ihr Anführer zu sein.

“Nochmal... aber hör auf darüber nachzudenken, dass du mir was tun könntest. Denk einfach daran, deine Wut rauszulassen.”

Einen Moment dachte Nathan über seine Worte nach. Dann über die Jahrelangen Lügen und wie sehr er sich dafür verurteilte, nicht früher gehandelt zu haben. Der nächste Schlag kam wie ein Reflex, ein von fremder Hand losgelöster Bolzen. Traf den Mann direkt auf dem Brustbein. Doch zeigte der sich davon völlig unbeeindruckt und blieb wie ein Fels in der Brandung. Sein Gesichtsausdruck sagte deutlich, dass es für ihn noch lange nicht genug war. Eigentlich hatte Nathan nur Angst, sich selber einen Schlag zu fangen, wenn er aufhören würde. Also schlug er immer wieder auf den Mann ein. Zuerst nur mit einer Faust, dann mit beiden. Von Verzweiflung getrieben und dem Wunsch das alles schon vorbei wäre. Den inneren Schmerz mit dem der Fäuste auszubrennen. Wie oft er ihn geschlagen hatte, konnte er schon nicht mehr sagen. Wie der Schiffsmast stand er da und kassierte jeden Schlag ohne zu zucken. Nathans Gedanken kreisten nur noch um alles was er den letzten beiden Monaten über sein Leben gelernt hatte. Da packte der Mann seine Handgelenke und hielt ihn fest.

Der Blick fast Angriffslustig auf den viel schlankeren Mann, stand er da wie ein Fels. Panisch riss Nathan die Augen auf und tat das Einzige, was ihm der Instinkt gerade in den Sinn brachte, Schattenschritt. Noch nicht einmal richtig hinter dem Söldner aufgetaucht, ließ er sich auf alle viere fallen und fegte ihm mit dem rechten Fuß die Beine Weg. Ein Trick der Koro früher dazu brachte, ihm in die Arme zu fallen. Weshalb sein Schattenschritt zurück auch wesentlich langsamer war. Scheppernd krachten beide zu Boden.

“Autsch... das hat fast schon wehgetan... Guter Trick, Kleiner.”

Problemlos, mit einem breiten Grinsen im Gesicht, stand der Mann auf und hielt Nathan die Hand hin. Verwirrt und auch etwas eingeschüchtert, zögerte er. Nahm sie dann aber doch an und stand auf. Entgegen seiner Vermutung, war der Druck der viel größeren Hand weit weniger fest, im Gegenteil, er war wohlbedacht und der Söldner lächelte ihn sogar ehrlich an.

“Nutz dein Wissen auch. Es nützt dir nichts, wenn es in deinem Kopf verstaubt.”

Mit einem letzten Wink drehte er sich um und ging mit seinen Kameraden zurück unter Deck. Nathan nahm Koro wieder in seine Arme und starrte nachdenklich aufs Meer hinaus.