Arbeitstitel: Gerade 2 Stunden Luft gehabt

Geschichten in denen der Held gewinnt sind in der breiten Masse sehr beliebt. Ich verstehe es nicht. Das vermeintlich Böse, das Falsche, es führt meist so viel einfacher zum Ziel. Wie oft habe ich den Guten gespielt in den Momenten, in denen ich den kürzeren und leichten Weg hätte wählen können.

Jetzt stehe ich hier. In ihrem Raum, die Sonne geht langsam unter und das Licht scheint durch die herabgelassene Jalousie. Das Schlafzimmer einer aufstrebenden Geschäftsfrau. Praktisch eingerichtet mit nur ein paar persönlichen Noten, Bezüge in unschuldigem Weiß, Holz mit starker Maserung in braun. Ich sauge den Moment auf, denn später will ich mich daran erinnern. Ich kann mich schon kaum noch daran erinnern, wie es dazu kam und irgendwie hasse ich mich und sie dafür. Die Erregung und die Freude, nichts mehr zurückhalten zu müssen, spülen diese Gefühle jedoch bei Seite. Es ist der einfachste Weg, sie los zu werden, sie von dem Antlitz dieser Erde tilgen. Sie blickt mich panisch an. Ja-ich bin ihr ultimatives Böse. Doch ist dem so? Ich bin der Held meiner persönlichen Geschichte, was geht es mich an was diese Schlampe denkt? Ich genieße den Augenblick. Ihr verheultes Gesicht, die verwischte Schminke und die rot gefärbte Haut während sie wimmert. Zu mehr kommt sie nicht mit dem Knebel im Mund. Das Messer in meiner Hand zittert vor Aufregung, wie ich an den finalen Akt denke. Ich bin ihr Henker, ihr Erlöser. Ich bin das Böse und das Gute zugleich und dann treffe ich meine Entscheidung.


Gabriel sitzt am Steuer seines alten Mustang. Sonntag Morgen und er steht im Stau, der Umstand, dass dies allein nur in einer Großstadt möglich ist tröstet ihn nur wenig. Geduld hat er keine. Der mürrisch blickende Typ mit dem rauen Gesicht und den Falten um den Mund kaut auf dem Filter seiner Zigarette herum. Es ist nicht so das er es eilig hat. Tote laufen nicht weg, zumindest nicht wenn sie noch frisch sind. Der Mann mit dem schwarzen Haar und silbrigen Strähnen darin ist trotzdem angespannt. Was er über den Funk gehört hat reicht um ihm den Sonntag zu versauen. Nicht, dass der Geschiedene etwas vorhätte. Er nutzt die Zeit bis es weitergeht um an seinem Smartphone zu scrollen. Seine Ex reagierte auf keine Nachricht von ihm. Alter Groll beim durchschauen der Liste kommt auf und lässt ihn mit der flachen Hand gegen das Lenkrad schlagen. Weiter aufregen kann er sich nicht. Es geht weiter. Bis zum Haus des Opfers sind es nur noch wenige Minuten, weswegen er sich selber auch den Stress erspart die blauen Leuchte auf das Dach zu montieren. Geparkt und abgeschaltet steht der Wagen in der Parkbucht, über das Lenkrad lehnt sich Gabriel vor und blickt durch die Windschutzscheibe den Straßenzug links und rechts hinauf. Bettenburgen, alter Plattenbau in neu verputzten Gewand mit lavendelfarbenen Zügen. Er sieht vor dem Eingang des Hauses seine Kollegin stehen. Rita, ein typischer Kupferfuchs. Rötliches Haar, Sommersprossen, die dank der kühlen Herbstsonne kaum noch erkennbar sind und graugrüne Augen, die immer fordernd wirken. Sie trägt pflichtbewusst, wie immer, die volle Montur.

Ständig diese Übermotivierten“,denkt er sich noch zynisch, doch dann sieht er ihren Blick. So hilflos und berührt ist sie selten. Das Gesicht zieht ihn in den Bann. Was konnte diese resolute Frau so schocken? Er öffnet die Tür wie in Trance und steigt aus. Die feuchte Luft empfängt ihn mit stechender Kälte. Pfützen auf dem dunklen Asphalt spiegeln silbern den grauen Himmel wieder.

