Familienfeier

Familienfeier


Das große Bauernhaus war warm beleuchtet. Der kitschige Wintertags-Schmuck in den kleinen Fenstern entlockte mir ein halbseitiges Lächeln. Unsere Stiefel ließen den Schnee unter unseren Füßen knarzen. Wir haben einige andere, dunkle Häuser passiert. „Die meisten Häuser hier gehören der Familie. Sie sollten alle bei uns sein. Ein paar letzte Schritte, dann sind wir da.“ Der Aufgang zu der halbrunden Holztür war vom Schnee geräumt – bis hin zur großen Scheune. „Früher hat unsere Familie die Felder bewirtschaftet. Allerdings hatte das mit meinem Vater ein Ende, er ging einen anderen Weg als mein Groß- und Urgroßvater. Aber der Baustil dieser Häuser hatte es ihm einfach angetan.“ Vero erzählte mir beiläufig seine Familiengeschichte. Das fühlte sich seltsam an, denn es war das erste Mal. „Gurken, Kartoffeln, Tomaten. Solche Dinge.“ warf er ein. „Was?“ fragte ich völlig aus meinen Gedanken gerissen. Der opulente Festtagsschmuck an der Tür hatte mich abgelenkt. „Das baut Mutter noch hinter dem Haus an, um es einzulegen.“ Ich seufzte und sah ihn aus dem Augenwinkel heraus an. „Können wir es uns nicht einfach in der alten Scheune gemütlich machen?“ Meine Hand griff nach dem Pelzkragen seines Wintermantels und strich mit den behandschuhten Fingern darüber. „Eine zweite Runde wird doch …“ Mehr konnte ich auch gar nicht mehr sagen, denn seine vollen Lippen legten sich auf meine. „Später, Maya. Jetzt musst du meine Familie kennenlernen.“ Entweder Befehlston in seiner Stimme oder der bevorstehende Abend ließ meine Knie weicher werden. Ich hätte sicherlich gerne etwas erwidert, doch stattdessen lenkte ich den Blick auf die plötzlich aufgerissene Tür. „Veeero! …“ Es folgten viel mehr Worte in der Sprache, die ich seit dem Tod meiner Großmutter nicht mehr gehört hatte. Die ascalonische Herkunft war den beiden Kindern nicht abzustreiten, auch wenn es mehr ihre Winterkleidung war. „Baust du mit uns einen Schneemann? Tante Snezana hat uns rausgeschickt – wir sind ihr zu unruhig!“ petzten die beiden und zerrten an den Ärmeln des großen Mannes. Mir war, als wäre das der letzte Augenblick, um zu fliehen, doch stattdessen schmunzelte ich und wartete auf Veros Antwort. „Jetzt lasst ihn doch erstmal ankommen, ihr beiden!“ schaltete sich eine weitere Stimme ein. Der Mann lehnte sich in den Türrahmen und sah aus dem warmen Haus auf uns nieder. Während die Kinder lachend davon zogen und bereits wenige Schritte von uns entfernt eine Schneeballschlacht begannen, starrte ich verdattert in den Türrahmen. „Du hast es ihr nicht gesagt?“ lachte der Kerl und wandte sich an Vero. „Ich hatte noch keine Gelegenheit.“ antwortete er seinem Bruder ehrlich. „Du hast einen Zwilling.“ sprach ich das offensichtliche aus.


