Blau



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“Nie wieder Männer! Ich sag’s dir! Ich hab’ die Schnauze gestrichen voll!”


Das splittrige Holz der Küchenbank zerrte an Miras Rock, als sie sich zu ihrer schluchzenden Freundin herüberbeugte um die Arme in ausladender Geste um sie zu schlingen. Die Hoffnung in ihr war stark, dass eine so übertriebene Knuddelei das Mädchen aus ihrer Verzweiflung holen mochte, und sei es nur durch den Schock schierer Situationsabsurdität.


“Ach Dana…das wievielte Mal ist das jetzt?”


“Dieses Mal meine ich es aber!”


“Tust du nicht.”, und damit hatte Mira recht, das wusste sie so gut wie ihre Freundin.


“Verdammtes Nekromantenpack…”, fluchte die brünette Schönheit mit all der Galle die ihr die Seele vergiftete. “Wenn der Widerling mich noch einmal so anschaut, dann… dann reiß’ ich ihm seine milchigen Glubschaugen raus und stopf’ ihm damit den Sack aus! Dann is’ da endlich mal was drin…”


Dana griff energisch nach der Flasche auf dem Tisch, dass der beißende Fusel hinter dem blinden Glas nur so schwappte. Und Mira ließ sie, zog die Arme zurück und strich sich eine karottenrote Strähne hinter das sommersprossige Ohr.


“So kann das doch nicht weitergehen…”, seufzte sie und lehnte sich auf die abgewetzte Tischplatte. Für einen Moment sah sie ihre Freundin einfach nur an. Sie war selbst jetzt unglaublich hübsch. Große braune Rehaugen und kastanienfarbenes Haar, auch wenn ihr die kurzen Strähnen in ihrer Rage wirr vors Gesicht fielen. Sie sah so abgespannt aus. Dünn und ausgezehrt wie das letzte bisschen Butter, das doch nicht für das ganze Brot reichen will, so sehr man es auch versucht.


“Ich bringe dir bei, wie man die Tage zählt, ja? Das wird schon wieder.”, Mira tätschelte ihr tröstlich den Rücken, auch wenn sie wusste, dass ihre Worte nur leere Floskeln in einem Vakuum erschütterter Hormone waren. Deshalb ließ sie sie trinken. Trinken und fauchen und spucken, bis alles wieder besser wurde. Wie immer.


“Das ist viel zu schwierig.”, Dana klang wie ihre quengelige kleine Schwester wenn sie nicht ins Bett wollte. Wie hatte sie das Theater immer gehasst. Dennoch rang sich Mira einen versöhnlichen Ton ab.


“Ist es nicht. Ich helfe dir auch, in Ordnung? Das ist viel sicherer! Ich musste in den letzten zwei Jahren nur ein Mal zu Ratte!”


Dana gab keine Antwort. Sie ertränkte ihren Kummer nur in einem weiteren Schluck flüssigen Vergessens, ehe die Flasche wieder lautstark auf dem Tisch landete. Das Mädchen schniefte ein paar Mal, ehe es den Rotz undamenhaft hochzog, nur um ihn anschließend in ein schmuddeliges Taschentuch zu spucken, an dem es sich festklammerte. Mira wandte den Blick ab. Er fiel auf den Vierjährigen, der in der Zimmerecke auf dem klammen Boden saß. Er spielte still mit einem geschnitzten Holzpferd vor sich hin, das er in seinen kleinen blassen schmuddeligen Händen hielt wie einen Schatz.


“Warum kommst du nicht wieder zu uns? Wir passen aufeinander auf, weißt du doch…”, startete sie schließlich den nächsten Versuch, an die Vernunft ihrer Freundin zu appellieren.


“Nee, keine Lust. Ich bin lieber mein eigener Boss.”, gab Dana nur bockig zurück. Sie wussten schließlich beide, woher das rührte. “Der alte Sack kann mich mal kreuzweise. Ein Mal hat mir gereicht…”


Die Worte sanken dem Rotschopf schwer wie ein Wackerstein in die Magengrube, aber sie war bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen, während Dana sich die Tränen mit dem durchnässten Taschentuchlumpen von den Wangen tupfte.


“Das ist der Preis, den wir zahlen…”, seufzte Mira, denn das Herz war ihr selbst schwer.


“Ich zahl’ den aber nicht!”, kam es nur trotzig zurück.


“Habt ihr denn genug zu Essen?”, wieder flog ihr Blick in die Ecke und dieses Mal schaute der Junge zurück. Große runde Augen sahen sie an, dunkelblau wie Regenwolken.


“Ich komm’ schon über die Runden, Mira. Echt jetzt!”


Dana wehrte ab, griff erneut zur Flasche und der Rotschopf seufzte nur. Mit einem knappen Abwinken ließ sie ihre Freundin sitzen und schob sich von der spröden Bank. In ein paar Schritten durchmaß sie den Raum und machte sich klein, um dem Kind in die Augen zu sehen.


“Schau mal, Clive…”, als sie vor ihm kniete, glitten ihre Hände unter das wilde rote Haar, lösten dort den simplen Knoten, der das Lederband hielt. Einen Moment später baumelte der Anhänger bereits vor dem Kind, der eben noch auf ihrem schweren Busen gelegen hatte. “...willst du das haben?”


Es war ein Rabe, eine filigrane Schnitzerei aus geöltem Ebenholz. Das Kind haderte danach zu greifen. Einzig seine riesigen glasigen Augen sahen sie an. Und Mira strahlte zurück, wie der Sonnenfunken, der sie war, offenherzig und fröhlich, auch wenn die Welt um sie herum nur aus Dreck und Leid bestand. Sie zupfte an dem Band und ließ den Vogel mit ausgebreiteten Flügeln auf und ab tanzen, bis der Junge schließlich zaghaft die Hände ausstreckte. Ganz sachte ließ sie das Tier in seine dünnen Finger sinken. Er hatte kaum Babyspeck. Alles an ihm war dürr.


“Das kannst du ihm doch nicht geben!”, drang Danas Stimme in die Szene, als sie die Flasche glucksend absetzte.


"Ach, das ist nur billiger Plunder.”, wimmelte Mira sie ab, denn sie duldete keine Widerrede. “Hat Bjorn mir geschenkt, der steht auf so Zeug, weißt’e doch.”


Ihr Blick lag noch immer auf dem Kind, das nun neugierig das neue Spielzeug inspizierte. Geschickt betasteten die kleinen Finger jede fein geschnitzte Kerbe, während er den Vogel in ihnen hin und her drehte.


“…bist nicht gerade gesprächig, hm?”, noch wich sie nicht. Die Arme um die Knie geschlungen beobachtete sie ihn.


“Wie sagt man da?”, schallte es da aber schon vom Tisch her und der Blick des Jungen ruckte auf. Seine Antwort war leise und verschüchtert und kam doch aus tiefstem Herzen.


“...danke…”

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