Geringfügige Grausamkeit
Die filigranen Ketten des Weihrauchfässchens rasselten bei jedem Plattenschritt auf der ausgetrockneten Erde. Der Deckel klapperte zusätzlich. Seine Sinne waren überreizt, die Nervenenden standen in Flammen, der sakrale Duft brannte ihm in Augen und Atemwegen. Er schwitzte vor Schmerz und wollte für den Moment nur eine Sache sehnlicher, als vollkommene Deprivation - Durchhalten und im Angesicht der in seine frischen Wunden schneidenden Sonnenstrahlen bestehen.
Um seine Hände gewundene Gebetsperlen waren der einzige Halt, der seinen Verstand den Körper besiegen ließ. Aufgrund Wassermangels, Blutverlust und Nervenüberreizung wollte ihn sein Fleisch längst verraten. Nebst dem Kleinod war es die Stimme von Priester Magnus, die blechern hinter einem Helm über die knienden Novizen krachte, welche ihn bei Verstand hielt. Er war der Zeremonienmeister, doch an seinen Flanken begleiteten ihn in rotem Plattenornat sein Gruppenführer und Mentor Erich Vosque und der zweite Priester, als Zeuge des Sakraments, Nazir Jakari.
"Oh Meister des Krieges..."
begann Magnus mit geschultertem Zweihänder, derweil er vor der knienden Reihe auf und ab ging.
"... Stehe deiner Schar ihren Feinden gegenüber zur Seite."
antworteten die Novizen im brüllenden und brüchigen Chor.
Jedes Anzeichen von Schwäche wurde hier und jetzt bestraft. Einer seiner Mitstreiter verlor zwei Plätze links von ihm den Kampf mit sich selbst und mit der Hitze. Es war ein kurzer und fast lautloser Prozess. Sabbernd und pumpend lag er dort, als ein scharfer Säbel seinen Kopf von den Schultern trennte. Den Körper hatte man liegen lassen, als Symbol, als Motivation. "Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. In der Feuersbrunst dieses Schlachtzugs ist kein Platz für spröde Existenzen, die Ihn beleidigen.", hatte der graubärtige Zeremonienmeister mit Abscheu ausgespuckt, als frisches Blut Panzerstiefel berührte. Und er hatte recht. Im Schatten erhabener Kriegsmaschinerie, Seite an Seite mit entflammten Seelen, die nur den Zweck des Feurigen kannten war es ein Hohn, Geister anzuschreien.
"Oh großer Feldherr..."
Der respektierte Priester streckte seinen rechten Plattenhandschuh in die Höhe und griff nach der Sonne.
"... Urteile hart und gerecht über unsere Stärken und Schwächen."
erwiderte die ausgedünnte Meute kniender Kriegsanbeter.
Irgendwo rechts erlag ein zweiter Mitnovize dem schleichenden Feind strahlender Hitze auf nackter und blutender Haut, als sein Kopf über den Boden des jüngst eroberten Dorfes rollte. Auch er kniete hier mit barem Oberleib, nur eine zeremonielle Ölschicht schirmte fadenscheinig ab. Doch spätestens, als die Schnitte des Skalpells auf seinem Rücken begannen, wuschen erregter Schweiß und dünne Blutströme viel dessen auf den undankbaren Staubboden. Ein armes Schwein hatte sich tatsächlich die Zungenspitze bei diesem Prozedere abgebissen. Dass er trotzdem laut und frenetisch in jede Litanei einstimmte gefiel Magnus. Das, was sie hier taten wäre in anderen Zeiten und an anderen Orten als grausame Barbarei verurteilte worden. Doch nun befanden sie sich in einem heiligen Krieg, entfernt der Perfektion des Einzelnen, hin zur nackten Steigerung ihrer Kampfeffizienz. Es gab wenig Raum für Niederlagen, wenig Raum aus Schwächen zu lernen.
"Oh tobender Feuersturm..."
stimmte er ein letztes Mal für die erschöpften, aber standhaften Lehrlinge an.
"... Führe unseren verdüsterten Pfad mit deiner Erleuchtung."
Viele hatten sich die Kehlen heiser und heiß geschrien.
