Kleidsam


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Langsam schwebten die dürren Finger über den himmelblauen Stoff, als könnten sie spüren wie weich er sich auf seiner Blatthaut anfühlt. Die feinen Stickereien glänzten auf, wenn sein Licht sie streifte. Schön… ja, so könnte man das schlichte aber luftige Gewand nennen. Nicht, dass es ihm besonders gut gestanden hätte, hätte er es anziehen können. Das grelle Kobaltblau würde sich unangenehm mit seinem Seeschaumgrün beißen. Ein Problem das sich auf zweierlei Weisen selbst löste.

Das Licht seiner Augen fiel in die Fläche seiner Hand. Die mattweißen Zeichnungen die sich in feinen Spiralen über das samtige Blatt zogen waren kaum zu sehen. Wie Feuer aus seinem Inneren glühte dagegen seine Biolumineszenz. Wie Glut im Kern eines zu Kohle verbrannten Holzscheites. Glut, die ihn von innen heraus auffrisst, langsam und stetig immer mehr von ihm verzehrt. Er hatte Angst sie zu bewegen, die dürren Finger. In seinem Kopf pochten Bilder wie Blitzlichtgewitter zwischen seinen Gedanken auf, grausame Bilder von bröckelnder Haut, berstenden spröden Kohleknochen, von Gliedmaßen die ihrer eigenen Kraft nicht länger standhielten und zu heißer Asche zerbröselten. Er hatte das Gefühl, jede Faser seines Körpers spüren zu können, wie sie pulsierten, sich unter der angestauten Hitze wanden und nach Erlösung schrien.

Sie waren nicht wiedergekommen.

Niemand war gekommen.

Niemand, der ihm helfen konnte oder wollte. Nur die Wachen die ihm täglich Wasser und Brot brachten und dann diese Pakete…

"Vielleicht trifft das ja deinen famoosen Geschmack eher, Cognitor, sonst steht dir die Abteitracht natürlich immer zur Verfügung. Tinkerfern"

Der schlichte Zettel mit der ebenso schlichten Botschaft lag vor ihm auf dem staubbedeckten Zellenboden, die Ecke an der er ihn herausgezogen hatte, war bereits verkohlt und abgebröselt aber immerhin hatte er sie schnell genug fallen lassen können, ehe sie Feuer fing. Traubenviolett und reinweiß lachte ihn der edle Stoff an, Seite an Seite mit dem Taubenblau der Abtei-Uniform.

Sie hatte sich Gedanken gemacht.

Ein luftiges Gewand im strahlenden Blau des ewig weiten Himmels, die Farbe der Freiheit, die Farbe der Kühle… Schnitt und Stoff nach zu urteilen unheimlich bequem, genau das richtige um sich an einem faulen Nachmittag in einer dunklen Gefängniszelle auf seine Pritsche zu fläzen und dem Nichtstun zu frönen.

Daneben ein elegantes Ensemble mit Tuchkrawatte und passender Glasbrosche, ein Set das einer richterlichen Anhörung angemessen war. Nur, dass es keinen Richter gab. Er würde allein der Gnade einer einzigen Person ausgeliefert sein… und noch dazu mit nichts als seinen kläglichen Blättern am Leib. Eine Schande. Dabei hätte der dunkle Beerenton überraschend gut mit seinen violett schimmernden Schopfblättern harmoniert.

Sie hatte sich wirklich Gedanken gemacht.

Er zog die Knie vor die Brust und schlang die dürren zweigartigen Arme um sich selbst wie einen schützenden Kokon aus Ranken. Das Licht der Augen hinter schwarzen Lidern verborgen sank seine Stirn auf das heiße Holz. Die Hitze pochte darin, in seinen Beinen, in seinen Armen, in seinem Kopf während er langsam in seiner eigenen Finsternis versank.


Wie viele Tage war es nun her, dass sie ihn hier hineingebracht hatten?

Wie viele Tage waren es, seit sie ihn angehört hatten?

Seit sie versprochen hatten, ihn zu erlösen?

Wie lange war diese Kleidung schon hier?

Wie lange war ein Tag?

Eine Stunde?

Ein Moment?

Heiß.

Es war so heiß und er konnte nicht mehr denken.

Wasser.

Er konnte es nicht mehr spüren.

Es hörte nicht auf ihn.

… der Traum…

Er würde die Kleider zurückgeben. Dafür waren sie zu schade.

… er muss etwas bedeuten…

Ob sie das Mädchen schon freigelassen hatten?

… alles bedeutet etwas…

Der Leystein war immerhin in Sicherheit.

… nichts geschieht ohne Grund…

Carcair war schon zu lange verschwunden.

… Mutter…

Von Torpfl gibt es auch keine Spur.

...............................Großvater...............................

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