Stimmt, gestern zwischen dem zweiten und dritten Glas 'Glen' hat es am Abend geregnet“, erinnert er sich und holt die braune alte Lederjacke vom Beifahrersitz. Ein Relikt aus der Zeit, als man noch Motorradfahren wollte. Er zieht sie über den roten Fließpullover mit Rollkragen und geht hinüber. Die Kippe, an der eben nur gekaut wurde, findet nun ihre Bestimmung. Der Griff zum Sturmfeuerzug ist schnell und geübt. Die drei berühmten Geräusche sind zu hören „Klick, Ritscht, Klack“ Auf der Wegstrecke würde er das ganze Lungenbrötchen nicht schaffen, doch er braucht den Geruch von Nikotin unter Nase, bevor er in die Bude geht

„Was haben wir?“, mit der Frage bleibt er bei Rita stehen und will Zeit schinden um die Kippe fertig zu bekomme.

„Das Opfer ist Anfang 30. und ist stellvertretende Leiterin einer Bankfiliale“

Die Aussage rüttelt etwas am Weltbild von Gabriel. Sein Blick mit den wasserblauen Augen muss Bände sprechen.


„Ja es gibt solche engagierten Frauen, Gabe. Willkommen im 21. Jahrhundert“

Er weiß nicht was ihm an der Aussage mehr aufregt, das süffisante Grinsen von Rita oder dieser widerliche Spitzname

„Egal und weiter?“

Mit dieser schlichten Antwort und einem tiefen Auspusten des blauen Dunstes schluckt er dutzende bissige Antworten runter und fokussiert sich auf das Wesentliche. Auf die Frage verliert Rita ihre angriffslustige Haltung gegenüber des 45 Jährigen Vorgesetzten.

„Das solltest du dir lieber selber ansehen“, meint sie leise, mit dünner Stimme. Da ist es wieder, dieses Gesicht, das sich eben noch mit dem lockeren Scherz auf seine Kosten Luft machen will, beginnt wieder matter zu werden und schaut erneut ratlos drein. Gabriel kreidet sich das selber gelassen an, hier der Stimmungskiller zu sein. Er blickt erneut die Fassade hinauf und nimmt die Kippe aus dem Mund und schnippst sie auf den Gehweg. Ein Vergehen, auf das er angesprochen nur immer meint, das solle man ihm vom Lohn abziehen.

„Na gut, bleib hier und koordiniere Notarzt und Leichentransport. Und wenn einer von der Presse auftaucht“, beginnt er zu raunen.

„Nein ich werde ihm nicht ins Gesicht schießen“ entgegnet Rita sichtlich gelassener, wie sie erfährt, dass sie nur noch organisieren muss.

Gabriel boxt die Hände in die Jackentaschen und betritt mit einem geraunten:

„Schade“ den hellen Flur. Es riecht nach Wischwasser und Politur. Der sandfarbene Marmor spiegelt die Deckenleuchten und lässt die Schritte in den braunen Wanderschuhen stumpf widerhallen. Er nimmt die Treppe in den dritten Stock und muss nur noch den Geräuschen nach. Zwei junge Beamte stehen an der Tür Schmiere. Einer wendet sich Gabriel zu, will ihn aufhalten, doch der Kommissar hat seinen Ausweis parat. Auf das darauffolgenden:

„Guten Morgen“, bleibt er im Türrahmen stehen und blickt den jungen schwarzhaarigen Mann aus müden blauen Augen an.

„Sagen Sie das ihr“ meint er nur und nickt in die Wohnung hinein. Doktor Smjernoff ist der Erste, dem er auf dem schmalen Flur begegnet. Der alten Mann mit der großen Brille und dem Fedora könnte auch aus einem schlechten Agentenfilm entsprungen sein und den Stasi-Offizier mimen, von seinem Outfit her. Sergej und Gabriel kennen sich schon seit weit über 20 Jahren, nur seine Ex kennt ihn länger. Er blickt den Mann an und erkennt, dass auch er mit sich kämpfen muss.