Die letzten Schnitte des eindeutigen Siegels Balthasars auf seinem Rücken geschahen. Wenn sie das hier überstanden, stand ihre Hingabe außer jedweder Frage. Sobald sie dem Schmerz bis zur letzten Linie widerstanden, könne ihnen kein Speer und keine Klinge des Feindes mehr Furcht einjagen. Der Assistent des Zeremonienmeisters war selbst eine grotesk vernarbte Figur. Und nun sollte der letzte Teil für ihn folgen. Das 'Weihwasser'.
Priester Magnus' Gehilfe tauchte seine Hand in eine wässrige Lösung aus Salz und Zitronenextrakt. Es würde die Heilung behindern, es -sollte- sie verzögern. Zur gleichen Zeit bricht das Gefühl heißer Lava auf den gemarterten Rücken ein.
Er strauchelt, kippt nach den ersten Sprenklern vorweg.
Der ehrenwerte Priester Magnus hatte die letzten beiden Strophen der dreizehnten Rezitation der Litanei angestimmt:
"Wir sind deine Krieger und Diener in Ergebenheit,
Wir halten uns rein von Verblendung und Ignoranz,
Frei von Heuchelei, Prahlerei und Falschheit,
Doch bleiben wir gefangen in Wut, Zorn und Groll,
Für den Abschaum, den Ketzer, den unbarmherzigen Feind."
Jede Silbe war fanatischer Eifer, gegossen zur scharfen Waffe der Inspiration.
Er stoppte zwischen den Strophen auf der Höhe des jüngst kauernden Novizen - vor ihm - und lauerte, ob er der dritte in der Reihe verachtenswerter Blasphemiker werden würde. Doch das Echo des Eifers hallte in seinem Schädel nach.
Die schmutzigen Hände ballten sich trotzig um seine Gebetsperlen und er starrte den Anhänger daran, dessen Abbild er nun unabänderbar auf dem Rücken trug, wutentbrannt in Grund und Boden. Ab heute brodelte ein Trotz, eine grundlose Wut und ein blutrünstiger Zorn in seinen Adern. Die Hülle all dessen war sein Schmerz, doch der Kern waren die Worte. Es waren schon immer die Worte.
Priester Magnus bellte die letzte Strophe nach einem kaum vernehmbaren Schnauben über die Köpfe hinweg, als er seinen Gang fortsetzte:
"Bei deinem Werk und blutigem Schweiß;
Bei deinem ehrgebietenden Kriegsthron und deiner stoischen Führung,
Bei deinem Aufschwung zum größten Krieger und Verteidiger der Menschheit,
Bleibe bei uns und schenke und deine Kraft,
Uns, die wir bedingungslos für dich kämpfen."
Kommentare 4
Minna
Ist der Novize der .. ist das ja wirklich der an den ich denken muss? O_o
*holt tief Luft*
Border Autor
Ich kann zwar keine Gedanken lesen, aber ich schätze ja. x)
Margos
Sehr schön, gefällt mir eine selbstgeschriebene Zeremonie zu sehen, die passt aber an der Lore nu orientiert ist.
Nur das die Schwache direkt exekutiert werden kann ich mir nur schwer vorstellen. Zumindest wenn die Geschichte in Elona spielt. Da wäre es sich wahrscheinlicher das die Schwachen zu Geschmiedeten gemacht werden, wie zB Dorfbewohner.
Aber das ist der einzige Kritikpunkt. Mir gefällt der Rest sonst, besonders die Litanei.
Border Autor
Danke für den Kommentar und das Lob!
Und du hast vollkommen recht, dass das das Vorgehen bei "linientreuen" Priestern wäre. Bei meinen Geschichten habe ich im Kopf, dass die handelnden Charaktere nicht immer das Idealbild verkörpern - Magnus ist bspw. in seinem Wirken unnötig grausam und handelt gegenüber den Schwachen auf eigene Faust.
Bei einem Priester, der vernünftiger denkt, hätte man sie sicher zu Geschmiedeten transformiert.
Deswegen erhebe ich auch nicht den Anspruch dass das Sakrament universal so bei allen Balthis durchgeführt wurde - vielleicht ist die Litanei ähnlich, vielleicht müssen sie eine andere Ausdauerprüfung ablegen. Das hier beleuchtet nur einen kleinen, twisted Ausschnitt. :>