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Vero saß neben mir, sein Bruder uns gegenüber. Ich hatte mittlerweile die ersten Unterschiede zwischen den beiden bemerken können. Ljubo hatte nicht die herrische, fordernde Art seines Bruders und auch körperlich war er ihm unterlegen. Während Veros Hemd an den Armen spannte, hang Ljubos locker herab. Er war aber deutlich geselliger als mein eigentlicher Begleiter. Es war unvorstellbar laut in dieser gemütlichen Wohnkammer und alle trugen ihren Teil dazu bei. Die Familie lachte, sang und feierte gemeinsam den Wintertag oder irgendwas anderes. Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Festlichkeit im Vordergrund stand. Der Tisch war so reich mit Speisen gedeckt, dass man nur kleine Teller für die Gäste aufgetischt hatte. Zwischen eingelegten Gurken und Tomaten aus dem eigenen Anbau, standen Platten mit gebratenem Yak, mariniertem Fisch und saftigen Schinkenstücken. „Aj, aj, aj, Mädchen!“ hörte ich die Hausherrin hinter mir. Ihre kalten Finger legten sich auf meine Schultern. „Du hast ja gar nichts auf dem Teller! Vero du passt nicht gut auf deine Frau auf.“ Seine Mutter trug ihr Haar ebenfalls zu einem Zopf gebunden, vielleicht war ich ihr deswegen auf Anhieb sympathisch oder sie war einfach offener als ihr Sohn. „Komm ich schenk dir auch nach.“ Vero stapelte Eingelegtes und Brot auf meinem Teller, während seine Mutter meinen Tonbecher mit Selbstgebranntem füllte. Ljubos Blick lag schon eine Weile auf mir. „Kaum eine Stunde hier, schon bist du Teil der Familie. Gewöhne dich besser schnell daran. Ich glaube nicht, dass mein Bruder dich gehen lassen wird und wenn er nicht will...“ Veros Hand lag auf meiner Stuhllehne. „Halt dich zurück, Ljubo.“ Sprach er in einer unterschwellig bedrohlichen Tonlage. Snezana war längst nicht mehr hinter mir, sondern stimmte mit ihrer Schwester ein munteres Liedchen an. Das Streiten ihrer Söhne bekam sie nicht mit, wollte es vermutlich gar nicht. „Hab dich nicht so. Nach langer Zeit bringst du mal eine richtige Frau ins Haus, keine deiner zarten, gebrechlichen Freundinnen. Da darf ich mich auch etwas freuen – endlich was fürs Auge.“ Mein Mundwinkel zuckte, doch ich wandte meinen Kopf zur Seite, betrachtete die anderen Anwesenden.

„Ljubo. Wir können gern vor die Tür.“ knurrte Vero und sah seinen Bruder missbilligend an. Selbst im Augenwinkel sah ich das lässige Zurücklehnen des Bedrohten. „Trinken wir lieber auf eure Verbindung!“ Dumm war der Kerl nicht – er hätte den Kampf verloren. Ljubo richtete sich auf und hielt den Tonbecher hoch, das Lied seiner Mutter endete gerade. „Auf die Familie, die Angeheirateten, die Freunde und Freundinnen…“ begann er die Anwesenden euphorisch in seinen Bann zu ziehen. Das war ganz offensichtlich seine Stärke. „…die Liebe, das kommende Glück und hoffentlich viele erfüllte - gemeinsame Stunden!“ Sein Blick landete ein weiteres Mal an diesem Abend auf mir. „Auf euch alle!“ rief er aus und während alle Anwesenden ihre verzückte Zustimmung lautstark ausriefen, kippte er den Inhalt seines Bechers in den Rachen. Meine Hand hob den Becher in Ljubos Richtung aber zum Trinken kam ich nicht, denn Vero drehte mich ruppig zu sich, griff an meinen Nacken und gab mir einen possessiven Kuss auf die Lippen. „Du gehörst mir.“ raunte er mir ans Ohr.


Kommentare 6

  • Das malt mir direkt ein rau-gemütliches Familienfest im kernigen Ascalon in die Gedanken. Super gut geschrieben.


    Und jetzt noch eine Geschichte, wie das ganze nach drei weiteren Stunden und nicht wenigen Flaschen Kartoffelschnaps aussieht. :D

  • Die Geschichten sind toll zu lesen.


    Bin gespannt auf mehr. Mehr Maya! :>

  • Gefällt mir! More :*

  • Mir ist Ljubo viel symphatischer als Vero!


    Jetzt interessiert mich die Geschichte dazu, wie sie zueinander gefunden haben und was die "Liebes"beziehung eigentlich wirklich aus macht.