„Weißt du Gabriel, ich habe viel Zeug gesehen aber DAS“, meint er zittern und wischt sich über die trockenen Lippen, die beben. So etwas hat auch er in seinen 48 Jahren noch nicht gesehen, als Notarzt der in 90% der Falle als erstes gerufen wird. Gabriel möchte den Mann auch nicht aufhalten, denn er greift schon in seine Jacke zu einer Brusttasche über dem Herz, da wo der Flachmann steckt. Mit einem Nicken entlässt der Kommissar ihn und tritt dann selber in den Raum ein. Gabriels erster Blick gilt nicht dem notdürftig zugedeckten Leichnam in der Mitte es Raumes. Er blickt sich mit dem ersten Schritt in das Schlafzimmer um. Der Blick seiner Augen verändert sich, von müde zu einer Mischung aus Neugier und Beobachtung. Er sieht die Diplome, die Danksagungen und Auszeichnungen der Frau an den Wänden. Renommierte Universitäten sind dabei. Auf einer Kommode darunter stehen ein paar Pokale aus den Kindertagen. Gold in den Bundesjugendspielen und Pokale im Judo der 16-18 Jährigen. Die Hände in den Taschen verstaut beugt er sich vor und liest in Ruhe. Der Kommissar hat die dumme Angewohnheit, wenn er etwas untersucht, es aufzuheben und genauer anzuschauen. Ein Gräuel für die Spurensicherung. Auf dem Absatz dreht er sich um. Im Raum ist sonst mehr Platz, aber Gabriel möchte mit seiner Anwesenheit so wenig wie möglich beeinflussen. Sein Blick geht hinab auf die Leiche. Das helle orange Bettlaken ist voller dicker und dunkle Flecken. Das jetzt schon feste Blut läuft bereits unter dem Tuch hervor, der Stoffrand ist schon völlig vollgesogen. Es ist also nicht von Sergej oder einem der Kollegen über den Körper gelegt worden. Gabriel geht in die Hocke, langsam steigt ihm der Geruch von abgestandenem Blut in die Nase, sein Nikotinschild versagt. Seine Hand greift nach dem Laken und hebt es nur ein Stück weit an, das er das blass-blaue Gesicht der jungen Frau sehen kann. Sie liegt wie drapiert auf dem Rücken. Die Arme leicht abgespreizt, als würde sie sich auf Wellen treiben lassen. Still, mit hängenden Mundwinkeln blickt er auf die Leiche hinab. So jung und erfolgreich und jetzt tot. Das Laken wird vom Kommissar noch etwas weiter gelüftet. Gabriel kann auf dem Flur schon die ersten Schritte der Tatortsicherung hören. Sonntag eben, da geht alles etwas langsamer. Das Tuch hängt schließlich fest an einer Wunde, doch was Gabriel bis dahin sieht, erklärt, warum der Arzt so außer sich gewesen ist. Der Geruch der unter dem Laken hervorkommt, sorgt dafür das Gabriel es gleich wieder fallen lässt und sich erhebt. Er richtet sich auf und legt sich die Hand vor dem Mund, damit die eintreffenden Leute von der Sicherung und der Leichenbestatter ihn nicht mit der entsetzen Miene sehen. Er wendet sich herum und geht schneller, als gewöhnlich, aus dem Raum. Er grüßt nicht mal die Kollegen, sondern stürzt stattdessen fasst die Treppe hinab. Im Freien angekommen, nimmt er die Hand vom Mund. Mit einem Blick zum Himmel stemmt der Kommissar die Hände in Seiten

„Und so ein Scheiß noch vor dem Frühstück“, hört er sich ächzen.

Kommentare 4

  • Richtig Nice geschrieben, hat ein wenig was von Fitzek... nur cooler :)

    Ich bin echt gespannt wie es da weitergeht, wann kommt die Fortsetzung?

    • Das war der Plan. Ich habe gewettet das ich auch schreiben kann wie Fitzek wenn ich mag :D

  • 30 Minuten Charaplanung, 30 Min. Plotplanung der Rest ist Kaffeepause und Schreiben

    Nicht wundern der Name wird noch häufiger von mir missbraucht werden.

    Gabriel klingt schöner als Max Mustermann


    Danke Emma für die feinen Korrekturen

    • ich liebe es und ich würde auch 1000 Seiten für Dich Korrekturlesen <3

      also immer her damit <3